Ailred wurde im Jahr 1109 in Hexham in England geboren. Seine Eltern waren in der Welt durch den Adel ihrer Geburt ausgezeichnet, und ließen sich die Erziehung ihres Sohnes ganz besonders angelegen sein, der denn auch ihren Absichten vollkommen entsprach. Da er durch den Ruf, in dem er stand, dem König David von Schottland bekannt wurde, wünschte dieser fromme Fürst ihn an seine Seite ziehen zu können, und vertraute ihm die Leitung des Palastes an. Ailred stand diesem Amt mit einer solchen Würde und Seelengröße vor, dass der Fürst und alle Hofleute hohe Achtung für ihn trugen. Die Verdorbenheit der Welt vermochte nichts über seine Seele. Der Glanz flüchtiger Ehren konnte ihn nicht blenden. Und er bewahrte immer die heilige Demut, die von Jesus so sehr geliebte Tugend, ohne die es keinen wahren Christen gibt. Er besaß auch noch in einem besonderen Grad die Sanftmut, die nach dem Geist des Evangeliums von der Demut unzertrennlich ist: ein oder zwei Züge werden das Gesagte ins hellste Licht stellen.
Eines Tages machte ihm eine Person von Stand die übelsten Vorwürfe in Gegenwart des Königs. Er hörte alles geduldig an und dankte für die Liebe, mit der sie ihn auf seine Fehler aufmerksam machte. Dieses machte so tiefen Eindruck auf seinen Feind, dass dieser ihn noch auf der Stelle um Verzeihung bat. Ein anderes Mal wurde er von jemanden aus der Gesellschaft, als er mit der Erörterung irgendeiner Sache beschäftigt war, unterbrochen und mit Schimpfreden überhäuft. Er hörte mit tiefem Stillschweigen zu, nahm dann, ohne den geringsten Unwillen zu äußern, den Faden seiner vorherigen Rede wieder auf. Welche Demut, welche Geduld war doch erforderlich, um so empfindliche Versuchungen gelassen zu besiegen!
Aired empfand aber mitten in dem zerstreuenden Hofleben immer eine brennende Begierde, die Welt zu verlassen, um sich einzig dem Dienst Gottes zu weihen. Allein die schönen Bande der Freundschaft, von denen er sein gefühlvolles Herz nicht so leicht losreißen konnte, hielten ihn noch einige Zeit zurück. Da er indes ernsthaft darüber nachdachte, dass ihn der Tod früher oder später doch einmal von denen, die er am zärtlichsten liebte, trennen würde, klagte er sich der Feigheit an und fasste schließlich den großmütigen Entschluss, diese Bande zu zerreißen, obgleich sie ihm unendlich angenehmer waren, als alle anderen Vergnügungen des Lebens. Hören wir ihn selbst, wie er die Lage seiner Seele beschrieb inmitten der Kämpfe, die die Gnade mit der Natur zu bestehen hatte:
„Jene, die mich nur nach dem äußeren Glanz, der mich umstrahlte, beurteilten und meine Lage einschätzten, ohne, was in mir vorging, zu kennen, konnten sich nicht erwehren, auszurufen: O wie beneidenswert ist das Los dieses Menschen! O wie glücklich ist er! Allein sie sahen die Betrübnis meines Geistes nicht. Sie wussten nicht, dass die tiefe Wunde meines Herzens mir tausend Leiden verursachte, und dass es mir unmöglich war, die Fäulnis meiner Sünden zu ertragen.“ Er fügte noch bei, da er von der Zeit spricht, in der er den Entschluss fasste, die Welt zu verlassen: „Damals war es, o mein Gott, dass ich durch Erfahrung das unaussprechliche Vergnügen kennenlernte, das in Deinem Dienst gefunden wird, und dass ich diesen lieblichen Frieden, der sein unzertrennlicher Begleiter ist, kostete.“
Der Heilige verließ schließlich, um sich immer mehr und mehr von aller Anhänglichkeit an die Welt loszuschälen, Schottland, und begab sich nach Rieval, wo er in den Zisterzienserorden eintrat, unter der Leitung Wilhelms, eines Schülers des heiligen Bernhard und ersten Abtes dieses Klosters. Er war erst vierundzwanzig Jahre alt, als er das Ordenskleid anlegte. Man hätte sagen sollen, der Andachtseifer habe seinen Körper, der von Natur schwächlich und zart gebaut war, gestärkt, eine so große Freude bewies er in der Ausübung der strengsten Bußwerke. Dem Gebet und Lesen frommer Bücher widmete er beinahe seine ganze Zeit, und die Glut himmlischer Liebe hatte so sehr sein Herz entflammt, dass er in dem, was den Neigungen der Natur zuwider war, die größte Süßigkeit fand. „Dieses Joch,“ rief er aus, „beugt mich nicht darnieder, es erhebt nur meine Seele: diese Bürde ist leicht, und hat nichts drückendes.“ Mit einer Art Entzückung redete er von der göttlichen Liebe, und man kann aus seinen oft wiederholten und glühenden Herzensergüssen schließen, dass es seine gewöhnlichste und angenehmste Beschäftigung war, diese göttliche Tugend zu erwecken. Hören wir ihn selbst: „Könnten doch, o Jesus, meine Ohren seine Stimme vernehmen, damit mein Herz dich lieben lernt; damit mein Geist dich liebt; damit endlich alle Kräfte meiner Seele, alle Empfindungen meines Herzens, vom Feuer deiner Liebe entzündet werden; damit alle meine Neigungen nur an dich sich heften, der du mein einziges Gut, meine Freude und meine Wonne bist! Was ist doch die Liebe, o mein Gott, sie ist, wenn ich mich nicht täusche, jene unaussprechliche Wonne der Seele, die desto süßer, je reiner, desto fühlbarer, je glühender sie ist. Wer dich liebt, besitzt dich, und besitzt dich in so weit er dich liebt, weil du die Liebe bist. Sie ist jener Strom der himmlischen Liebe, mit dem du deine Auserwählten berauschst, indem du sie in dich umwandelst durch deine Liebe.“
Da unser Heiliger in seiner Jugend auf die Studien mit Fleiß und glücklichem Erfolg sich verlegt hatte, und mit einem sehr feinen Geschmack begabt war, fühlte er besser, als irgendjemand, die Schönheiten der alten Schriftsteller. Daher dieses Vergnügen, das ihm ehemals das Lesen der Werke des Cicero gewährte. Sobald er sich aber ganz Gott in stiller Einsamkeit geweiht hatte, fand er in allen diesen Büchern, die nur von irdischen Dingen handeln, Missbehagen und Ekel: überall suchte er nur mehr das Wort Gottes, und den heiligen Namen des ewigen Sohnes. Er bezeugt uns das selbst in der Vorrede zu seinem Buch, das den Titel führt: die geistliche Freundschaft.
Der Anblick jener frommen Ordensmänner, die er mit heiligem Eifer nach den christlichen Vollkommenheiten ringen sah, erweckte schon einen edlen Wetteifer in seiner gottliebenden Seele. Einer in dieser Genossenschaft, namens Simon, erregte besonders seine Aufmerksamkeit. Dieser hatte aus Liebe zur Buße allen Vorteilen entsagt, die ihm in der Welt eine hohe Geburt, unermessliche Reichtümer, die seltensten Geistesgaben, und alle Vorzüge körperlicher Bildung versprachen. Allzeit sah man ihn in Gott versammelt und gleichsam versunken. Mit der bewunderungswürdigsten Genauigkeit beobachtete er das Stillschweigen. Er sprach nur sehr selten und dann in nur wenigen Worten, und niemals mit jemand anderen, als seinen Vorstehern. Und auch dazu konnten ihn nur dringende Ursachen bewegen. Bei all dem war sein Äußeres sanft, gefällig und erbaulich: „Der Anblick seiner Demut allein schon beschämte meinen Stolz und bedeckte mich mit Schamröte wegen meiner Nachlässigkeit in der Abtötung meiner Sinne. Das Gesetz des Stillschweigens, das unter uns beobachtet wird, hinderte mich, in eine ausführliche Unterredung mich mit ihm einzulassen. Da mir aber einmal aus Unachtsamkeit ein Wort entfuhr, nahm ich an seinem Gesicht wahr, welches Missfallen diese Verletzung der Regel bei ihm verursachte. Ich warf mich ihm zu Füßen, und er ließ mich da einige Zeit zur Abbüßung meines Fehlers liegen: ich habe mir nachher noch immer Vorwürfe darüber gemacht, und konnte mir ihn nie verzeihen.“ Dieser Heilige blieb sich während der acht Jahre, die er im Kloster Rieval zubrachte, allzeit gleich. Im Jahr 1142 starb er. Dies waren seine letzten Worte: „Herr, mein Gott, ewig werde ich deine Barmherzigkeit besingen, deine Barmherzigkeit, deine Barmherzigkeit!“
In demselben Jahr wurde Ailred, gegen seinen Willen, zum Abt von Revesby, in der Grafschaft Lincoln, gewählt, und im folgenden Jahr genötigt, die Leitung der Abtei von Rieval auf sich zu nehmen, wo damals dreihundert Mönche lebten. Ihre Lebensweise beschrieb er in diesen Worten: „Sie tranken nur Wasser und aßen ganz gewöhnliche Speisen, und wenig. Sie schliefen nur kurze Zeit, und zwar auf Brettern. Sie übten sich in harten und mühevollen Arbeiten. Sie trugen schwere Lasten, ohne die Ermüdung zu fürchten, und gingen überall hin, wo man sie hinführen wollte. Ruhe und Erholung waren ihnen unbekannt. Mit allen diesen Bußübungen verbanden sie ein strenges Stillschweigen. Sie redeten bloß mit ihren Vorstehern, und zwar nur dann, wenn es die Notwendigkeit erforderte. Sie verabscheuten Wortgezänk und Klagen.“ Der Heilige redet auch noch von dem Frieden und der Liebe, die sie durch die schönsten Bande untereinander vereinigten. Er drückt sich hierüber auf die rührendste Weise aus: man sieht, dass ihm die Ausdrücke fehlen, um einen Begriff von der Freude zu geben, die ihm der Anblick jedes Ordensbruders gewährte.
Man bot unserem Heiligen mehrere Bistümer an, allein aus Demut und Liebe zur Einsamkeit schlug er sie alle aus. Seine einzige Wonne fand er im Gebet und im Lesen frommer Bücher, die er zur Erhaltung glühender Andacht geeignet fand. Befiel ihn Geistesdürre, so öffnete er die heiligen Schriften, und alsbald wurde seine Seele ganz von den Lichtstrahlen des Heiligen Geistes durchdrungen. Seinen Augen entflossen Tränen und sein Herz fühlte die süßesten Empfindungen der göttlichen Liebe. Wir wollen, um den Heiligen besser kennen zu lernen, die Worte eines berühmten Abtes seines Ordens anführen: „Welches Leben war reiner, als Ailreds! Wer war je behutsamer in seinen Reden! Die Worte, die aus seinem Mund hervorgingen, waren süß, wie Honig. Sein Leib war schwach und hinfällig. Allein seine Seele war stark und kraftvoll. Gleich der Braut des Hohenliedes schmachtete er nach den ewigen Gütern. Sein Herz war wie ein geweihter Altar, auf dem er Gott unaufhörlich das Feuer seiner Liebe, die Abtötung seines Fleisches und die glühenden Wünsche seiner heiligen Begierden als Opfer darbrachte. . . . In seinem hageren und abgezehrten Körper wohnte eine Seele, die in Überfluss die Herrlichkeit himmlischer Gnade genoss. Daher die unaussprechliche Freude, mit der er Gott lobte. . . . Lästige Menschen ertrug er geduldig, er selbst aber fiel keinem Menschen jemals zur Last. . . . Willig hörte er andere an und übereilte sich nie in den Antworten, die er denen gab, die ihn um Rat fragten. Man sah ihn nie zornig. Seine Worte und Handlungen trugen immer das schöne Gepräge der Salbung und des Friedens, mit denen seine Seele erfüllt war.“
Der heilige Ailred starb im Jahr 1166, in einem Alter von siebenundfünfzig Jahren, nachdem er zweiundzwanzig Jahre Abt gewesen war. In der allgemeinen Ordensversammlung, die 1250 zu Citeaux gehalten wurde, ist er in die Zahl der Ordensheiligen gesetzt worden. Dieselbe Versammlung setzte auch sein Fest auf den 12. Januar, als den Tag seines Todes, und so ist es auch in dem Heiligenverzeichnis des Zisterzienserordens angemerkt. Allein in einem späteren Martyrologium, das Benedikt XIV. zum Gebrauch dieses Ordens herausgegeben hat, findet man es auf den zweiten März versetzt. Man liest darin ein schönes Lob der Kenntnisse, des reinen Wandels, der Demut und der Geduld des heiligen Ailred. Derselbe Papst fügt noch hinzu, Gott habe die Tugend seines Dieners durch die Gabe der Weissagung und der Wunder gekrönt. Den Namen unseres Heiligen findet man im römischen Martyrologium nicht aufgezeichnet.