Die großen Männer, die Gott in den ersten Jahrhunderten zum Aufbau seines Reiches auf Erden spendete, fehlen der Kirche auch in späteren Zeiten nicht. Eine wahre Idealgestalt unter den vielen hervorragenden Missionsbischöfen des 19. Jahrhunderts ist der indische Bischof Anastasius Hartmann, ein Bahnbrecher der Lehre Christi von einer übernatürlichen Seelengröße, einer umfassenden Gelehrsamkeit, von einer ungewöhnlichen Gestaltungskraft und apostolischer Arbeitsfreudigkeit, von einem heroischen Leidensmut, dass er an einen heiligen Martin von Tours und Athanasius von Alexandrien gemahnt.
Das himmelragende Schweizerland hat Hartmann Leben und Charakter gegeben. Geboren am 24. Februar 1803 in Altwis, Pfarrei Hitzkirch im Kanton Luzern, absolvierte er mit Auszeichnung das Gymnasium in Solothurn, trat mit achtzehn Jahren in den Kapuzinerorden ein und wurde 1825 in Freiburg zum Priester geweiht. Als Novizenmeister, Professor der Philosophie und Theologie und in allen Zweigen der praktischen Seelsorge war er gleich eifrig und erfolgreich tätig. Auf beiden Gebieten erwies er sich schon bald auch als ausgezeichneter Schriftsteller durch ein Unterweisungsbuch „Das Kreuz des Weltmenschen und des wahren Christen“ und eine Anleitung zur klösterlichen Vollkommenheit, wie durch einen lateinischen Leitfaden der Philosophie und der Pastoraltheologie. Doch mitten in aller Schultätigkeit erfasste den jungen Ordensmann ein unwiderstehlicher Drang nach der Heidenmission. Während seiner Vorbereitungszeit in Rom war er abermals als Lehrer tätig und schrieb mehrere für die Bekehrung der Heiden und Irrgläubigen dienende Abhandlungen.
Auf dem ersten Missionsposten in Gwalior, einer Stadt des apostolischen Vikariates Hindustan in Indien, 1843, stieß der Diener Gottes sofort mit dem goanesischen Schisma zusammen, das damals das größte Hindernis für die Heidenbekehrung und für die notwendige Besserung des zerfallenden kirchlichen Lebens in Britisch-Vorderindien bildete. Der früher weitausgedehnte Machtbereich des Erzbischofs von Goa wurde 1838 von Gregor XVI. auf die dem Königreich Portugal noch verbliebenen Besitzungen in Indien und China beschränkt, die britischen und französischen Missionsgebiete aber der Propaganda, der päpstlichen Behörde für Glaubensverbreitung, unterstellt. Dem widersetzte sich die portugiesische Regierung, die im Metropoliten von Goa einen willigen Staatsdiener und in dem portugiesischen und ungebildeten indischen Klerus ergebene Mithelfer fand. So kam es zu einem Zerwürfnis, das wiederholt vom Heiligen Stuhl verurteilt wurde. In diesem erbitterten Streit war der geistesmächtige, willensstarke „Hart-Mann“ der von der Vorsehung gesandte Retter. Er bewahrte seine Gemeinde vor dem Abfall, hob durch unermüdlichen katechetischen Unterricht die im religiösen Leben erkalteten Gläubigen, bekehrte Heiden und Mohammedaner und gründete eine Volksschule und andere gute Anstalten. Schon nach zwei Jahren wurde der unermüdliche Missionar von Gregor XVI. zum Titularbischof von Derbe und ersten apostolischen Vikar von Patna am Ganges erhoben. In wenigen Jahren brachte er seinen Missionssprengel durch Zuzug neuer Missionare und von Schulbrüdern, durch Gründung von Frauenklöstern, Errichtung von Waisenanstalten und Bildungsinstituten, durch Erbauung neuer Kirchen zu einer staunenswerten Blüte.
Schon im Jahr 1849 berief Pius IX. unseren Bischof Hartmann nach Bombay auf ein besonders dornenvolles Arbeitsfeld, wo der Parteihass verderblich loderte, um in dieser gänzlich verfahrenen Vikariatsdiözese die Getrennten wieder zur Einheit mit der Kirche zurückzuführen. Unsagbares hatte er hier von den vielfach verkommenen eingeborenen Geistlichen zu dulden, mit denen sich sogar auch die irländischen Weltpriester verbanden. „Noch nie ist ein Bischof so sehr verleumdet worden wie ich,“ schrieb er damals nach Rom. Doch er kannte auch die Heilskraft der Leiden. „Ich weiß, dass mich Gott hierher berufen hat, und dass ein Bischof ein großes Kreuz haben muss; ohne Kreuz kann die christliche Religion nicht gedeihen, noch sich bewähren,“ so hatte er 1849 an seine Geschwister heimgeschrieben. Die Kraft des Kreuzes bewährte sich. Mehrere Tausende goanesischer Schismatiker konnte er wieder gewinnen. Die Kathedrale von Bombay rettete er in einer bewegten Volksversammlung vor dem Übergang zum Schisma. Was duldete der nimmerrastende Arbeiter des Herrn auf seinen weitausgedehnten Visitationsreisen? Einmal blieb er zwei Tage ohne alle Nahrung. Es kam vor, dass sein eingeborener Diener die Flucht ergriff, weil die Gegenden durch wilde Tiere zu unsicher waren. Den aber die Tiger verschonten, für den hatten die Sektierer kein Mitleid. Acht Tage wurde er einmal in einer dicht verschlossenen Kirche bei glühender Hitze gefangen gehalten, um ihn zur Übergabe der Kirche zu zwingen. Schließlich wollte man den standhaften Hirten seiner Herde durch Schwefeldämpfe ersticken, als noch rechtzeitig englische Hilfe von Bombay den schon durch Hunger und Durst fast Erschöpften vom Tod errettete. Von dieser Kirche des heiligen Michael aus brachte der starkmütige Bekenner den Zusammenschluss der achtzehn apostolischen Vikarbischöfe von Vorderindien zustande und hemmte so wirksam die Wucht des Schismas. Dazu bediente sich der praktisch arbeitende Missionar auch des zeitgemäßen und wirksamsten Mittels, der Presse. Er gründete zwei Zeitungen, deren eine er in der härtesten Kampfeszeit selber leitete. Zugleich gab er Katechismen in der hindustanischen Sprache und eine Grammatik mit englisch-lateinisch-hindustanischem Wörterbuch für die Missionare und Katechisten heraus.
Im Jahr 1856 sah sich Bischof Anastasius wegen eines Gedärmleidens, einer Folge des heißen Klimas und der schweren Entbehrungen, genötigt, einen längeren Aufenthalt in Europa zu nehmen. In Rom schenkte ihm der gütige Pius IX., der den Dulderbischof zum päpstlichen Thronassistenten und römischen Grafen erhoben hatte, seine ganze väterliche Anteilnahme. Doch war auch jetzt des seeleneifrigen Dieners Gottes erste Sorge das Wohl seiner geliebten Mission. Um Hilfsmittel für ihr Gedeihen zu gewinnen, reiste er in seine Heimat, wo er überall, unter großem Volksandrang, in Ansprachen für die Mission Begeisterung weckte. Dann besuchte er London, verhandelte mit der englischen Regierung und trat dabei auch mit dem berühmten und einflussreichen Kardinal Wiseman in Verbindung, in Paris leistete er dem seligen Pater Eymard, dem Apostel der heiligsten Eucharistie, einen Dienst der Liebe, in München und Wien warb er um Freunde für sein ungeheures Missionsvikariat. In Rom widmete er sich als Rektor am Missionskolleg St. Fidelis wieder mit aller Liebe wissenschaftlichen Vorlesungen und der Herausgabe gelehrter Schriften, während noch nebenher sein Rat und seine Mitarbeit auf dem vielgestaltigen Gebiet der Kirchenregierung gesucht war. Bei solch anstrengender Tätigkeit büßte er ein Auge ein.
Kaum recht genesen, eilte der sich selbst vergessende Glaubensbote wieder nach Indien, in sein geliebtes Patna, wo mittlerweile ein Aufstand schwere Verwüstungen angerichtet hatte. Bald erstand wieder neues Leben aus den Ruinen. Seine persönliche Gegenwart erzielte immer nachhaltigste Wirkung. Darum nahm er auch die Mühseligen Visitationswanderungen durch die gewaltigen Länderstrecken, bis zu den Vorhöhen des Himalaya hinan, wieder auf. Mochte ihn auch auf den holprigen Wegen der umstürzende Wagen beinahe mit seiner Last erdrücken, er half selbst wieder mit, ihn aus dem Schmutz zu ziehen. Mochten auch seine von der Wassersucht geschwollenen Füße ihn nicht mehr tragen, mochte ihn wiederholt das Pferd abwerfen, so dass er sich einmal eine Rippe brach, ein andermal den Fuß verletzte, der von nimmer unterliegender Liebe getragene Diener Gottes setzte unentwegt seine Hirtenreisen fort. Die Nächte aber, ungezählte Nächte, während draußen die Schakale heulten, opferte der bewundernswert vielseitige Mann einer ebenso schwierigen, als unschätzbaren Arbeit, der Übersetzung des Neuen Testamentes aus der Vulgata, der lateinischen Bibel, ins Hindostanische. Dieses sein größtes Lebenswerk erschien 1864 zu Patna im Druck. Noch schien seine riesige Schaffenskraft ungebrochen zu sein. Unter anderen Gründungen hatte er den Englischen Fräulein aus Bayern ein Kloster in Papamow errichtet, da raffte ihn die tückische Cholera mitten in seiner fruchtbaren Aposteltätigkeit hinweg, 1866, am Fest des heiligen Fidelis, seines Ordensbruders, des Missionspatrons und ersten Martyrers der 1622 gegründeten Propaganda. Als man dreizehn Monate nach dem Tod Hartmanns seinen Leib wieder erhob, um ihn in die Klosterkirche der Englischen Fräulein in Bankipur zu überführen, wurde er noch völlig unversehrt wieder aufgefunden.
Bischof Anastasius Hartmann wurde allgemein als ein Heiliger betrachtet. Ein eigentümlicher Zauber ging von ihm aus. Die irischen Soldaten hegten eine solche Verehrung für ihn, dass sie sich auf den Straßen in den Staub niederwarfen und seine Füße küssten. Die heidnischen Hindus stiegen oft auf Palmen und Dächer, um den vorbeiziehenden Bischof zu sehen. Er kam ihnen vor wie ein Wesen aus höherer Welt. Sein Sekretär bezeugt: „Sobald er das Wort ergriff, begann alles an ihm sich zu regen. Er wurde so feierlich großartig, dass man ihn nicht anders als mit einem Gefühl heiligen Schreckens aufzuschauen wagte. Seine Augen schleuderten Blitze aus und sein Angesicht wurde flammend. Das war wirklich der Apostel, der da redete.“
Besondere Verehrung trug der Diener Gottes zum göttlichen Herzen Jesu und kostbaren Blut. Der seligsten Jungfrau war er mit glühender Liebe zugetan. Überall förderte er nach Kräften das Rosenkranzgebet. In seinem Gutachten über die Dogmatisierung der Unbefleckten Empfängnis schreibt der Bischof. „Von Kindheit an wuchs diese Andacht mit mir auf; später bin ich in Predigten und theologischen Vorlesungen stetsfort mit triftigsten Beweisgründen für sie eingestanden.“ Zeitlebens führte Anastasius ein Leben strengster Buße. Bis in sein Alter gab er sich in der Regel nu von Mitternacht bis morgens vier Uhr der Ruhe hin. Selbst während der im Morgenland so notwendigen Mittagsruhe kniete er in Anbetung versunken vor dem Tabernakel. Er aß kaum so viel wie ein Kind. Dabei mischte er sich die bitteren Blätter des Nimbaumes in die Speisen. Als ihm einmal auf Reisen, bei stechender Sonnenglut, der Diener einen Trunk aus dem mitgeführten Messwein anbot, entgegnete der Mann der Abtötung erstaunt: „Aber glauben Sie, mein Bruder, dass unser Herr auf seinen Wanderungen Wein getrunken hat?“ Die Armut war dem treuen Nachfolger eines heiligen Franz von Assisi eine liebe, unzertrennliche Gefährtin. Sein Bischofsstab bestand aus Holz und war mit Goldpapier überklebt, das bei jeder Berührung abfärbte. Seine bischöfliche Residenz in Patna wandelte er in ein Waisenhaus um und behielt für sich nur ein Zimmer. In der letzten Zeit bewohnte er ein Zimmer, das nicht einmal eine Tür besaß, wofür sein Blick ungehindert seinen göttlichen Freund in der eucharistischen Wohnung der anstoßenden Kirche suchen konnte. Seine Seele war überdies fast beständig in Gott versunken. Er war ein Mann von solcher Innerlichkeit, dass der Ordensgeneral der Redemptoristen, der mit ihm in Rom zusammentraf, gestand: „Eine einstündige Unterredung mit Bischof Hartmann bringt mir mehr geistigen Gewinn als achttägige Exerzitien.“ Und dieser Mann des Gebetes und der Buße konnte sich nicht der bangen Furcht entschlagen ob der erschreckenden Verantwortung seines bischöflichen Amtes.
So ist das Urteil des Erzbischofs von Bombay Dalhoff aus der Gesellschaft Jesu berechtigt: „Hartmann ist wohl der gelehrteste und heiligste Bischof, der Indien je betreten hat.“ Schon aus der Zeit seines bischöflichen Wirkens hat der Herr seinen Diener durch Wunder bezeugt. Vielerorts, namentlich in Indien, ist Bischof Anastasius als wundertätiger Helfer bekannt. Auffallende Erhörungen wurden festgestellt, wenn er um Bekehrung von Irrgläubigen, in Krankheitsfällen und zeitlichen Nöten angefleht wurde. Die Akten für den im Gang befindlichen Seligsprechungsprozess füllen 24 dickleibige Großbände.
Bischof Anastasius tröstete einmal einen mutlos gewordenen Millionär: „Christus hat zu den Aposteln nicht gesagt: Geht hin und bekehrt, sondern lehrt alle Völker. Die Bekehrung ist Gotteswerk. Uns bleibt deswegen (bei Erfolglosigkeit des Wirkens) doch der gleiche ewige Lohn.“ Missionare sind Werkzeuge Jesu Christi, deren er sich zur Bekehrung der Heiden und Christen bedient. Die Bekehrung ist wohl Gottes Werk, aber auch die Frucht des Gebetes und des Opfers, die wir mit großem, weitem Herzen für das Gedeihen der Missionen dem Herrn bringen.