Eine Selige, die dem Drittordenskleid des seraphischen Vaters Franziskus so viel Ehre verschafft hat, dürfen wir nicht vergessen. Kann sie ja den überaus zahlreichen Ordensfamilien und Kongregationen aus älterer wie neuerer Zeit, die nach der Dritten Regel des heiligen Franziskus in klösterlicher Gemeinschaft leben, als erste Stifterin gelten. Aus dem Dritten Orden, der zunächst für solche Personen bestimmt war, die in der Welt und in ihren Familien verbleiben, aber doch nach franziskanischer Regel leben und sich heiligen wollten, schlossen sich alsbald männliche und weibliche Mitglieder zu einem gemeinsamen Leben zusammen und verpflichteten sich in der Folgezeit zu den Gelübden und zur Klausur. So entstand der Dritte regulierte Orden vom heiligen Franziskus im Gegensatz zum nichtregulierten der Weltleute. Nach dem Geschichtsschreiber der Orden und Kongregationen, Dr. M. Heimbucher, wurde bereits 1264 ein Kloster für Mitglieder des Dritten Ordens in Köln gegründet. Im Jahr 1276 wird das noch jetzt bestehende Terziarinnenkloster Gnadental in Ingolstadt erwähnt. Ja, das Mutterhaus der Franziskanerinnen vom Dritten Orden zu Dillingen in der Diözese Augsburg entstand vermutlich schon um das Jahr 1250 aus einer Beghinenvereinigung, das der Mariasternschwestern in Augsburg 1258 in derselben Weise. In München wurde 1284 das Bittricher Regelhaus und 1295 das Riedlersche Regelhaus oder „Kloster auf der Stiege“ errichtet. Noch viele andere Klöster taten sich auf, besonders aus ehemaligen Beghinenhäusern. Auch Rom hatte schon 1288 und Neapel 1320 ein Terziarinnenkloster. Das waren aber nicht Klöster oder Ordenshäuser nach dem strengen Recht der Kirche, sondern „Regelhäuser“ von Terziaren, die in Vereinigung (Kongregation) lebten. Der volle Ordenscharakter bildete sich erst allmählich aus.
Von besonderer Bedeutung wurde hierfür das von der seligen Angelina von Corbara 1397 in Foligno begründete Terziarinnenkloster mit Klausur. Etwa von 1400 an legten die gemeinschaftlich lebenden Drittordensmitglieder, die zunächst nur die Franziskusregel für Weltleute beobachteten, Gelübde ab, die von mehreren Päpsten, erstmals von Johann XXIII., als feierliche erklärt wurden. Leo X. gab am 21. Januar 1521 diesen Terziarklöstern, die sich schon in allen Ländern sehr vermehrt und in Kongregationen, in Landesvereinigungen geteilt hatten, eine gemeinsame Regel. Sie schrieb für alle Häuser die Gelübde vor, ließ aber hinsichtlich Klausur Freiheit. Pius V. verlangte 1568 von allen Klöstern mit feierlichen Gelübden die Klausur. Die unter der Regel Leos X. lebenden Ordenspersonen wurden von den Päpsten für wahre Religiosen erklärt, gleich denen des Ersten und Zweiten Ordens. Dieselbe Leoninische Regel bildete bis in unsere Tage, wo Pius XI. sie durch eine neue ersetzte, 1927, die Grundlage, auf der sich eine unübersehbare Zahl von Männern- und Frauenkongregationen aufbaute: Die Armen Brüder vom heiligen Franziskus, die Franziskanerbrüder, die große Familie der Franziskanerinnen, die Barmherzigen Schwestern vom heiligen Franziskus, die Kreszentiaschwestern, die Kapuzinerterziarinnen, Armenschwestern vom heiligen Franziskus, Schulschwestern vom Dritten Orden des heiligen Franziskus usw. Das über zweihundert Jahre alte Regelbuch der Elisabethinerinnen, das noch bis in unsere Zeiten herein in den meisten Häusern in Deutschland und Österreich Geltung hatte, hebt die selige Angelina Corbara und ihren Einfluss auf die Schwestern des Dritten Ordens rühmend hervor.
Angelina, geboren 1377 zu Monte Giove bei Orvieto in Mittelitalien, stammt aus dem gräflichen Geschlecht der Corbara und mütterlicherseits aus der edlen Familie von Marsciano. Bisweilen wird sie auch unter diesem mütterlichen Namen genannt. Hat doch ihreMutter Marsciano, eine würdige und heilige Frau, das große Verdienst, in ihrer Tochter den Sinn und die Freude zur Frömmigkeit und zu den Tugenden eines Engels geweckt zu haben, so dass sie mit vollem Recht ihren Namen Angelina (die Engelhafte) tragen konnte. Nur zu früh starb die Mutter. Schon begannen die Lockungen der Güter und Freuden dieser Welt einen Eindruck auf das junge Mädchen zu machen. Doch rasch gewann ihr hochgerichteter Sinn die Oberhand. Angelina entschloss sich und festigte den Entschluss durch das Gelübde, sich ganz dem Herrn zu weihen. Eine besondere Liebe zu den Nächsten durchsonnte ihre Jugend. Um den Armen die Not wirksam zu erleichtern, schonte sie weder ihr eigenes Mahl, noch die Vorräte der häuslichen Küche.
Kaum hatte Angelina das Alter von fünfzehn Jahren erreicht, als ihr Vater schon daran dachte, sie zu verheiraten. Johann Terni, Graf von Civitella, einer kleinen Stadt im Königreich Neapel, war der seiner Tochter ebenbürtige Erwählte. Angelina erschrak und widerstand, denn das Gelübde der Keuschheit sprach gegen eine eheliche Verbindung. Aber ihr Vater bestand mit Heftigkeit darauf. Vertrauensvoll warf sie sich in dieser Not in die Arme ihres himmlischen Vaters und bat inständig, dass er ihr die Wege zeige und Kraft verleihe, ihrem Versprechen treu bleiben zu können. Da glaubte sie einer Stimme in ihrem Innern, die sich für den Gehorsam gegenüber ihrem Vater aussprach, folgen zu müssen und die Bewahrung ihrer gelobten Jungfräulichkeit mit allem Vertrauen auf die Vorsehung freimütig und hingebungsvoll in die Hände des ihr zugeführten Bräutigams legen zu dürfen. Dieser war denn auch edel und einsichtsvoll genug, ihr Gelöbnis zu achten und seinen Wert zu schätzen, aber auch zugleich, von Gottes Geist geleitet, so hochherzig, dass er sich seinerseits der Verlobten Christi als demütiger Diener übergeben zu dürfen inständig bat. Die Engel des Himmels durften Zeugen eines seltenen Schauspiels sein: Vor den Füßen des Gekreuzigten erneuerten und bekräftigten zwei verlobte Menschenkinder das Versprechen steter Keuschheit als Gottverlobte. Und der Allgütige nahm das großmütige Opfer an. Nach zwei Jahren eines an Beispielen hoher Tugenden reichen Lebens starb der Gatte nach kurzer Krankheit.
Von allen weltlichen Banden frei, konnte Angelinas Streben nach himmlischen Gütern in heißer Sehnsucht sich entfalten. Das trat schon nach außen in Erscheinung. Die junge Gräfin entließ ihre Dienerinnen und vertauschte ihren Reichtum mit dem armen Kleid des Dritten Ordens. Gutes tun an Armen und Kranken nahm ihre Zeit in Anspruch. Heil und Segen schienen unter ihren Händen zu erblühen. Einige Kranke, denen sie ihre Sorge zuwendete, genasen wieder gegen alles Erwarten. Bei ihren apostolischen Gängen, die auch das Bergland der Abruzzen nicht scheuten, suchte sie nicht zum letzten das Seelenheil der wenig unterrichteten Bewohner zu fördern. In den kleinsten Dörfern hielt ihr Eifer an. Sie verkündigte das Glück eines wahren Glaubenslebens, pries die Liebe des Erlösers zu uns und ermunterte besonders die jungen Mädchen, dies Glück durch Anschluss an den Dritten Orden zu suchen. Begreiflich, dass solch leuchtendem Seeleneifer gegenüber auch Neid und Missgunst ihre allzeit gefügigen Hilfsknechte aus dem dunklen Reich entboten. Die Frau von hohem Stand, die auf Missionswegen wandelte, wurde bei Ladislaus, dem König von Neapel und Sizilien, verklagt, dass sie die Verachtung des durch ein Sakrament geheiligten Ehestandes predige und die jungen Leute davon abhalte. Übelgesinnte gingen noch weiter und beschuldigten sie geradezu der Häresie, einer falschen Anschauung hinsichtlich der Ehe und der Verführung der Mädchen durch Zauberei. Der Scheiterhaufen, die Strafe und Sühne jener Zeit für derartige Vergehen, schien ihr zu drohen. Die Angeklagte stellte sich kühnen Mutes vor den König und seinem Gerichtshof in Neapel, ein Becken glühender Kohlen in der Hand, bereit, wie sie sagte, mit diesen Kohlen selbst Feuer an ihre Kleider zu legen, wenn sie eines Verbrechens für schuldig erklärt würde. Die Richter waren betroffen über das entschlossene Auftreten und die entschiedene Erklärung. Es bedurfte nur eines kurzen Verhöres und die Überzeugung stand fest, diese Frau sei niemals mit kirchlichen und staatlichen Gesetzen in Widerspruch getreten. Der König selbst beglückwünschte sie wegen ihres Eifers für den Triumph des Glaubens und entließ sie mit allen Zeichen der Achtung, die ihr nun auch von der gesamten Stadt entgegengebracht wurde. Trotzdem erhoben sich in ihrer Heimat Civitella, wo sich Angelina abermals dem Werk der Erziehung der jungen Mädchen hingab, neue Verfolgungen, die sie zwangen, sich nach Assisi zurückzuziehen, 1395. Mehrere Tage widmete sie dem Gebet in der Portiunkulakirche. Immer wieder drängte sich ihr die flehentliche Bitte um Erkenntnis dessen auf, was sie zum Wohl des Nächsten tun könnte. Und Gott zögerte nicht mit der Antwort. In einer Ekstase belehrte sie ein Engel, sie solle nach Foligno sich begeben, um dort ein Kloster nach der Regel des heiligen Franziskus zu gründen. Vertrauensvoll legte sie die Angelegenheit dem Bischof von Foloigno vor und erlangte von ihm die Abtretung eines Grundstücks zur Errichtung ihres ersten Klosters. Es wurde der heiligen Mutter Anna geweiht, der Patronin ihrer leiblichen Mutter. Im Jahr 1397 legte Gräfin Angelina von Corbara-Civitella-Marsciano mit sieben Gefährtinnen in die Hand des Bischofs die Gelübde ab. Von dem Augenblick an stieg die Zahl der Religiosen so rasch, dass man am Ende des Jahres schon dreißig zählte und die Behörden der Stadt alsbald (1399) darangingen, noch ein zweites Kloster unter dem Schutz der heiligen Agnes zu errichten. Hier wurde die große Dienerin Gottes Margareta von Foligno Oberin, die mit Milde und Liebe strenge Klosterzucht hielt, Angelinens Nachfolgerin im Generalat wurde (1435) und, „durch Tugend und Wunder strahlend“, am 13. Juni 1443 selig starb. Ähnliche Konvente entstanden in Viterbo, Assisi, Todi, Ascoli, Rieti und Florenz, das nicht weniger als hundert Religiosen zählte. 1405 folgte Neapel und endlich (1423) Rom mit bald drei Häusern. Die Ordensfrauen nahmen, weil sie sich dem Dienst der Kranken und Armen widmeten, den Namen der heiligen Terziarin Elisabeth von Thüringen an. Auf Bitten der Seligen traf Papst Bonifaz IX. die Entscheidung, dass alle drei Jahre von einem päpstlichen Konsistorium eine Generalvisitatorin ernannt werden sollte, die alle Klöster besuchen und den Professschwestern den Habit geben sollte. Es war Angelina selber, die zum ersten Mal dieses Amt übertragen erhielt. Die Arbeitslast häufte sich. Papst Martin V. vereinigte 1428 alle Klöster zu einem dauernden Verband, zu einer Kongregation, und erlaubte ihr, Generalkapitel abzuhalten und sich eine eigene Generaloberin zu wählen, die alle Klöster visitieren und ihnen Oberinnen geben konnte. Erste Generaloberin der Ordensgenossenschaft wurde Angelina. Sie besaß fast unumschränkte Gewalt. Doch stellte derselbe Papst schon zwei Jahre später die Elisabethinerinnen als weibliche Franziskusorden unter den männlichen der Franziskaner-Observanten. Die Würde einer Generaloberin wurde dann 1459 von Pius II. wieder abgeschafft und dafür jedem Kloster eine Oberin vorgesetzt, womit die einzelnen Klöster wieder, zum größten Teil wohl, Selbstständigkeit erlangten. Sie unterstanden den Franziskanern oder den Diözesanbischöfen und hielten sich größtenteils an die von Leo X. 1521 gegebene allgemeine Regel. Zur Zeit der höchsten Blüte, ums Jahr 1600, zählten die Elisabethinerinnen in verschiedenen Ländern 135 Häuser mit 4300 Mitgliedern. Noch wenige dieser Nachfahren der seligen Angelina retteten sich durch die Stürme der Zeit bis auf die Gegenwart. Inzwischen und zumeist in unserer Zeit erneuerte sich das Institut der regulierten Terziarinnen vom heiligen Franziskus unter den verschiedensten Namen in ungemein fruchtbarer Weise. Unter diese Ordensgattung sind auch die deutschen Elisabethinerinnen, die 1622 in Aachen entstanden, die 1841 in Essen gegründeten und andere Schwestern der heiligen Elisabeth einzureihen.
Die Mutter dieser überaus zahlreichen Familien von Franziskusjüngerinnen, die selige Angelina, war die bescheidenste und demütigste Schwester. Sie wollte nicht, dass von ihrer Tätigkeit oder ihrer hohen Herkunft gesprochen würde. Sie teilte sich mit den Schwestern in die niedrigsten Verrichtungen des Hauses, öfter bediente sie alle anderen. Nur im Fasten, in der Buße und Strenge gegen sich selbst wollte sie alle übertreffen. Von Anfechtungen und Beunruhigungen des Bösen blieb auch diese exemplarische Ordensfrau nicht verschont, überwand sie aber in der Kraft des Herrn.
Die Zahl der Jahre der seligen Ordensstifterin waren neunundfünfzig. Eine schwere Krankheit überfiel sie. Nochmals empfahl sie ihren zum letzten Segen versammelten Schwestern die genaue Beobachtung der Ordensregel. Nach Empfang der heiligen Sterbesakramente geriet sie in eine wunderbare Entzückung, worin sie die Engel kommen und sie vor den Thron Gottes führen sah. Sie ging in die Ewigkeit Gottes hinüber am 14. Juli 1435. Im Jahr 1492 wurden ihre Überreste mit großer Feierlichkeit erhoben und in einen neuen, kostbaren Sarg gelegt. Leo XII. billigte 1825 ihre Verehrung als solche, die seit Jahrhunderten bestanden habe, und setzte ihr Fest auf den 15. Juli fest. Bei den Franziskanern wurde der 21. Juli, andernorts auch der 22. Dezember als Gedächtnistag begangen. Heute begeht die Kirche am 14. Juli ihr Gedächtnis, an ihrem Sterbetag.