Seliger Angelus Carletti von Chiavasso, italienischer Priester OFM, Franziskaner, + 11.4.1495 – Gedenktag: 11. April

 

Es ist gewiss eine besondere Vergünstigung Gottes, wenn der Leib eines Seligen, der schon vor Jahrhunderten gestorben, heute noch unverwest ist. Solch ein heiliger Leichnam wird nun auch in der Kirche des Franziskanerklosters zu Cuneo, einem Ort in Piemont in Norditalien, als ein unschätzbares Kleinod aufbewahrt und vom gläubigen Volk verehrt, nämlich der Leib des seligen Franziskanerpriesters Angelus von Clavasio oder Chiavasso, so zubenannt nach dem Städtchen Chiavasso, das ebenfalls in Piemont liegt. Hier ward der Selige im Jahr 1411 dem ebenso frommen wie vornehmen Ehepaar Carletti geboren und mit aller Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt erzogen. Namentlich war es auch hier wieder die Mutter, die Gottesfurcht und Frömmigkeit in die Seele des Kindes pflanzte, und zwar mit so sichtlichem Erfolg, dass dieses öfters sogar während der Nacht sein Lager verließ, um vor einem Kruzifix zu beten und es inbrünstig zu küssen. Auch prägte sich schon an dem kleinen Carletti eine besonders zarte Unschuld aus, die ihn zu einem wahren Engelsbild machte, eine Vorbedeutung des schönen Namens Angelus, den er später als Ordensmann führen sollte. Viel trug dazu sicher seine innige Liebe und Andacht zur Mutter Gottes bei.

 

In Anbetracht seiner Herkunft und Begabung wurde er für das Studium bestimmt und kam deshalb auf die Universität Bologna, wo er sowohl Theologie als Rechtswissenschaft studierte und es auf beiden Gebieten zum Doktor brachte. Was aber noch wichtiger war: Er blieb auch während dieser keineswegs gefahrlosen Studienjahre der Frömmigkeit und Sittenreinheit treu. Bei so vielen Vorzügen des Standes, Geistes und Herzens konnte es ihm nicht an den glänzendsten Aussichten für die Zukunft fehlen. Und in der Tat fiel auf ihn das Auge des Herzogs von Monteferrato, der ihn zu seinem Ratsherrn und Senator machte. So war jetzt unser Carletti dem Gipfel irdischen Glückes nicht mehr fern. Aber gerade jetzt sollte auch die entscheidende Wendung seines Lebens eintreten. Zunächst starb ihm die liebe Mutter und das Gefühl einer großen und schmerzlichen Vereinsamung bemächtigte sich seiner Seele, so dass er auch in seiner hohen amtlichen Stellung und deren Obliegenheiten keine rechte Befriedigung mehr fand. In dieser Stimmung wollte ihn die göttliche Vorsehung haben; denn aus ihr entsprang in dem Senator Carletti der Entschluss, der Welt überhaupt zu entsagen und in den Orden des heiligen Franziskus, und zwar in die Gruppe der strengen Observanz (d.h. Regelbeobachtung) einzutreten. Dem Entschluss folgte auch sofort die Tat; das Noviziat und Klerikat des Franziskanerklosters zu Genua zählte nun den ehemaligen Ratsherrn des Herzogs von Monteferrato als Frater Angelus zu den Seinigen. Er war jetzt dreiunddreißig Jahre alt. Seinem Ordensname (Angelus = Engel, Himmelsbote) entsprach fortan auch sein Ordensleben, dem er vor allem schon im Noviziat eine gediegene Grundlage gab. Der Andacht, der er bereits in seiner Kindheit so sehr zugetan war, nämlich derjenigen zum leidenden Heiland, blieb er auch jetzt getreu, ebenso aber auch seiner Liebe und Verehrung gegen die allerseligste Jungfrau Maria. Als ein Engel, ein Himmelsbote, erschien er, besonders nachdem er zum Priester geweiht war, durch seinen glühenden Seeleneifer und in erster Linie wieder durch seine Predigttätigkeit, wobei er mit Vorliebe an das einfache arme Volk sich wandte, um es zu unterrichten und zu trösten. Seine wissenschaftlichen Kenntnisse und seinen juristischen Scharfsinn verwandte er in besonders bemerkenswerter Weise zur Abfassung und Herausgabe eines umfassenden Werkes für Beichtväter über Gewissensfälle, nach seinem Namen „Summa Angelica“ genannt, d.i. „Die englische Summe“, die sich solchen Ansehens erfreute, dass sie von 1476 bis 1520 nicht weniger als 31 Auflagen erlebte und sich sogar unter jenen Büchern befand, die Martin Luther nach seinem Abfall von der Kirche im Jahr 1520 zu Wittenberg öffentlich verbrannte; er sagte von diesem Buch, man sollte es statt „Summa Angelica“ eher „plus quam diabolica“, d.h. die „mehr als teuflische Summe“, nennen. Dem deutschen „Reformator“, der so gewissenlos und rechtswidrig vorgegangen war, musste eben ein wissenschaftliches katholisches Buch über Gewissenspflichten und unveräußerliche göttliche Rechte gründlich verhasst sein. Dass dagegen der Verfasser eines solchen Werkes seitens der frommen Katholiken als Seelenführer um so mehr gesucht war, bedarf keines Beweises; so sehen wir den seligen Angelus z.B. vom Herzog Karl von Savoyen zum Beichtvater gewählt. Aber auch als Prediger wurde er mit ehrenvollen Aufgaben betraut, vom Papst Sixtus IV. nämlich mit der Predigt gegen die Türken und von Innozenz VIII. mit jener gegen die Waldenser, die die Autorität des Papstes und verschiedene kirchliche Lehren bekämpften. Bei all diesem Seeleneifer war Angelus aber doch auch offenen Auges und teilnahmsvollen Herzens gegenüber den leiblichen und zeitlichen Nöten des Volkes. Er nahm keinen Anstand für die Armen persönlich von Tür zu Tür Almosen zu erbetteln und errichtete in vielen Städten, z.B. in Genua und Savona, sogenannte „Montes pietatis“, d.h. Leihanstalten (Darlehenskassen), wo hilfsbedürftige Personen gegen Pfand das Nötige vorgestreckt wurde, um sie vor der Ausbeutung durch Wucherer zu schützen. Gegen sich selbst war der Selige unerbittlich streng. Die Ordensgelübde beobachtete er aufs genaueste; durch häufige Nachtwachen sowie vieles Fasten und sonstige Leibeskasteiung suchte er sich seinem leidenden Heiland ähnlich zu machen.

 

An einem solchen Mann konnten auch die höheren Ordensobern nicht vorübergehen, ohne ihn eines besonderen Vertrauens zu würdigen und so sehen wir ihn nicht weniger als viermal (1472, 1478, 1487 und 1490) zum Generalvikar des Ordens gewählt und 1481 dem Ordenskapitel zu Ferrara präsidieren. So sehr er aber auch in diesen Stellungen für die Ordenszucht eiferte, so legte er doch stets die größte Klugheit, Liebe und Sanftmut an den Tag und blieb namentlich immer der demütige Pater Angelus, der er von Anfang an gewesen war. Daher lehnte er auch andere noch höhere geistliche Würden, die man ihm antrug, entschieden ab und als er schließlich zweiundachtzig Jahre alt war, bat er die Ordensobern, ihn von allen Ämtern überhaupt zu entheben, damit er sich ausschließlich auf den Tod vorbereiten könne. Dies geschah auch und so führte er im Kloster zu Cuneo noch zwei Jahre lang ein in Christus verborgenes Leben des Gebetes und der Buße, bis er daselbst im Jahr 1495 eines seligen Todes starb. Für seine Heiligkeit zeugt auch die Tatsache, dass sein heute noch unverwester Leichnam einen lieblichen Wohlgeruch ausströmt, ein schönes Sinnbild seines ganzen engelgleichen Lebenswandels, durch den er stets die Freude und das Vorbild seiner Mitmenschen gewesen war.  Angelus Carlettis Verehrung wurde am 26. Mai 1753 offiziell von Papst Benedikt XIII. gestattet.

 

Der selige Angelus von Clavasio ist wie so manch anderer Diener Gottes ein Beispiel heldenmütiger Weltentsagung. Statt an den glänzenden irdischen Aussichten festzuhalten, die sich ihm boten, wählte er das strenge franziskanische Ordensleben. Ein Weltkind schüttelt darüber den Kopf. Ein vollkommen gottliebendes Herz aber wird sagen: „Wohl war dies ein Opfer; aber es war nicht zu groß! Denn für Gott und den Himmel ist kein Opfer zu groß und zu schwer! Und um dessen willen hatte ja der selige Angelus der Welt Lebewohl gesagt, einer Welt, zudem voll der Gefahren für die unsterbliche Seele, weil sie „voll Augenlust, Fleischeslust und Hoffart des Lebens ist“, wie der heilige Johannes sagt, der darum auch die Mahnung gibt: „Liebt nicht die Welt und was in der Welt ist! Wer die Welt liebt, hat die Liebe zum Vater nicht.“ (1. Johannes 2,15)