Unter der Regierung des Kaisers Arcadius zeichnete sich Anthemius, der die Würde eines römischen Bürgermeisters innehatte, sowohl durch seinen Eifer für die christliche Religion, als durch seine Tugenden und sein heiligmäßiges Leben aus. Er war Vater von zwei Töchtern, deren eine von einem bösen Geist besessen war, und die andere hieß Apollinaris, die von früher Jugend an eine seltene Neigung zur Einsamkeit und zum geistlichen Stand zeigte. Als die fromme Jungfrau, blühend wie eine Rose und geschmückt mit Liebreiz, in das erwachsene Alter kam, flogen ihr die Blicke aller adeligen jungen Männer entgegen und mehrere baten bei den Eltern um ihre Hand. Aber Apollinaris hatte sich längst schon ihrem Heiland geweiht und schlug standhaft alle Anträge aus. Durch ernstliches und unausgesetztes Bitten erhielt sie endlich von ihren Eltern die Erlaubnis, eine Reise in die heiligen Länder machen zu dürfen, und nachdem sie dort ihre Andacht verrichtet und allen Schmuck nebst ihren Reichtümern unter die Armen verteilt hatte und nach Alexandrien zurückkam, kaufte sie sich ein Mönchskleid, entließ ihre Dienerschaft bis auf einen Verschnittenen und einen alten Mann, und als diese eines Tages vor Ermüdung bei einer Quelle schliefen, warf sie eiligst ihre weiblichen Kleider von sich, zog die raue Mönchskutte an und entfloh.
Längere Jahre lang führte sie in der Einöde, die nahe bei dieser Quelle lag, die noch immer der Brunnen der heiligen Apollinaris genannt wird, ein so hartes und strenges Leben, dass ihr zarter Körper ohne Ungemach Hitze und Kälte ertragen konnte, und wegen Mangel an Nahrung sie mehr einem Toten, als einem Lebenden ähnlich war. Sie wurde endlich von Gott ermahnt, den Namen Dorotheus anzunehmen und sich in die Wüste Scete zu begeben, um unter der Anleitung des heiligen Abtes Macarius in der Gottseligkeit vollkommen zu werden. Macarius, der sie für einen Verschnittenen ansah, nahm sie gütig auf und wies ihr eine Zelle an, in der sie die harten Regeln der Genossenschaft mit einem solchen Feuereifer ausübte, dass sie in der Abtötung und Heiligkeit des Lebens bald alle Einsiedler übertraf.
Nach einiger Zeit verlangte die Schwester der heiligen Apollinaris auf Antrieb des bösen Geistes von ihren Eltern, sie in die Wüste Scete zu dem Einsiedler Dorotheus zu bringen, um dort geheilt zu werden. Anthemius, der nach dem Tod des Arcadius im Namen des unmündigen Kaisers Theodosius das Reich regierte, erfüllte das Verlangen seiner unglücklichen Tochter und schickte sie, begleitet von einer großen Dienerschaft, in die Wüste, wo sie durch das Gebet und die Händeauflegung der heiligen Apollinaris von dem bösen Geist befreit wurde. Ohne ihre heilige Schwester erkannt zu haben, kehrte sie gesund zu ihren Eltern zurück, die aber bald an ihr Spuren einer Schwangerschaft fanden. Bei dieser Entdeckung geriet Anthemius in eine solche Wut, dass er eine Schar Kriegsknechte abschickte mit dem Auftrag, die Einsiedler in der Wüste mit Feuer und Schwert zu verfolgen und den Verführer seiner Tochter ihm lebendig zu überliefern.
Wilden Tieren gleich fielen die Soldaten die heiligen Einsiedler an, um blutige Rache an ihnen zu nehmen. Aber Dorotheus trat hervor und sprach: „Ich bin die Person, die ihr sucht. Alle diese sind unschuldig: nur auf mich allein richtet eure Schwerter!“ Sogleich wurde Apollinaris in schwere Fesseln gelegt und vor das Gericht des Arthemis gebracht. Sie fiel ihrem Vater zu Füßen und sprach unter vielen Tränen: „Ich habe deine Tochter von dem bösen Feind befreit, und ihre Unschuld ist so rein, als die Sonne am Himmel. Zum Beweis rufe deine Tochter, damit ich durch das Zeichen des heiligen Kreuzes das Blendwerk des Satans zerstöre.“ Die Jungfrau erschien, und schrie bei dem Anblick des Einsiedlers laut auf: „O heiliger Mann, du hast mich von dem bösen Geist befreit; flehe zu Gott für mich Arme, dass er meine Unschuld aufdecken möge!“ Bei diesen Worten fiel sie auf ihre Knie, und Apollinaris hob ihre Augen und Hände zum Himmel und betete in der Stille. Dann bezeichnete sie ihre Schwester mit dem heiligen Kreuz, und zum Staunen aller Anwesenden wichen alle Anzeichen einer geheimen Sünde. Die Heilige gab sich nun ihren Eltern zu erkennen und zog wieder in ihre Wüste zurück, wo sie am Anfang des 5. Jahrhunderts im Ruf der Heiligkeit starb.
Erst nach ihrem Tod, als ihr Leichnam gewaschen wurde, entdeckten die Einsiedler ihr Geschlecht, und lobten Gott, der durch ein so schwaches Werkzeug so Wundervolles tat.