Gottselige Christine Ebner, Dominikanerordensfrau in Engelthal, + 27.12.1356 – Gedenktag: 27. Dezember

 

Es ist rühmlich für ein Volk, Auserwählte von öffentlichem Ruf in seiner Mitte zu besitzen. Sie nicht der Vergessenheit anheimfallen zu lassen, ist Pflicht. Das Leben eines Heiligen verherrlichen, heißt ja Gott verherrlichen. Denn Gott ist es, der einen sündigen Menschen zur Heiligkeit führt. Gott hat in trüber Zeit die auserwählte Nonne von Engelthal, Christine Ebner, auf den Leuchter gestellt, um vielen Irrenden ein Wegweiser zu sein. Nun ist es einmal so Geschick des Zeigers am Wege, dass er verfault und vergeht. Die Leuchte von Engelthal hatte ihre Pflicht getan; sie mochte verlöschen. Gerade die Finsternis jener Zeitverhältnisse, der Zwist der kaiserlichen und päpstlichen Gewalt, hat Christinens Namen und heiliges Leben nicht durch kindliches Spruchurteil festhalten lasen im Buch der seligen Kinder der Kirche auf Erden. Die nachfolgende größte Heimsuchung der Kirche in Deutschland, die Glaubensspaltung, hat völlig alle Hoffnung der Freunde Christinens erstickt, öffentlich und rechtmäßig zu ihr rufen zu dürfen, wie das alte Verslein tut: „O selige Jungfrau Ebnerin, erwirb mir Gottes reichen Gewinn!“ Verödet ist die Stätte ihres Aufenthaltes, keine Spur ist mehr von ihrem Grab zu entdecken. Das Andenken an Christina Ebner, die große deutsche Mystikerin, lassen wir deutsche Katholiken niemals untergehen.

 

Christine Ebner ist ein Kind der alten Reichsstadt Nürnberg. Das Haus der Ebner zählte zu den angesehensten Patriziergeschlechtern, berühmt durch Reichtum und Adel, wie durch Rechtschaffenheit und Tugend. Es war am Karfreitag des Jahres 1277, als Elisabeth, geborene von Kühdorf, ihrem Gatten Seifried von Ebner ein Kindlein schenkte, das bei der Taufe in der Kirche des heiligen Sebald den Namen Christine erhielt zum Andenken an den Leidenstag des Herrn. Mit Christus begann sie den Leidensweg dieses Lebens, Christus sollte sie auch ganz und für immer angehören. Die Mutter schon hatte ihr Kind, das zehnte, Gott gelobt und die überaus großen Schmerzen der gefahrdrohenden Stunde als Sühne der Leiden getragen, die der Herr für uns geduldet. Bezeichnend für das Kind wie für den Geist der Zeit, die den Wert des Leidens um Christi Willen zu schätzen verstand, ist es, dass Christine, sobald sie nur davon hörte, dass es heilsam sei, Buße zu üben und den Leib zu züchtigen, alsogleich zur „Disziplin“, zur Geißel griff. Dieser, herbe, strenge Zug blieb dem Karfreitagskind als Erbstück des Gekreuzigten zeitlebens eigen. Wohl wurde Christine Ebner, von den zahlreichen kleineren Krankheiten besonders der ersten Jahre abgesehen, nicht von so großen, andauernden und unerhörten Leiden heimgesucht wie ihre gleichnamige Ordensschwester Margarethe Ebner von Medingen. Christine hat ihre Leidensliebe durch Übernahme freiwilliger Bußwerke in höchstem Grad betätigt. Ein Wort, ein Liebesseufzer, der ihr aus noch jugendlichem Herzen entquoll, zeichnet so wahr ihr herb-liebes Bild: „Ach, Herr, hätte ich doch aller Menschen Stimme, damit wollt ich dich loben; hätte ich doch alle Bußübungen, die alle Menschen tragen können, die wollt ich dir opfern; hätte ich doch all das Blut der Märtyrer, das wollt ich dir geben; und hätte ich aller Menschen Liebe, so wollt ich dich damit lieben!“ Bitterharter Opfergeist durchströmt ihr Leben. Liebe aber ist sein Urquell, Liebe, die geflossen ist, belebend und mitfortreißend, aus Jesu heiligstem Herzen. Hat ihr dies doch der Mund der ewigen Weisheit, der liebe Heiland selbst, zur Antwort gegeben: „Ein Gedanke, der in meinem süßen Herzen war, ist größer gewesen als aller Heiligen Liebe, womit du mir nicht hinreichend vergelten kannst.“

 

Drei wichtige Kräfte und Elemente sehen wir in Christine Ebners hohem Streben nach dem erhabensten Ziel der Vollkommenheit und Gottgeeintheit zusammenwirken: Die natürliche Fähigkeit, die Gnade Gottes und die Treue des Menschen.

 

Christine erfreute sich sehr edler Gaben der Natur. Zwar hatte sie, wie es scheint, ein reizbares Nervensystem, aber eine gesunde und vollkommen geregelte Körperbeschaffenheit, einen edlen Wuchs und ein sehr einnehmendes Aussehen. Ihr Temperament war das sanguinisch-cholerische. Sie war sehr lebhaft und griff mit Leichtigkeit alles Beschwerliche an, wartete mutig ab und offenbarte in allem Tun kräftige Entschiedenheit. Auch ihre geistigen Gaben waren vorzüglich und standen in schönstem Verhältnis zueinander. Sie besaß ein glückliches Gedächtnis, ein gesundes Urteil, einen scharfen Verstand, ein für alles Gute empfängliches Gemüt und eine lebhafte Einbildungskraft.

 

Diese kostbaren Gaben der Natur zu fördern, zu bilden und für den höchsten Zweck des menschlichen Daseins, für den Dienst und die Liebe Gottes, fruchtbar zu machen, tat überdies die Erziehung das Möglichste. Die frommen Eltern Christinens gaben ihrer Tochter nicht nur selbst das Beispiel jeglicher Tugend und übten sie darin, besonders im Gehorsam, sie ließen sie auch in allen nützlichen Kenntnissen und Fertigkeiten unterrichten, die eine Frau von Adel zieren, die einen so aufgeschlossenen Geist, wie den einer Ebner, aufs feinste bildeten und zu ungewöhnlicher Vollendung führten. Eben weil schon des Kindes Sehnen und Wünschen nur nach dem Höchsten ging, wurde ihm am Vorabend seines zehnten Geburtstages die heilige Kommunion gereicht. Das war eine große Seltenheit in jener strengen Zeit, „etwas Neues und Unerhörtes“, wovon viele abrieten. Deshalb ließ man erst – es war ein Gründonnerstag – die Leute aus der Kirche weggehen. Der amtierende Priester und Katechet des Kindes sagte dabei bestimmt voraus, dass Gott an diesem Kind Wunder tun und mit ihm nicht verfahren werde, wie es die Menschen veranschlagen, sondern nach seinem Willen. Und das zeigte sich bald. Mit zwölf Jahren hatte Christine ihren von Jugend auf gehegten Herzenswunsch, Ordensfrau zu werden, bei den anfangs widerstrebenden Eltern, die schon zwei Töchter dem Herrn geschenkt hatten, mit männlicher Entschiedenheit durchgesetzt.

 

Kloster Engelthal bei Nürnberg, in der Diözese Eichstätt gelegen, sollte der Zufluchts- und Gnadenort für die gottselige Christine werden. Im Jahr 1240 wurde Engelthal mit Hilfe des Ritters Ulrich von Königstein durch die ehemalige Sängerin Alheit gegründet. Alheit (Adelheit) war dem hochseligen Kind Elisabeth vom Vater, dem König von Ungarn, zur Erheiterung mitgegeben worden, da es als Braut des Landgrafen Ludwig ins Hessenland gefahren kam. Die lebensfrohe Sängerin sei aber eine „große Reuerin und Gottes Minnerin“, eine getreue Meisterin frommer Jungfrauen geworden, die aus dem „Ach“ der erdwärts Gerichteten – der Ort hieß vordem Schweinach – ein „Tal der Engel“ schufen. Im vierzehnten Jahrhundert wurde das Kloster eine Hochschule der Mystik und Gottgeeintheit, deren glänzendste Zierden Christine Ebner und Adelheid Langmann wurden. „Der Nonne von Engelthal Büchlein von der Genaden Überlast“ erzählt von der Fülle der Gnadenerweise, von dem lastenden Berg der himmlischen Segnungen und außergewöhnlichen Begegnungen, die dem Beten und Tugendstreben einer ansehnlichen Reihe verstorbener Engelthaler Schwestern zuteilwurde. Bezeichnend ist das Wort, das so „einer emsigen Dienerin unseres Herrn Jesu Christi“ in den Mund gelegt wird, der Diemut Ebner von Nürnberg: „Ich habe Gottes so viel, hätte die ganze Welt so viel von ihm, sie hätte genug. Es ist ein großes Wunder, dass Gott in solcher Fülle bei mir wohnt und mein Herz davon nicht bricht.“ Die Nonne, die von Gottes Güte und der Menschheit Lieben so wunders viel berichtet, ist nach der neueren Forschung eben Christine selber, die das Büchlein vor 1346 verfasste.

 

Christinens Ordensleben war von Anfang an auf eine ganz ausschließliche Hingabe an Gott gerichtet. Sie dürstete nach Opfern und Großtaten. Obwohl noch ein Kind, begann sie ein Bußleben, wie es uns Abkömmlingen einer verweichlichten Zeit als unerträglich erscheint. Christine versagte sich den Schlaf, wonach der jugendliche, von den vielen Klosterübungen ermüdete Leib verlangte, und wenn die Natur zu gewaltig nach ihrem Recht schrie, dann lag sie in dünnem Kleid, bei bitterer Kälte, auf harter Erde oder legte sich gar auf Nesseln nieder und ließ so die bloßen Hände und Füße leiden. Ein härenes Gewand quälte den Leib, den sie bald mit Ruten, bald mit Dornen und Nesseln schlug. Diese Strenge der Kleinen rief natürlich den Widerspruch der Mitschwestern wach. Doch achtete Christine in ihrem leidenschaftlichen Ungestüm nicht auf deren Mahnungen, was ihr manche Härte, Spott und Verfolgung einbrachte. Ob ihres Eigenwillens hatte auch die Oberin mitunter triftigen Grund zu Tadel und Strafen. Christine hatte eben auch ihre Fehler. Davon ist ja kein Heiliger ausgenommen, wie manche glauben möchten. Ganz besonders musste die junge Nonne die bekannte Erfahrung machen, dass der Mensch sich aus eigenem Willen und freier Wahl großen Opfern und Bußen unterziehen kann, während ihm Härten, Verdemütigungen und Prüfungen, die vom Nächsten stammen, schwerste Überwindung kosten. So zögerte Christine einmal, öffentlich, wie verlangt, um Verzeihung zu bitten. Auch versah sich manche ihr übertragene Ämter, besonders das der Schaffnerin mit den vielen Verdrießlichkeiten nur ungern und suchte davon befreit zu werden. Aber die tugendbeflissene Jungfrau war einsichtsvoll und demütig genug, ihre Fehltritte zu erkennen. Sie bereute sie täglich und weinte lange Zeit bittere Tränen darüber. Von Gott selbst aufgefordert, übernahm sie schwerste, öffentliche Sühne. So rang sie mit sich selbst und bezwang ihre aufrührerische Natur, den Eigenwillen und die Ungeduld, so dass sie freudig jede Schmach ertrug und in die niedrigsten und widrigsten Arbeiten willig sich fügte.

 

Die Nonne von Engelthal hatte gelernt, demütig zu sein und in heiliger Furcht Gottes sich selbst zu ersterben, um in Christus zu neuem Leben zu erstehen. Und welch ein wundersames Leben! War sie eine Christine, eine Christusgeeinte im Kreuz geworden, nun würdigte sie Christus auch der Anteilnahme an der glorreichen Verherrlichung. Wirkten Natur und eigene Tätigkeit zusammen, eine wahrhaft schöne Seele zu bilden, viel Größeres noch schuf der Heilige Geist in seinem Liebling. Er teilte sich ihr in der Entrückung mit gleich den Aposteln. Außerordentliche Tröstungen in Gesichten und Ekstasen erquickten sie inmitten der glühendsten Läuterungspeinen. Jesus, der König aller Güte, überschüttete sie mit den Salben und Wohlgerüchen seiner Gnaden und versicherte sie der besonderen Liebe seines Herzens. „Wenn ein Mensch“, sagte ihr der Herr einmal, „alle Dinge, die er inwendig und auswendig haben kann, um meinetwillen verschmäht und so gering achtet als ein Härlein, so verwundet er mein Herz und verbindet mich gleichsam, ihn zu lieben und ihm Gutes zu tun.“ „Ich nehme ein kleines Fünklein von meinem brennenden Herzen und mache dein Herz entbrennen von meiner Liebe; ich nehme ein Wort, das ich auf Erden geredet habe, und mache davon deine Worte süß; ich nehme eine Träne, die ich geweint habe, und pflanze alle deine Tränen darauf, dass sie dir fruchtbar werden; ich nehme einen Geißelstreich, deren ich viele in meinem Leiden empfangen habe, und baue alle Schläge und Streiche darauf, die du fortan empfängst aus Gehorsam oder aus Liebe zu mir.“

 

Klingt uns nicht aus den Gesichten der gottseligen Dominikanerin des dreizehnten Jahrhunderts ganz dieselbe Kundgabe der übergroßen Liebe des Heiligsten Herzens zu den Menschen entgegen, wie sie der Herr im siebzehnten Jahrhundert der heiligen Margareta Maria Alacoque (+ 1690) geoffenbart hat? Ist nicht Christine Ebner eines der vielen seligen Gotteskinder, die die Liebe des Heilands erfasst und erwidert haben, die sein heiliges Herz als Quelle und Sinnbild der Liebe sinnig verstehend verehrt haben? Christine sah in einer Verzückung den Heiland, wie er sie mit einer Krone schmückte und freundlich liebkoste. Darüber wunderten sich die den Herrn begleitenden Heiligen: „O Herr! Welch große Liebe trägst du doch zu dieser Seele und wie tief neigst du dich herab von deiner Hoheit, da du doch ein so großer Gott bist?“ Und der Herr verrät das Geheimnis seiner Liebe: „Ich habe euch auch an mich gezogen und in diese Ehren gesetzt durch meine Güte. Es ist von euch keiner aus eigenen Verdiensten dazu gekommen. Alles was ihr habt und besitzt, das habt ihr von mir bekommen.“

 

Im Leiden hat der gütige Erlöser uns seine größte Liebe bewiesen. Darum durfte Christine ihn auch oft in seinem Leiden schauen. Dabei wuchs ihr liebendes Mitleiden zu solcher Stärke, dass Schmerz und Freude in ihrem Herzen in Eins zusammenflossen. Die Seherin schaute den Herrn am Ölberg, an der Geißelsäule, sie sah ihn am Kreuz. „Er war ein sehr jämmerlich gemarterter Mensch. An seinem ganzen Leb war nichts Gesundes. Jedes Glied hat seinen besonderen Schmerz erlitten. Das Haupt ist sehr verwundet von der Krone, die Stirn blau und rot, worin die Krone gesteckt ist. Es steckten aber noch viele Spitzen von der Krone, die ihm abgenommen war, in der Hirnschale. Die Augen sind erbärmlich und tödlich gestaltet, das Angesicht schwarz und entstellt von dem gestockten Blut, die Wunden an den Händen und Füßen weit voneinander gerissen und verzehrt. Er hatte eine so jämmerliche Gestalt, die keines Menschen Auge je gesehen, noch eine Zunge aussprechen kann. Und sehe ich meinen Herrn in allen seinen großen Schmerzen und bitterem Tod und sonderlich seine fünf Wunden, so habe ich doch große Süßigkeit davon, sonderlich von der Wunde der Seite; die sog ich wie eine Biene die Blumen und hatte die größte Begierde zu dieser Wunde. Da habe ich die allermeiste Lust und überfließende Süßigkeit davon.“

 

Auch den Auferstandenen durfte die glückliche Nonne von Engelthal schauen „mitten unter den erlösten Altvätern. Der Ort, wo sie standen, war wunderlich schön, ein grüner Rasenplatz. Er stand unter ihnen in vollem Glanz, wie der Mond unter den Sternen, und die Seelen sangen mit großer Lieblichkeit: Das ist der Tag, den der Herr gemacht hat“. Dies war an einem Ostertag nach der heiligen Kommunion.

 

O Christinens Kommunion! Eine so gottgeeinte Seele, sollte die nicht mit heißester Sehnsucht und gläubig lebendigen Geistes den im Sakrament weilenden Erlöser Tag und Nacht gesucht und seiner heiligsten Gegenwart sich wonniglich erfreut haben! Jesus in der heiligsten Eucharistie, Jesus in der Heiligen Messe und Kommunion, das war das Leben ihres Lebens, die Seele ihrer Seele! Nach Empfang des Herrn im Liebesmahl war sie gewöhnlich ihrer Sinne entrückt oder sie erkrankte im Übermaß der Gnaden, die in sie einströmten. Als sie sich einmal beklagte wegen des Aufsehens, das solche Vorfälle verursachten, tröstete sie der Herr mit den Worten: „Lass dich das nicht irren; es soll es jedermann wissen, wie ich dich liebe.“ So tat er „an ihr so viele außerordentliche Wunder; aber er tat ihr auch viel Weh“.

 

Die gottselige, reichbegnadete Ordensfrau suchte ihre Visionen und übernatürlichen Tröstungen in Demut sorgfältig geheim zu halten. Erst als 1317 der Dominikaner Konrad von Füßen ihr Beichtvater wurde, teilte sie ihm das Geschaute mit. Er befahl ihr, Aufzeichnungen zu machen. Sie sind in mittelhochdeutscher Sprache verfasst und gehören mit den Tagebüchern Margareta Ebners und der Adelheid Langmann zu den ältesten uns erhalten gebliebenen Erzeugnissen dieser Art. Sie haben darum auch hohen geschichtlichen und sprachwissenschaftlichen Wert.

 

Viel genannt und gerühmt war so der Name der wundersamen Seherin von Engelthal bei ihren Lebzeiten. „Die Gottesfreunde“, besonders Tauler (+ 1361) und Heinrich von Nördlingen verbreiteten ihren Ruf weithin in die Lande. Christinens mitleidsvolles, liebendes Herz, das schon die Armen Seelen im Fegfeuer zu ihrem größten Gewinn für sich beanspruchten, vermochte kaum mehr den zahlreichen Empfehlungen in ihr wirksames Gebet zu genügen. Im Jahr 1350 kam König Karl IV., ein Bischof, drei Herzöge und viele Grafen zu Christine. Die knieten vor der armen Ordensfrau nieder und baten um ihren Segen. Zitternd hob die greise Nonne ihre schon welken Hände und segnete den, von dem sie nach Gott den Frieden und die Wohlfahrt ihres Volkes erhoffte. Nicht lange mehr genoss sie das nach dem langen Streit wieder aufblühende Glück. Am 27. Dezember, dem Festtag des Lieblingsjüngers Johannes, 1356 ging sie zur nimmer endenden Anschauung Gottes ein. Trotz aller Strenge gegen ihren Leib hatte sie beinahe achtzig Jahre erreicht.

 

Ein katholischer Gelehrter vergleicht die Tiefempfindlichkeit mancher Seelen mit dem blitzartigen Schauen und Ergriffensein der Künstler. Der von Natur höchst veranlagte Künstler schaut seine Ideen in Bildern voll Leben und Schönheit. Nur wenn sie der Wahrheit entsprechen, sind sie schön. Auch die Heiligen sind Künstler, die unter dem Einfluss der Gnade von Gott in ihrer ganzen Seelentiefe mächtig und nachhaltig ergriffen werden, unter höchster Wonne und tiefstem Schmerz zugleich. Sollte auch einmal das eine oder andere der Gesichte solch mystischer Seelen der eigenen Künstlernatur entspringen, ihr „Ergriffensein von Christus“ (Philipper 3,12), sein sie durchflutendes Licht wird keinen wesentlichen Irrtum der Sache nach aufkommen lassen. – Aber, klagst du, was wird aus mir trockenen, ausgegossenen Alltagsmenschen? Mit meiner Industrieseele kann ich nur mühsam die Gottesgedanken ausgraben. Von tieferer Erkenntnis keine Spur! Doch „ein jeder darf hoffen“, trösten die Geistesmänner. Nachschaffender Künstler darf, ja soll jeder sein. Schaue Jesu Bild und Gesichte im Tabor- oder Weihnachtslicht und im Ölbergnachtsdunkel! Sie strahlen für jedermann klar im Evangelium. Danach schaffe das Bild deiner Seele. Jesu Herz ist weit; gar tief seine Liebe. „Aus diesem Brunnen schöpfe das Wasser der ewigen Seligkeit heraus,“ so viel du willst. Und ist dein „Seil, das in den Brunnen geht, auch gar hehl (heil, glatt), dass es dir immerdar ausschlüpfen“ möchte, so schöpfe nur „mit vieler Beschwernis und rechter Geduld“ nach Christine Ebners Beispiel und Wort. Dann wird dein Seelelein, worinnen dein Herr „doch ist mit seiner Barmherzigkeit“, ein wundersames Kunstwerk des Heiligen Geistes, der überall weht.