Deckengemälde in der Klosterkirche Tegernsee: hl. Benediktiner
Ob wohl alle, die in der Weltgeschichte einen großen Namen haben, wirklich die großen sind und wahrhaftig mehr geleistet haben als die ungezählten Kleinen, auf denen der Fluch der Bedeutungslosigkeit lastet wie ein druckschweres Zentnergewicht? Ob es nicht bei Gottes Endgericht einmal herauskommt, dass das arme Mütterlein im Winkel mit seinem Rosenkranz größeren Einfluss gehabt hat auf den Lauf der Weltgeschichte als ein Cäsar oder ein Napoleon? Die in der Welt die Verachtetsten waren und offenkundig in allem Missgeschick hatten, können leicht im Reich Gottes die Größten sein und manch einer der mächtigen Weltherrscher wird in der Ewigkeit ihnen dankbar die Hand drücken und ein kräftiges Vergeltsgott sagen müssen für das, was diese unbekannten Lenker der Weltgeschichte für sie an Gebet und Werken der Geduld aufgeopfert haben.
Ich meine, gar viele, die nach dem Jahr 1000 bis gegen die Mitte des 11. Jahrhunderts lebten und einen klangvollen Namen haben, müssen einmal im Himmel einen Dankbesuch machen beim seligen Abt Ellengar von Tegernsee. Dem ist auf Erden schier alles missglückt, was er begonnen hat; und wenn ihm irgendwo und irgendwann einmal etwas gelang, später hat es sich ein anderer zugemessen; am Ende seiner Mühen aber ist er gar noch da gestanden als ein Missetäter, bis man an seinem Grab erkannte, dass man einen Heiligen unschuldig verfolgt hatte.
Ellengar, Ellinger, mag zwischen 980 und 990 geboren sein. Er selber schreibt in einem Brief, dass er ein Landsmann des gelehrten Mönches Froumund von Tegernsee sei. Aber leider wissen wir dessen Heimat auch nicht. Zweifellos ist Ellengar am Hof eines Erzbischofs für das Priestertum herangebildet worden. Davon erzählt er selber in einem Brief, der nicht sehr lange nach dem Brand Tegernsees im Jahr 1035 geschrieben sein kann. Von diesem ungenannten Erzbischof – in Frage können nur kommen Bardo von Mainz, ein Verwandter der damaligen Kaiserin Gisela, Gemahlin Konrads II., oder Bischof Thietmar von Salzburg – war er zum Priester geweiht worden, hatte ihm als Kaplan gedient, und wenn Ellengar vom Jahr 1017 bis 1026 und noch einmal von 1031 bis 1041 als Abt von Tegernsee erscheint, mag ihn der ungenannte Erzbischof kraft seines Einflusses beim kaiserlichen Hof für jene verantwortungsvolle Stelle empfohlen haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist Ellengar vor seiner Ernennung zum Abt noch nicht Mönch gewesen, sondern hat erst kurz vor seiner Abtweihe Profess gemacht, ein Fall, der in jener Zeit nicht selten war. Für Ellengar war das hohe Amt mehr Bürde als Würde, denn die Mönche, die er zu Tegernsee antraf, waren zwar nicht eben schlimm, aber auch gerade keine Eiferer für das Gesetz des Herrn: und wie schwer man sich mit diesen lauen Leuten tut, kannst du dir unschwer vorstellen. Um so mehr Eifer scheint Ellengar selbst gehabt zu haben, denn alsbald hören wir in den Nachrichten aus jener Zeit von Klagen, die die Mönche über die Strenge des neuen Abtes erhoben. Unter feindseligen Menschen, deren verärgerte Stimmung deutlich aus ihren Mienen spricht, ruhig aushalten, ist anerkanntermaßen kein leichtes Stück. Vielleicht bist du schon selber in einer solchen Lage gewesen und kannst es dem armen Ellengar lebhaft nachfühlen, wie ihm mag zumute gewesen sein! Um so größer aber ist das Werk, so einer nicht nur gelassen auf dem harten Posten ausharrt, sondern sogar es sich angelegen sein lässt aus den steinernen Herzen einen Funken von Eifer herauszuschlagen. Es muss als hohe Ruhmestat Ellengars gepriesen werden, dass sich unter seiner Regierung Zucht und Ordnung im Kloster bedeutend hoben. Eines der Mittel, die er anwandte, darf nicht verschwiegen werden: er lenkte den Sinn der Mönche auf das Studium hin, das die Seele vor vielen Schäden bewahrt. Mit Ellengar hebt die Blütezeit Tegernsees auf dem Gebiet der Wissenschaften an, auf dem von allen Gelehrten die bleibende Bedeutung des Klosters gesucht wird. Der Abt gründete nämlich eine neue Schule. Als kluger, wohl rechnender Mann sorgte er auch dafür, dass die neue Schöpfung nicht so rasch verfalle: er legte es dem frommen Ritter Adalbero von Sachsenkam nahe, durch eine ausreichende Stiftung für den Bestand der Schule zu sorgen. Auch von Kaiser Heinrich dem Heiligen erbat er sich Spenden für diesen Zweck und erhielt sie auch. Aber das alles zählte nichts in den Augen jener Mönche, die für ein strengeres Klosterleben nicht zu haben waren. Für seine Mühen statteten sie ihm einen sonderbaren Dank ab: sie hetzten in so geschickter Weise gegen ihn und brachten es schließlich fertig, dass er von den geistlichen und weltlichen Vorgesetzten seines Amtes enthoben wurde. Und nun zeigte sich die Größe seiner Seele. Er hätte dem undankbaren Tegernsee den Rücken kehren können – hättest du es in seiner Lage nicht getan? Ellengar bewies aber, dass ihm das Gebot der Feindesliebe nicht bloß auf den Lippen schwebte, sondern ins Herz gewachsen war. So blieb er also in Demut als einfacher Mönch zu Tegernsee und machte sich dort seinen Feinden nützlich, insonderheit durch Abschreiben von Büchern. Fünf Jahre verbrachte er in dieser Trübsal. Soll uns das nicht ein kraftvoller Antrieb sein, in Geduld und Demut auszuharren, wenn wir etwa auch einmal von unseren Feinden, Gegnern, Neidern in ein armseliges Winkelchen gedrückt werden und dort länger uns bescheiden müssen als uns lieb sein kann? Wie oft kommt es im Leben vor, dass einer um seine gute Stelle gebracht wird von missgünstigen Leuten. Dann mag er sich getrösten, dass er das gleiche Schicksal erlitten hat wie der selige Ellengar. Mag er dann auch stark sein und seine Sache Gott befehlen wie er!
Denn nicht immer kann man sich mit Sicherheit damit trösten, dass auf Regen Sonnenschein folgt. In trüben Sommern reißt wohl manchmal der Nebelschleier und die kraftvolle Sonne macht uns frohe Hoffnung auf viele lichte Tage. Aber bald ziehen die alten drohenden Wolken wieder am Horizont herauf und sagen uns, dass wir zum Dulden ebensogut geboren sind wie zur Freude. So war es auch in Ellengars Leben. Im Jahr 1031 wurde Ellengar wieder in seine Rechte als Abt von Tegernsee eingesetzt, um doch nach zehn Jahren wieder abgesetzt und vertrieben zu werden. Zunächst entfaltete er in Tegernsee und Benediktbeuren eine reiche Tätigkeit als Wiederhersteller der klösterlichen Lebensordnung. Aber auch um die zeitliche Wohlfahrt der ihm anvertrauten Herde kümmerte er sich ohne Unterlass. Indes gerade in dem Augenblick, da das Kloster glänzend dastand, zeigte sich, dass Ellengar zu den Lieblingen Gottes gehörte, die durch Leiden sich ihre herrliche Krone verdienen müssen: im Jahr 1035 brannte sein schönes Kloster gänzlich ab. Was man den Flammen entriss, raubten im folgenden Jahr die Diebe. Ellengars Lebenswerk war vernichtet. Und wäre es bloß dies gewesen! Die alten Feinde des eifrigen Abtes standen wieder auf und versuchten ihn zu stürzen. Sie behaupteten, die Schuld am großen Brandunglück trage er. Leider hatten sie nur allzu großen Erfolg. Der Bischof von Freising, der Erzbischof von Salzburg und endlich Kaiser Heinrich III. ließen sich von den Anklägern so gegen Ellengar einnehmen, dass er sich umsonst verteidigte. Er wurde am 3. Oktober 1041 wieder abgesetzt. Nun muss dabei eins eigens festgehalten werden: während der Zeit, da seine Feinde gegen ihn gehetzt und seinen Sturz betrieben hatten, war er nicht müßig gewesen. Er hatte Kloster und Kirche neu gebaut. Und nun ein solcher Dank für alle seine Mühen! Der harte Spruch seiner Richter verlangte von ihm überdies, dass er die Stätte seines Wirkens verlasse und in die Verbannung nach Niederalteich an der Donau gehe. Dort lebte er noch fünfzehn Jahre in stiller Zurückgezogenheit. Neben Gebet und anderen geistlichen Übungen widmete er sich abermals der Fertigung von Handschriften. Gott gab ihm noch den Trost, dass er in seinem Todesjahr in seine Klosterheimat zurückkehren konnte. Jetzt erst erkannten die Mönche von Tegernsee, dass sie einen heiligen Dulder verfolgt hatten und säumten nicht, ihm die gebührenden Ehren zu erweisen, umso mehr, als an seinem Grab besondere Gebetserhörungen stattfanden.
Von Ellengar mögen wir lernen den erhabenen Königsweg des Kreuzes zu gehen, weil er der sicherste von allen Himmelswegen ist. Wer ihn gehen darf, ist so recht ein vertrauter Freund Gottes. Ein solcher arbeitet nicht für sich allein, sondern muss durch geduldiges Ertragen seiner Misserfolge vielen Seelen Gnade vor Gott verdienen, dass sie nicht verloren gehen. Beim Gericht wird die Welt mit Staunen zu ihnen aufblicken und sagen: „Die sind es, die wir verachtet haben, siehe, wie sind sie gezählt unter die Heiligen Gottes!“
Ellengar wurde im Jahr 1236 seliggesprochen.