Selige Elsbeth von Ungarn, Dominikanerordensfrau in Töss, + 31.10.1336 – Gedenktag: 31. Oktober

 

Wie vielen deutschen Klöstern, so brachte die kirchliche Umwälzung des sechzehnten Jahrhunderts auch manchem blühenden „Gotteshaus“ in der Schweiz den Untergang. Damit ging auch die Verehrung und das Andenken derer unter, die sich an diesen Gebetsstätten in stiller Entsagung, Überwindung und Ausdauer geheiligt hatten.

 

Im Kloster Töss bei Winterthur im Kanton Zürich herrschte echter religiöser Geist. Die berühmteste der Tösser Nonnen ist die hochgebildete Elsbeth Stagel, des Züricher Ratsherrn Rudolf Stagel strebsame Tochter, die sich auch im geistlichen Leben nicht mit Mittelmäßigem begnügte, sondern jede Gelegenheit zum Fortschritt und Gewinn für die Seele eifrigst benützte. Am seligen Heinrich Seuse (Suso) fand sie den vorzüglichsten Lehrer. Die edle Schülerin gab aber wieder reichlich zurück, was sie empfing. So sind die Gotteskinder. Sie nahm Einfluss auf Seuses schriftstellerische Tätigkeit. Ihren Aufzeichnungen verdanken wir das schönste und innigste Werk der deutschen Mystik, Seuses Leben. Elsbeth Stagel hinterließ uns aber noch ein anderes selbstständiges Werk, „ausgezeichnet durch gewandte Darstellung und tiefe Auffassung“, nämlich die Lebensbeschreibung der vierzig Schwestern von Töss. „Darin steht,“ wie Heinrich Suso urteilt, „unter anderen Dingen von den verstorbenen heiligen Schwestern, wie selig die lebten, und was großes Wunders Gott mit ihnen wirkte, das sehr anregend ist zur Andacht gutherziger Menschen.“ Die gottselige Schreiberin Elsbeth Stagel, die „als ein Spiegel aller Tugenden unter den Schwestern wohnte“, geprüft durch langwierige, qualvolle Krankheit, beschloss ihr gottgefälliges Leben gegen 1360 mit einem seligen Tod.

 

Mehr als eine der Schwestern, deren Leben uns Stagel beschreibt, verdiente eingehendere Behandlung und „vielleicht gar mit dem offiziellen Heiligenschein geschmückt zu werden“. Eine Verehrung scheint sich jedoch nur bei der heiligmäßigen Mechthild von Stans gebildet zu haben, von der man sich Wunder erzählte. Doch ist auch ihr Kult längst erloschen.

Nicht viel besser steht es mit dem vornehmsten, aber auch unglücklichsten Menschenkind, das je an die Pforten des Klosters Töss geklopft und dort das Glück und die Ruhe der Seele gefunden hat, mit Elsbeth von Ungarn. Zu ihren Lebzeiten und nach ihrem Tod sollen auf ihre Fürbitte hin Wunder geschehen sein. Heute ist auch ihr Grab verschwunden. Die Grabplatte befindet sich im Schweizerischen Landesmuseum zu Zürich. Doch führen die Bollandisten in ihrem großen Heiligenwerk Elsbeth von Ungarn, die Tösser Nonne, unter dem 6. Mai auf und geben ihr den Titel einer Seligen.

 

Elsbeth war die Tochter des Königs Andreas III. von Ungarn, somit blutsverwandt mit der ein Jahrhundert früher durch Heiligkeit blühenden großen Elisabeth von Thüringen (+ 1231), deren Vater Andreas II. war. Ein Königskind und doch bitter arm! So arm war Prinzessin Elsbeth, dass man ihr die Luft am Königshof zu Ofen nicht gönnte. War doch dem Kind die Mutter gestorben und in Agnes, der Tochter König Albrechts von Österreich, eine schlimme Stiefmutter in die Burg von Ofen (Buda-Pest) eingezogen. Nach der Sitte der Zeit wurde Elsbeth, die rechtmäßige Thronerbin von Ungarn, dem jungen Königssohn Wenzel von Böhmen versprochen. So winkten ihr zwei Königskronen. Und doch sollte sie nach der Menschen Bosheit und Gottes höherem Rat keine davon aufs Haupt drücken. König Andreas, Elsbeths Vater, starb 1301. Da nahmen die Großen des ungarischen Reiches der Tochter das Erbe, um es einem Fremden zu geben. Nun wollte freilich auch der künftige Böhmenkönig keine Braut ohne Land mehr heimführen, und um das Maß voll zu machen, setzten die abtrünnigen Ungarn ihre rechtliche Thronerbin nebst ihrer Stiefmutter in der Königsburg zu Ofen in so harte Gefangenschaft, dass sie ihre Wertsachen verpfänden mussten. Die lieb- und kinderlose Stiefmutter scheint es der Tochter arg übel genommen zu haben, dass sie ihretwegen solches Ungemach hatte leiden müssen. Wohl wurde Prinzessin Elsbeth vom habsburgischen Familienrat dem Herzog Heinrich von Österreich als Braut zugesprochen. Aber wie es nicht selten einem armen, duldenden Menschenkind geht, dem der Kreuzesbräutigam schon den Brautring an den Finger gesteckt hat, wenn es dem Ziel auf eines Schrittes Länge nahe ist, entreißt es ihm immer wieder eine unsichtbare Hand. Der Vater der Königin Agnes, Albrecht von Österreich, als deutscher Kaiser Albrecht I., wurde 1308 ermordet. Um an den Mördern Rache zu nehmen, zog Königin Agnes nach Schwaben. Sie führte auch ihre Stieftochter dorthin mit und ließ ihr, wie die Chronik sagt, ihres eigenen Willens nicht mehr, als dass sie unter den Klöstern Schwabens wählen durfte, welches sie wollte. Die sechzehnjährige Prinzessin, Ungarns Thronerbin, ergab sich in ihr hartes Los und wählte Kloster Töss am Flüsschen Töss, das westlich vom Bodensee in den deutschen Rhein mündet, altes, alemannisches (schwäbisches) Gebiet. Und als die Stiefmutter schon nach fünfzehn Wochen, Elsbeth den Schleier zu geben und sie dann Profess machen zu lassen, da neigte sich das gute Kind in Demut und Ergebung zu.

 

Wohl dem, der in der Verfolgung durch Menschen die führende Hand Gottes sieht! Elsbeth erkannte und ergriff gläubig diese auch im Schlagen gütige Hand. Sie nahm das Joch des Ordenslebens mit so ehrlich gutem Willen, nun auch ihrerseits freiem Willen auf ihre schwachen Schultern, dass man hätte glauben mögen, sie wäre von Anfang an mit ureigenstem Verlangen ins Kloster gegangen. „Um meiner Brüder, meiner Freunde willen wünsche ich Frieden über dich“ (Psalm 122,8), so konnte das viel heimgesuchte Menschenkind seine stille Friedensstätte segnen. Und es wurde zum Segen! Muster und Vorbild der Entsagung, der Geduld und aller Ordenstugend war die junge Schwester. Sich selbst beherrschen und besiegen, war ihr einziger Ehrgeiz. Vorbildlich war ihr Eifer im Gebrauch des heiligen Bußsakramentes, zur Nachahmung aneifernd ihre Liebe zum Chor. Gegen alle Mitschwestern war sie die Güte selbst, auch da, wo man ihr wenig freundlich begegnete. Doch genoss sie die Liebe und Achtung des ganzen Konvents. Wie wohl ihr diese Liebe tat! War doch ihre Jugend unter einer „grimmen, harten“ Frau Hofmeisterin mit so viel Bitterkeit angefüllt, dass die Nonnen urteilten, das arme Königstöchterlein sei der „Martyrer Genossin“ gewesen. Und doch hatte es sich nicht aufgebäumt gegen der Weltmenschen böse Zuchtrute. Da war des Herrn sanfte, milde Zucht im Gotteshaus zu Töss minniglicher Trost und duftender Balsam dem wunden Herzen.

 

Herzog Heinrich kam ins Land, seine Braut zu suchen. Als er sie in Töss fand und den Schleier auf ihrem Haupt sah, wurde er sehr zornig. Er riss ihr den Schleier ab und trat ihn mit Füßen. Hatte er denn nicht das erste Recht auf die Königstochter? Dann aber wurde der Herzog wieder mild und gut und bat: „Komm mit! Kehr heim nach Österreich! Ich werde es dir nie nachtragen, dass du den Schleier getragen hast.“ Da war auch Elsbeth gerührt; wonniglich warm wallte ihr das Blut, aber zugleich pochte es bitter herb in der bebenden Brust. Lange vermochte sie nicht zu antworten. Dann bat sie: „Lass mich allein! Ich will alles mit Gott überdenken.“ Und sie ging zu dem, der ihr immer die Quelle des Trostes war in aller Not. Vor dem Heiland im Sakrament auf die Knie niedergeworfen, rief sie flehentlich: „Ach Gott, tu mir deinen Willen kund!“

 

Ein schwerer Kampf begann. Ein Ringen um Erkenntnis der Forderung des Herrn, ein Kämpfen mit den Wünschen und Forderungen der menschlichen Natur. Hat sie, die Königstochter, nicht ein Recht auf Land und Leute? Hat man sie nicht ins Kloster gezwungen? Sie, die Herzogsbraut! Es schien ihr, sie müsse heim, dem irdischen Bräutigam folgen. Aber hat nicht der liebe Heiland, der ihrer schon von Ewigkeit in Liebe gedacht, der sie in blutiger Minne gefreit, doch ein höheres Recht auf sie? Es däuchte sie, Gott müsse es gefallen, wenn sie arm und elend bliebe für ihn, wie er für sie arm und elend gewesen. Und sie gab sich ganz in Gottes Wohlgefallen. Aber so weh geschah ihr in dieser Stunde, dass Blut von ihren Lippen quoll und sie wie tot zu Boden sank. Man brachte sie wieder zu sich. Elsbeth sagte dem Herzog ab. Sagte ab der Welt. Und niemand, keiner der hohen Verwandten kümmerte sich ab diesem Tag mehr um sie. Aber auch sie war ledig des widerlichen Streites, der schon vorher und nachher wieder um Ungarns Krone tobte.

 

Nun hat der liebe Vater im Himmel in seinem Lohnbuch eine ganz andere Folge und Ordnung, als bei den Menschen üblich und ihrem Verständnis entsprechend ist. Für das herzhafte, mit Blut besiegelte Opfer gab der Herr seiner Treuen Auserwählten dieselbe „Heimsteuer“, die er auch seinem eingeborenen Sohn bestimmt hatte: Leid über Leid. Seit dem vierten Jahr ihres Klosterlebens war Elsbeth vielfach von Krankheiten heimgesucht und beinahe unausgesetzt gemartert. Da war es ihre Geduld, durch die sie ein förmliches Apostolat ausübte. Welt- und Ordensleute empfahlen sich in ihr Gebet. Das Allerleidvollste sollte aber über sie kommen, als die Ärzte sie nach einem schweren Siechtum zum Kurgebrauch nach Baden im Aargau schickten, das ja damals den Habsburgern gehörte. Wohl zeichneten die Großen unter der Kurgesellschaft die einstige Königstochter mit hohen Ehren aus. Aber dass sie des nicht stolz und in ihrem geistlichen Leben nicht geschädigt wurde, dafür sorgte nach Gottes Zulassung wiederum die Stiefmutter. Sie soll der Stieftochter, die sie schier wie die ärmste Jungfrau aus dem Volk ins Kloster geschickt hatte, all die wundervollen Kleinodien gezeigt haben, die der Vater zusammengebracht und der Tochter vermeint hatte. Ist es möglich, dass ein Mensch seinen Nächsten noch im bittersten Leid quälen kann? Wir dürfen es der alten Lebensbeschreibung glauben, wenn sie meint: Solch eine Härte tat ihr weher denn einst das Scheiden aus ihres Vaters Königreich.

 

Nach dem Kurgebrauch wieder etwas an ihrer Gesundheit gebessert, fing die gottselige Ordensfrau ein noch viel ernsteres Leben an als das bisherige, das doch ohnehin schon auf einer nicht geringen Höhe stand. Rührend war ihre Demut. Damit bewies sie die Aufrichtigkeit und die Tiefe ihres Strebens nach Vollkommenheit. Als da einmal ein Visitator nach ihrem Namen fragte, sagte sie schlicht: „Ich heiße Elisabeth von Ofen.“ Auf die zweite Frage, ob sie denn dort auch geboren wäre, antwortete sie mit kurzem Ja. Da warf ihr der übelgelaunte Herr die Rede hin: „Musst schon eine dunkle Vergangenheit haben, dass du aus so fernem Lande hierher in die Fremde gegangen bist!“ Elsbeth litt den Verdacht ohne ein Wort der Aufklärung. Im Chor aber klagte sie dem lieben Heiland, ihrem besten Tröster, ihr Herzeleid. Dort war überhaupt ihr liebster Ort, das Gebet ihr kräftigstes Heilbad. „Kinder,“ so unterbrach sie die anregendste Unterhaltung mit den jungen fröhlichen Mitschwestern, „ich will hingehen, etwas voranzusenden in die künftige Heimat, damit ich etwas vorfinde, wenn ich einmal selber hinkomme.“ Sie verfasste auch schöne deutsche Gebete, mit Vorliebe solche zur seligsten Jungfrau.

 

Zur zeitweisen Erfüllung ihrer Gebetspflichten im Chor fühlte sich die erprobte Dulderin auch öfters durch die sichtliche Hilfe der heiligen Elisabeth, ihrer großen Verwandten, gestärkt. Gegen Ende ihres Lebens bedeckte sich ihr Leib mit Geschwüren und offenen Wunden. Eine harte Pein! Aber in voller Ergebung und Geduld ertrug das fromme Gotteskind diese letzte Prüfung. Auf dem Sterbebett flehte sie: „Herr, mein Gott, mein Schöpfer, mein Erlöser und mein Seligmacher! Sieh mich heute an mit deinem grundlosen Erbarmen und nimm mich in dein ewiges Vaterland von dem Elend dieser Erde, durch dein würdiges Leiden und deinen bitteren Tod. Ersetze du mir die Verlassenheit, in der ich von dieser Welt scheide; denn ich erinnere mich nicht, einen Menschen von meiner Verwandtschaft gesehen zu haben, seit ich von meines Vaters Land schied.“

 

Die arme Nonne von Töss, der in der Jugend des Glückes und Erdengutes viel verheißen zu sein schien, konnte bei ihrem Scheiden von dieser Welt, am 31. Oktober 1336, allen Rechtes ihrem göttlichen Meister mit der Frage begegnen: „Siehe, ich habe alles verlassen und bin dir gefolgt; was wird mir dafür zuteil werden?“ Wie dem Petrus mag der Herr ihr geantwortet haben, dass auch sie „auf einem Thron der Herrlichkeit sitzen werde“. Denn „jeder, der Haus, Bruder, Schwester, Vater, Mutter, Kind und Acker um meines Namens willen verlässt, wird alles hundertfach wieder erhalten und das ewige Leben erben“ (Matthäus 19,27-29).

 

Gott hat nur Wohlgefallen an freiwilligen Opfern. Oft und immer wieder, bei jeder Prüfung vor der Einkleidung und Profess lässt die Kirche den Ordenskandidaten und die Postulantin fragen, ob ihr Schritt ein freiwilliger ist, ob sie nicht gezwungen eingetreten sind. Eine nicht freiwillige Profess ist kirchenrechtlich ungültig. Wie oft kommt es aber in weltlichen Berufen oder im Ehestand vor, dass jemand von den Verhältnissen und den Menschen wider Willen hineingedrängt wird? Kann so ein armes Menschenkind noch glücklich werden? Auf welchem Weg? Dass es eben nachher, wie die Klügeren vor der Entscheidung, großherzig und „um des Namens Jesu willen“ die Opfer und Verpflichtungen ihres Berufes auf sich nimmt und erfüllt. Da gilt erst recht des heiligen Augustinus Wort: „Bist du nicht berufen, so mache dich berufen!“ Solch größerem Opfer wird die Verheißung des Herrn vom Hundertfachen sich vollstens erfüllen. Den still Entsagenden, den frommen Duldern wird das ewige Leben wie eine große Überraschung sich auftun. Froh erstaunt werden sie sehen, dass auch sie Helden der großen Tat sind, dass auch ihrem Erdenwandel ein Werk gelungen ist – die stille Entsagung. 

 

(Elsbeth Stagel, Tösser Nonne - Lebensbeschreiberin der Elsbeth von Ungarn)