Wo die bayerischen Alpenberge wie gewaltige Finger zum Himmel weisen, im Städtchen Füssen, wurde am 11. Januar 1819 einem braven Pfarrmesner ein Söhnlein geschenkt, das sechste von zwölf Kindern, das den Namen des großen Indien-Apostels Franz Xaver erhielt. Seinem heiligen Namenspatron würdig nachstrebend, sollte dieses Gotteskind auch einst über das weite Meer in die Fremde fahren, um in Nordamerika unter den vielen eingewanderten katholischen Deutschen zu missionieren.
Auf Veranlassung und mit Beihilfe eines Füssener Geistlichen kam Xaver zum Studieren nach Augsburg und später auf die Universität nach München. Nach reiflicher Prüfung hatte er sich für den Priesterstand entschieden, ja seine Sehnsucht ging dahin Missionar zu werden. Verriet dieser Entschluss schon seinen großen Starkmut, so noch mehr die Art seiner Ausführung. In den letzten Ferien, die Xaver bei den Seinigen zubrachte, sprach er mit seinem Vater nur auf ganz allgemeine Weise über sein Vorhaben und konnte leicht herausfinden, dass jener mit einem solchen Schritt ganz einverstanden wäre. Obwohl er nun wusste, dass sein Aufnahmegesuch in die Kongregation der Redemptoristen bald ankommen werde, ließ er doch kein Wort darüber vor seinen Eltern, seinen Brüdern und Schwestern verlauten. Herzlich nahm er Abschied von ihnen; er sah keines je wieder. Ins Seminar in Dillingen eingetreten, erhielt er nach kaum einem Monat die Anweisung für die amerikanischen Missionen. Ohne mehr die Seinigen zu besuchen, was er noch hätte leicht tun können, reiste Seelos von der Stätte der lieben Mutter Gottes in Altötting aus, wo die Redemptoristen damals eine Niederlassung hatten, geradewegs über Paris, Le Havre und den weiten Ozean nach Baltimore ins Noviziat. Und doch war Franz Xaver während seines ganzen Lebens seinen Familienangehörigen mit besonderer Liebe zugetan, wie dies aus seinen Briefen hervorgeht. Als er später einmal gefragt wurde, ob er nicht einmal sein Vaterland wieder besuchen möchte, gab er die eines Dieners Gottes würdige Antwort: „Nein, solange ich noch ein Kreuz in Amerika finde.“
Mit ganzer Seele erfasste der gottbegeisterte junge Mann die Aufgabe des Noviziates: „Völlige Wiedergeburt des inneren Menschen nach dem Vorbild Jesu Christi, unseres Stifters und Erlösers.“ Am 22. Dezember 1844 zum Priester geweiht, gehörte er nun nicht mehr sich, sondern Gott und den Mitmenschen. Voll Sammlung und Andachtsglut am Altar, war er der verkörperte Eifer im Beichtstuhl, am Krankenbett, in allen Zweigen der pfarrlichen Seelsorge, in der er zuerst verwendet wurde. In der bevölkerungsreichen Stadt Pittsburgh stand er unter dem ehrwürdigen Pater Neumann, der später Bischof von Philadelphia wurde, während ihm Pater Josef Müller aus Dinkelsbühl in Bayern, der sich schon als Kaplan in Aichach und Augsburg große Verdienste erworben hatte, zur Seite stand. Drei heiligmäßige Männer wirkten hier zusammen, um eine riesengroße Aufgabe unter harten Entbehrungen zu bewältigen. Aber Arbeit und Entbehrung war ihm gerade lieb. Nach dem Beispiel seines heiligen Ordensstifters schätzte er jede Minute Zeit hoch ein. Gebet, Studium und Arbeit wechselten einander ab. Er wollte sich nicht immer in Arbeiten nach außen ergießen, um schließlich innerlich selber zu vertrocknen. „Wie gerne möchte ich das Geschäft der Maria üben,“ schrieb er einmal, „in stiller Zurückgezogenheit zu den Füßen des Herrn . . . Doch da ruft nicht bloß eine Martha um Beistand und Hilfe, nein, da kommen Weiße und Schwarze, Deutsche und Engländer, Hausgenossen und Auswärtige, Geistliche und Weltliche, Vornehme und Arme usw. Die einen wollen dies, die einen das. Ruhe gibt es keine.“
Mit ganzer Seele war Pater Seelos Redemptorist. Für seine teure Kongregation opferte er alles. Mehrmals war er Oberer, Novizenmeister und auch Studentenpräfekt. „O es ist schön, im Orden zu leben, aber noch schöner, darin zu sterben.“ Wie sehr man ihn liebte und seine Kraft schätzte, ersehen wir aus einem merkwürdigen Vorgang. Als er einmal spät in der Nacht aus dem Beichtstuhl kam, zersprang ihm ein Blutgefäß und ein starker Strom Blutes ergoss sich aus seinem Mund. Da bot sein Beichtvater, Pater Poirier, Gott dem Herrn sein Leben für das des teuren Pater Seelos an, und der Herr erhörte augenscheinlich diese heroische Bitte. Pater Poirier starb nach etlichen Tagen und Seelos erholte sich wieder.
Im Regelbuch der Redemptoristen heißt es: „Die heiligen Missionen sind nichts anderes als eine fortgesetzte Erlösung, die der Sohn Gottes unablässig mittels seiner Diener hier auf Erden vollbringt.“ Daher war Pater Seelos mit vollster Hingabe „Gehilfe, Genosse und Mitarbeiter Jesu Christi“ an dem großen Werk der Erlösung. Besonders in den Jahren 1863-1866 wirkte er als Missionsoberer, ein Amt, das hohe Anforderungen stellt. In seiner Demut hielt er sich freilich nie dafür geeignet, hatte aber wohl gerade deshalb große Erfolge. Überall galt er dem Volk als „Heiliger“. So hatte man ihn schon vorher in Pittsburgh genannt. In Baltimore kam es vor, dass eines Tages ein kleines Mädchen dem Diener Gottes auf der Straße nachging und in seine Fußstapfen zu treten suchte in der Überzeugung, dass es ihm großen Segen bringen werde. Die Tat des treuherzigen Kindes spiegelt die Anschauung des Volkes wider.
Einst kam ein Mann auf Krücken zum Diener Gottes und bat ihn, dass er seinen gelähmten Gliedern die Kraft wieder gebe. Der Pater widersprach, dass er doch diese Macht nicht besitze. Da warf der Mann seine Krücken weg und erklärte, er werde das Haus nicht verlassen, bis er ihn geheilt habe. Als Pater Seelos diesen Glauben sah, betete er über den Gelähmten und er wurde wirklich geheilt. Ein Mann, namens Sell, war vom Gerüst gefallen und hatte sich so schwer verletzt, dass drei Ärzte ihn für hoffnungslos verloren erklärten. Die Rippen der rechten Seite waren gebrochen, die linke wies eine tiefe Wunde auf; dazu kamen innere Verletzungen. Nach einigen Tagen fühlte denn auch der arme Mann, dass er jetzt sterben müsse. Er seufzte bitterlich, dass er nun seinen Kindern nicht mehr Vater sein könne. Dem Diener Gottes ging das zu Herzen. Er ließ die Kinder um das Bett des leidenden Vaters knien und er selbst betete mit so inbrünstigen Worten um die Gesundheit des Mannes, dass alle in Tränen ausbrachen. Dann sprach er mit aller Bestimmtheit zum Kranken: „Herr Sell, Sie werden diesmal noch nicht sterben, sondern wieder gesund werden und arbeiten können.“ So geschah es. Er wurde allmählich gesund und lebte noch neun Jahre.
Das Urteil und die Verehrung des Volkes für Pater Seelos sprach nach seinem Tod auch die Baltimorer Volkszeitung in den Worten aus: „Der Orden der Redemptoristen hat an ihm eine seiner schönsten Zierden, die Katholiken einen ihrer eifrigsten Missionare, die Kirche einen musterhaften Priester verloren, der Himmel aber einen Heiligen, einen Martyrer gewonnen. Liebe, Milde, Frömmigkeit sprachen aus seinen Zügen und seine Predigten und Ermahnungen im Beichtstuhl erzwangen sich Gehorsam gerade durch Liebe und Güte. Er war in der Tat ein Mann, der durch seine Herzensgüte, durch seine aufrichtige Teilnahme für alle Bedrängten, seine Einfachheit und Herablassung sich die Herzen aller erwarb.“
Nicht anders urteilten auch die Bischöfe. Als Bischof O`Connor von Pittsburgh sein bischöfliches Amt niederlegen wollte, um in den Jesuitenorden einzutreten, empfahl er dem Heiligen Stuhl den Pater Seelos als den Würdigsten zum Nachfolger. Gerade bei dieser Gelegenheit erwies sich die vollkommene Tugend des Dieners Gottes. Noch hatte er von diesem Plan des Oberhirten keine Kenntnis, da hörte er beim Abbeten des Kreuzwegs merkwürdigerweise eine Stimme, die zu wiederholten Malen rief: „Man will dich zum Bischof machen.“ Er sah darin einen Fallstrick des bösen Feindes, der ihn zum Stolz versuchen möchte, weshalb er der Stimme gebot: „Pack dich fort! Schweige!“ Als dann kurz darauf die Nachricht kam, dass auf Wahrheit beruhe, was er auf so eigentümliche Weise gehört hatte, da betete er inständig, ließ auch in seiner Gemeinde und in anderen Kommunitäten beten und schrieb deshalb an den Generaloberen, dass er seine Ernennung verhindern wolle, da er zu einem solchen Amt ganz und gar unfähig sei. Der Generalobere bewahrte ihn auch vor dem bischöflichen Amt.
Im Spätherbst 1866 wurde Franz Xaver Seelos für New-Orleans bestimmt, das wegen des gelben Fiebers gefürchtet war. Obwohl noch im kräftigsten Mannesalter, ahnte er seinen nahen Tod, wie er dies einem Mitbruder gegenüber äußerte. Zu den vielen Opfern des Fiebers im Herbst 1867 zählten zwei Priester und zwei Laienbrüder der Kongregation, darunter auch Pater Seelos. Die außerordentlich großen Schmerzen seiner Krankheit ertrug er in aller Geduld und mit immer gleichbleibender Heiterkeit und Freundlichkeit. Schon lag der Diener Gottes ohne Bewusstsein da, als Gott noch einen Beweis für seine Heiligkeit geben wollte. Pater Duffy, der schon vor Jahren an einer unheilbaren Wunde am Knie erkrankt war, fühlte, von einem nächtlichen Krankenbesuch heimkehrend, das böse Übel am Knie mit einer plötzlichen Schwäche neuerdings ausbrechen. Der vielen Kranken wegen, die zu versehen waren, sehr darüber betrübt, schleppte er sich in das Zimmer des Sterbenden, kniete am Bett nieder und bat Gott inständig, ihm durch die Verdienste des Dieners Gottes die Gesundheit wieder zu schenken. Augenblicklich wurde sein Gebet erhört; das kranke Knie war geheilt. Am 4. Oktober, am Tag des heiligen Franziskus von Assisi, im Jahr 1867, entschlief der treue Ordensmann, um für ewig im Frieden zu ruhen.
Die Demut nennt der heilige Gregor die Lehrerin und Mutter der Heiligkeit und Hieronymus die erste Tugend des Christen, die alle anderen im Gefolge hat. „Was werde ich einmal, urteilt Pater Seelos über sich selbst, für ein Gericht zu bestehen haben vor einer Menschenmenge, die mich für einen Heiligen hält. Ich will doch kein Heuchler sein; aber bis jetzt habe ich noch keinen gefunden, der mir glauben will, dass ich der elendeste Mensch sei.“