Es ist Sankt Gallus, der oft mit einem Bären abgebildet wird. Nachher soll noch erzählt werden, wie der Heilige zu dem Bären kam, der übrigens auch sonst sehr gut zu ihm passt, denn Gallus war bei all seiner Gläubigkeit eine kraftstrotzende Gewaltnatur, ein Draufgänger, ein regelrechter Bär, das Wunschbild von vielen Jungen.
Irland, die Grüne Insel, die Insel der Heiligen, ist die Heimat des Christushelden Gallus. Um das Jahr 450 war Irland christlich geworden, und unausrottbar tief hatte sich Christi Lehre in den Herzen der Iren festgesetzt. Bald schmückte sich im ersten Glaubensfrühling das Land mit Klöstern in solcher Zahl, dass man von jedem vier oder fünf andere in der Nähe sehen konnte. Es war vor allem die wunderbare Lichtgestalt unseres Herrn Jesus Christus, welche die edlen Iren anzog und sie bewog, sich dem Gottessohn anzugleichen. Es machte einen großen Eindruck auf die heimatliebenden irischen Männer, dass Christus die Herrlichkeit seiner Himmelsheimat verließ und zu unserer Erlösung in die Fremde auf die Erde kam. Und so gaben auch viele von ihnen ihre Heimat auf, um im fremden Land Christus zu dienen. Als Gottsucher zogen sie übers Meer aufs Festland, und dort entwickelten sich aus den Gottsuchern ganz eifrige Glaubensboten.
Zu diesen Glaubensboten gehört der heilige Gallus. Unter Führung des heiligen Abtes Kolumban und in Begleitung von weiteren zehn Mönchen kam Gallus um das Jahr 590 zunächst an den Züricher See in der Schweiz. Niemand verbot dort den Fremden, nach ihrer Art zu leben, aber taub waren die Ohren der Leute, sobald die Mönche vom Christentum redeten. Als Gallus sie einmal tief im Wald beim heidnischen Opfermahl überraschte, stieg schnell der Unmut in ihm auf und riss ihn dazu hin, die wodangeweihten Bierkrüge zu zerschlagen und die vergoldeten Götzenbilder an einem Felsen zu zerschmettern. Das war entschieden unklug. Klug war es daher, dass Gallus mit seinen Genossen schnell die Flucht ergriff, sonst wären alle von den aufgebrachten Alemannen in Stücke zerrissen worden. Auch ein mutiger Mann vergibt sich nichts, wenn er nicht aus Feigheit, wohl aber aus Klugheit einen aussichtslosen Posten verlässt, denn Mut ist auch immer klug, während ein unkluger Mut weiter nichts als Dummheit ist.
Am Bodensee finden wir die Flüchtlinge wieder beim Bau einer Siedlung. Doch bald wiederholt sich dort das gleiche wie am Züricher See. Gallus, der als einzigster von den Mönchen die alemannische Sprache verstand, hielt in einer zündenden Predigt den Leuten ihren Aberglauben vor und warf die Götzenbilder in den See. Das ganze geschah aber mit einem anderen Ausgang. Denn die Zuhörer erkannten die Ohnmacht ihrer Götter und nahmen den Glauben an.
Nach drei Jahren trennte sich Gallus von Kolumban und wanderte mit einem Begleiter auf der Suche nach einer neuen Bleibe in die wilden Berge hinein, in denen sich damals nicht nur Füchse, sondern auch Bären und Wölfe gute Nacht sagten. Lange zogen die beiden des Wegs, und als sie an einen hohen Felsen gelangten, von dem sich die Steinach tosend herabstürzt, verwickelte sich Gallus in einem Brombeergestrüpp und fiel in die Dornen. Daran erkannte der heilige Mann, so berichtet die Legende, dass er sich genau dort niederlassen solle. Während in der folgenden Nacht der Begleiter schlief und Gallus den Ort der neuen Siedlung mit seinen Gebeten segnete und weihte, erschien ein Bär und fraß den Rest an Brot und Fisch, welche die Wanderer als Proviant auf die Reise mitgenommen hatten. Da stand Sankt Gallus auf und tadelte den Bären wegen seines Raubes und befahl ihm, sofort Holz für das Lagerfeuer herbeizuschaffen, da es ausgehen wollte. Das wilde Tier gehorchte, und es blieb der Bär von da an bei dem, der ihn in der Kraft Gottes bezwungen hatte, und folgte dem Heiligen wie ein Hund dem Herrn und trug Stämme und Steine herbei zum Bau des Klosters. Als sich später gleichgesinnte Männer dem Heiligen mit dem Bären anschlossen, rodeten sie unter ungezählten Entbehrungen das Land, legten Äcker und Gärten an, pflanzten Obstbäume, arbeiteten bei Tag und Nacht, und der Bär half ihnen treu. Um die Siedlung herum entstand allmählich eine Stadt, die heute noch als eine der schönsten unter den Städten der Schweiz gilt und die nach ihrem Gründer den Namen Sankt Gallen trägt. So ist es geschehen im Jahr des Heils 613.
Dann starb der heilige Gallus im Alter von fast hundert Jahren, aber sein Andenken bleibt auf der Erde unvergessen und wird im Himmel ewig währen. Das ist hier und im Himmel der Lohn der Glaubensboten. Auch heute noch gehen viele Männer und Frauen als Missionare und Missionarinnen zu den Menschen nach Asien und Afrika.
Quelle: www.graphica-antiqua.ch