Viele Liebhaber der Einsamkeit, die unter wilden Tieren ein himmlisches Leben im Lobpreis Gottes führten, wurden erst von pirschenden Fürsten entdeckt, so Macedonius in Syrien, Ägidius in Gallien, Iwan in Böhmen, Gerwich in Bayern, nicht weit von Eger in Böhmen. Gerwich stammte aus der sehr alten, reichen und edlen Familie der Dynasten von Volmestein (Volmarstein) an der Ruhr in der Grafschaft Mark. Von Jugend auf tummelte er sich sehr gern auf Pferden und kannte nichts Ehrenvolleres und Rühmlicheres, als Turnier und Lanzenstechen. Bei einem solchen Kampfspiel lernte er Theobald auch Diepold genannt, den Markgrafen von Cham und Vohburg kennen, und schloss mit ihm ein so inniges Freundschaftsbündnis, wie es einst zwischen Theseus und Pirithous bestand. Obgleich Theobald verehelicht war und viele Kinder besaß, zog er doch mit seinem Herzensfreund an die Höfe des deutschen Adels, um in den üblichen Wettkämpfen ihre Kraft und Geschicklichkeit zu erproben.
Als einst viele Ritter zusammen im heftigen Anprall wie blind auf einander losrannten, durchbohrte Gerwich ohne Arg den Halsring seines Gegners und brachte ihm eine tödliche Wunde bei. Als das Visier gelüftet wurde, sah Gerwich zu seinem höchsten Schrecken, dass er seinen liebsten Freund schwer verwundet hatte. Fast verzweifelnd verfluchte er die gefährlichen Spiele und Feste, begab sich sofort in das Kloster Siegburg unweit von Köln und nahm in tiefster Zerknirschung das Ordenskleid des heiligen Benedikt. – Der Markgraf Theobald kehrte nach seiner Heilung zu seiner Familie zurück. Gern wäre er dem Beispiel seines Freundes gefolgt, aber er durfte nicht auf seine Herrschaft verzichten. Um einigermaßen seinem religiösen Eifer zu genügen, gründete er einige Meilen von Regensburg das Kloster Reichenbach und stattete es mit reichen Besitztümern aus.
Unterdes hatte Gerwich mehrere Jahre im Kloster Siegburg sehr fromm und demütig verlebt und es wurde ihm die Sorge für die ankommenden Pilger und Reisenden anvertraut. Zu der Zeit traf Cuno, der erwählte Bischof von Regensburg, auf seiner Reise dort ein, unterhielt sich mit Gerwich und wurde durch seine Tugenden und Weisheit so wunderbar eingenommen, dass er den Abt inständigst bat, ihn mit in sein Bistum nehmen zu dürfen, damit er ihm mit Rat und Tat beistehe. Der Abt und auch Gerwich willigten ein, als Gerwich aber in Regensburg die Beschwerden und Unruhe am bischöflichen Hof schmeckte, ließ er sich durch keine Beweggründe bestimmen, länger so ein unruhiges Dasein zu führen, indem er in seinem Inneren das Wort hörte, das einst dem heiligen Arsenius am Hof des Kaisers Theodosius von Gott zugerufen wurde: „Fliehe, schweige, ruhe!“ Er ließ mit Bitten nicht nach, bis Cuno ihm einen Geleitsbrief ausstellte und gestattete, in seinem Bistum einen geeigneten Platz aufzusuchen, den er für eine Niederlassung von Mönchen für geeignet halte.
Mit einigen Genossen begab sich Gerwich auf den Weg und kam in einen dichten Wald, wohin kaum ein Jäger dringen konnte. Dort fällte er einige Bäume und fing an, für sich und die Seinigen eine kleine Wohnung nebst Bethaus zu bauen. Siehe da, eines Tages kam der Markgraf Theobald aus seiner Stadt Eger auf der Jagd zu dieser Stelle, und als er einen Teil seines Waldes gerodet sah, ergrimmte er sehr und fragte die arbeitenden Brüder, wie sie sich unterstehen könnten, ohne sein Wissen und Wollen dort ein Gebäude zu errichten? Alle fürchteten sich und beendeten die Arbeit, nur Gerwich behielt die ruhige Geistesgegenwart, warf sich dem ihm unbekannten Herrn zu Füßen, nannte ihm auf Verlangen seinen Namen und seine Herkunft, und erklärte ihm mit wenigen und bescheidenen Worten, auf wessen Rat und mit wessen Erlaubnis er sich in diese Einöde begeben habe und zeigte ihm das Schreiben des Bischofs Cuno. Wer war verwirrter als Theobald? Er hatte nach Wild ausgespäht und stieß auf einen Menschen, den er nicht mehr unter den Menschen gesucht haben würde, auf seinen teuren und durch heilige Bande Gott verbundenen Freund Gerwich. Unverzüglich sprang er vom Pferd, umarmte aufs zärtlichste seinen alten Freund, zeigte ihm die Narbe seiner alten Wunde, hieß ihn frohen Mutes sein und billigte nicht nur seinen Plan, eine Einsiedelei zu gründen, sondern schenkte ihm auch aus alter Freundschaft einen so großen Teil des Waldes, als er in einem Tag umgehen könnte. Welch eine unerwartete Freude durchbebte die Herzen der beiden ehemaligen Kampfgenossen. Sogleich machten sie sich ans Werk, fällte Bäume, fuhren Steine herbei, und fingen an, dort an dem anmutigen und fischreichen Fluss ein Kloster zu bauen, das man „Waldsassen“ nannte.
Weil in jener Zeit der heilige Bernhard von Clairvaux den Zisterzienserorden gestiftet hatte, eilte Gerwich zu ihm und bat ihn inständig um Mönche, damit er in sein neues Haus seine Ordensregel einführen könnte. Dem heiligen Bernhard gefiel die Absicht Gerwichs sehr, aber weil er fast alle seine Ordensleute ausgesandt hatte, um neue Niederlassungen zu gründen, konnte er ihm für den Augenblick keine Mönche überlassen. Deshalb wandte sich Gerwich an die Abtei Walkenried in Thüringen und erhielt drei Mönche von ausgezeichneter Heiligkeit. Mit denen kehrte er sofort nach Waldsassen zurück und vollendete nicht nur die im Bau begriffenen Wohngebäude, sondern unterwarf auch sich und seine Genossen der Ordensregel des heiligen Bernhard. Von allen Seiten erhielt die junge Genossenschaft reichliche Geschenke von frommen Leuten, damit sie sorgenlos leben könne. Dies war der Anfang des berühmten Klosters Waldsassen, das die Zisterzienser das hundertste Ei nannten, weil es die hundertste Niederlassung des gerade gestifteten Ordens war.
Wieviel Jahre der selige Gerwich noch lebte, in welchem Jahr und an welchem Tag er zum ewigen Leben abberufen wurde, ist nicht ganz sicher zu bestimmen. Mehrere Kirchengeschichtsschreiber nehmen das Jahr 1133 oder 1134 als sein Sterbejahr an. Sein Gedächtnis wird am 5. Oktober gefeiert.