Am 27. Mai des Jahres 380 machten die Einwohner der märchenschönen Stadt Konstantinopel – was stets das Zeichen einer gewaltigen Enttäuschung ist – große Augen und lange Gesichter.
Zu Tausenden säumten die Leute die Straßen und füllten dichtgedrängt die Gehsteige. Alles, was Beine hatte, war herbeigeströmt, denn niemand wollte sich das prachtvolle Schauspiel entgehen lassen, wie der neue Erzbischof Gregor seinen feierlichen Einzug in die oströmische Kaiserstadt hielt.
Da nahte auch die Spitze des Zuges, zuerst Polizei, dahinter mit goldglänzenden Helmen fünf Löschzüge der Feuerwehr, dann die städtischen Behörden mit dem Oberbürgermeister und die Hochschule mit Lehrern und Studenten.
Es folgten mit dröhnendem Schritt Soldaten zu Fuß, ein ganzes Regiment. Reiter schlossen sich an, markige Gestalten. Dann sprengten auf feurigen Pferden Offiziere und Generäle heran, und hinter ihnen kam, ebenfalls hoch zu Ross, Kaiser Theodosius selbst.
Gleich hinter dem Kaiser wurde das große Kreuz der Bischofskirche getragen. Dann schritten – es war ein prächtiger Anblick – in langer Reihe die unentbehrlichen Messdiener daher. Ihnen folgten scharenweise Ordensleute und Priester, und ganz zum Schluss kam unter goldenem Traghimmel – die große Enttäuschung.
Aber nein! Das sollte der neue Erzbischof sein? Nach dem, was von Gregors Geistesgröße bisher erzählt worden war, hatte man sich ihn als einen hochragenden majestätischen Herrn vorgestellt. Was da aber unter dem Traghimmel bescheiden einherging, war ein verhutzeltes Männlein mit einem Schneidergewicht von neunundneunzig Pfund. Welch eine Enttäuschung!
Zum Glück hinderte die Enttäuschung die neugierigen Zuschauer nicht, sich dem Zug anzuschließen und den Dom zu betreten. Da standen die Leute im weiten Gotteshaus, Mann an Mann, Kopf an Kopf, und nachdem der neue Erzbischof erst eine Weile vor dem Altar gebetet hatte, stieg er, hurtig wie ein Wiesel, auf die Kanzel, machte das Kreuzzeichen und begann zu reden. Schon beim zweiten Satz, den er sprach, hätte man das Aufklingen einer Stecknadel, die zu Boden fiel, vernehmen können, so still war es in der Kirche, und Gregor redete . . . Ei, wie der reden konnte! Wie eine feurige Pfingstzunge schwebte der Mann auf der Kanzel. Hie und da erhob sich der eine oder andere von der Bank, auf der er saß, um den Prediger besser sehen zu können. „Sitzenbleiben! Sitzenbleiben!“ riefen diejenigen, die hinter ihnen standen, und weil die Aufgeforderten nicht folgten, kletterten die Rufer hoch auf die Bänke. Mit einem Wort gesagt, das verhutzelte Männchen mit dem Schneidergewicht war ein Redner von Gottes Gnaden.
Nazianz in Kleinasien war Gregors Heimat. Auf einem heiligen Stamm war er erblüht, denn Vater und Mutter und ein Bruder und eine Schwester werden ebenfalls als Heilige verehrt. In jungen Jahren besuchte Gregor die berühmtesten Hochschulen der damaligen Zeit. Dort eignete er sich mit eisernem Fleiß jenes umfassende Wissen an, das ihn später als Redner und auch als Schriftsteller und Dichter auszeichnete. Seine Schriften und Gedichte sind heute noch vorhanden und geben Kunde von der Kunst des Wortes, die er im hohen Maß besaß. Übrigens gilt der heilige Gregor als der Patron der Dichter.
Noch auf einen weiteren Umstand in Gregors Leben muss hingewiesen werden. Es verband ihn nämlich seit der Jugendzeit mit dem großen Bischof und Kirchenlehrer Basilius, von dem Herrliches berichtet wird, eine tiefe und echte Freundschaft. Beider Herzen waren aufeinander bis zum Gleichklang abgestimmt. Was der eine redete, dachte der andere und umgekehrt. Einer diente dem anderen als Vorbild, und über vierzig Jahre dauerte die Freundschaft, bis Basilius als erster starb.
Um das Lebensbild des heiligen Gregor abzuschließen, sei noch kurz erwähnt, dass er die letzten Jahre seines Lebens in der Einsamkeit verbrachte und sich mit der Abfassung von Büchern beschäftigte, durch die er für alle Zeiten nach den Worten des Evangeliums ein Licht wurde, das, auf den Leuchter gestellt, allen leuchtet, die im Hause sind.
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Der Heilige wurde zwischen 328 und 330 in Arianz bei Nazianz als erster Sohn einer adeligen Familie geboren. Nonna, seine Mutter, die eine fromme Christin war, hatte großen Einfluss in der Familie; denn außer Gregor wurden auch seine Geschwister Cäsarius und Gorgonia heiliggesprochen, und sein Vater wurde zum Bischof von Nazianz gewählt.
Gregor studierte an den berühmtesten Schulen seiner Zeit: Cäsarea in Kappadokien und Palästina, in Alexandrien und mit dem heiligen Basilius zusammen in Athen.
Nach seinem Studium ließ er sich auf Wunsch der Eltern als Rhetor in Nazianz nieder. Sein Vater taufte ihn und weihte ihn, da er bereits betagt war und dringend bei seiner bischöflichen Arbeit Unterstützung brauchte, zum Priester. Gregor fühlte sich dadurch überfordert und floh zu Basilius.
Gestärkt kehrte er von dort nach Nazianz zurück, um seinen Vater zu unterstützen. Von seinem Freund Basilius wurde er zum Bischof von Sasima geweiht, trat aber dieses Amt nie an.
Nach dem Tod seines Vaters führte er dessen Arbeit weiter, ohne sein Nachfolger zu werden. 380/381 nach Konstantinopel berufen, leitete er dort die Kirche, ohne zunächst ihr Bischof zu sein. Auf dem Konzil 381 wurde Gregor offiziell zum Bischof ernannt. Dieses Amt legte er aber noch im selben Jahr nieder und zog sich nach Arianz zurück. Hier widmete er sich ausschließlich den theologischen Fragen seiner Zeit, der Philosophie und der Poesie. Er unterhielt eine umfangreiche Korrespondenz und schrieb Gedichte.
Er starb um 390 und trägt seit dem 5. Jahrhundert den Ehrentitel „Kirchenlehrer“.
„Zu Konstantinopel empfing man Gregor sehr übel. Die Einwohner dieser Stadt, die nur glänzendem Prunk huldigten, verachteten einen vom Alter gebeugten, kahlköpfigen Mann, dessen Angesicht auch von Tränen der Buße und des strengen Lebens abgezehrt war, und der ganz schlecht gekleidet, in allem die Merkmale der äußersten Armut an sich trug. Die Arianer spotteten seiner, überhäuften ihn mit Unbilden, und schwärzten sogar seinen Namen durch Verleumdungen an. Die Verfolgung wurde zuletzt allgemein; die Großen, wie das Volk, misshandelten den Mann Gottes auf die unwürdigste Weise. Allein sie bewirkten dadurch nichts anders, als dass sie ihm Gelegenheit gaben, sich den Ehrennamen eines Bekenners zu verdienen.
Gregor wohnte bei seinen Verwandten, die er zu Konstantinopel hatte, und in deren Haus war es auch, wo sich die Rechtgläubigen versammelten, um ihn zu hören. Einige Zeit später verwandelte er dieses Haus in eine Kirche, welcher er den Namen Anastasia oder Auferstehung gab, weil dadurch der katholische Glaube gleichsam auferstand, welcher bis dahin in dieser Stadt so sehr unterdrückt war. Ein Historiker berichtet, der Name dieser Kirche sei durch ein Wunder bestätigt worden. Eine schwangere Frau, die von einer Galerie herunterfiel und tot auf dem Platz liegen blieb, habe durch das Gebet der versammelten Gläubigen das Leben wieder erhalten.
Der Heilige führte ein sehr zurückgezogenes Leben; ohne Not machte er nie Besuche. Die Zeit, welche er nicht zu seinen heiligen Amtsverrichtungen verwendete, weihte er dem Gebet und der Betrachtung. Seine Nahrung war Brot und mit Salz zubereitetes Gemüse. Auf seinen Wangen sah man die Furchen der Tränen, die er beinahe unaufhörlich weinte. Tag und Nacht flehte er die göttliche Barmherzigkeit für seine Herde an. Wer ihn hörte, bewunderte seine tiefe Kenntnis, und die seltene Gabe, die er hatte, auch die abstraktesten Wahrheiten fühlbar hinzustellen und sich ebenso klar wie zierlich auszudrücken. Die Irrgläubigen und Heiden, die nach und nach menschlicher gegen ihn wurden, konnten sich der Neugierde nicht versagen, ihn zu hören, und obgleich so sehr gegen ihn eingenommen, waren sie dennoch gezwungen, sein überlegenes Verdienst anzuerkennen. Mit jedem Tag zeigte sich schöner die Frucht seiner Predigten, und die Anzahl der Rechtgläubigen nahm immer zu. Die Anhänger des Irrtums öffneten die Augen und bemühten sich, in den Schoß der Kirche zurückzukehren.
Die Tugenden und hohen Geistesgaben des heiligen Gregor zogen viele Zuhörer in seinen Unterricht. Der heilige Hieronymus verließ Syriens Einöden und kam nach Konstantinopel, wo er sich unter die übrigen Schüler des Heiligen reihte. Unter der Leitung dieses großen Bischofs verlegte er sich auf die Heilige Schrift und rühmte sich immer, wie wir aus seinen Werken sehen, einen solchen Lehrer gehabt zu haben.
Aber bei allem Trost und der großen Freude, die der Heilige hatte über den großen Segen, den der Herr über seine apostolischen Arbeiten ausgoss, wurde er in die größte Trauer versetzt durch das Ärgernis, welches der berüchtigte Maximus, der sich auf den erzbischöflichen Stuhl von Konstantinopel drängte, unter allen Gläubigen verbreitete. Der Heuchler hatte sich heimlich von ägyptischen Bischöfen zum Oberhirten der Kaiserstadt weihen lassen, und obwohl sich jedermann über die gesetzwidrige weihe empörte, obwohl sie Papst Damasus für nichtig erklärte, stand er doch als Erzbischof da und begünstigte die Arianer auf alle mögliche Weise.
Schon wollte der heilige Gregor die Stadt verlassen, als im Jahr 380 der Kaiser Theodosius nach Konstantinopel kam. Sogleich entfernte er den eingedrungenen Arianer Maximus vom erzbischöflichen Sitz, führte auf dringendes Bitten des Volkes den heiligen Gregor in die Sophienkirche, übergab sie ihm samt allen übrigen Gotteshäusern der Stadt, welche bisher die Arianer besessen hatten, und ernannte ihn zum Erzbischof von Konstantinopel. Im Mai des Jahres 381 berief der Kaiser die Bischöfe des Morgenlandes zu einer Kirchenversammlung nach der Hauptstadt, um den Frieden und die Eintracht in der Kirche Gottes wieder herzustellen. Der erste und wichtigste Gegenstand, mit welchem sich die versammelten Väter beschäftigten, war die Berichtigung der Angelegenheiten der Kirche zu Konstantinopel. Der heilige Gregor hatte sich immer noch geweigert, für immer das Erzbistum zu übernehmen; aber jetzt wurde er fast gezwungen auf den Patriarchenstuhl geführt. Da aber einige ägyptische Bischöfe diese Wahl anfochten und in der Versammlung eine Unruhe entstand, fasste Gregor den Entschluss, seine übrigen Lebenstage in stiller Zurückgezogenheit bei Arianz zuzubringen. Er war zwar schon sehr bejahrt und schwächlich; dessen ungeachtet konnte er noch der Kirche, und besonders jener von Nazianz, Dienste leisten. In seiner Einsamkeit hatte er einen Garten, eine Quelle und ein kleines Gebüsch, welches ihm den unschuldigen Genuss ländlicher Freuden gewährte; diese waren die einzigen, die er sich erlaubte. Da übte er alle Arten körperlicher Abtötung, fastete und wachte oft, und betete viel auf den Knien. Hören wir hierüber ihn selbst: „Ich lebe zwischen Felsen und unter wilden Tieren. Nie sehe ich Feuer, und bediene mich keiner Schuhe. Ein einfaches Oberkleid ist meine ganze Bedeckung. Stroh ist mein Lager, und zur Decke habe ich einen Sack. Mein Fußboden ist allzeit befeuchtet von meinen Tränen.“
In der Kunst der Ostkirche wird Gregor als Bischof mit der Taube als Symbol des Heiligen Geistes oder auch mit den Personifikationen der Weisheit und Keuschheit dargestellt. Er ist der Patron der Dichter.
Vor der Erneuerung des römischen Kalenders wurde sein Fest am 9. Mai gefeiert, weil man davon ausging, dies sei sein Todestag gewesen.