Heiliger Günther (Gunther) von Thüringen, Einsiedler von Rinchnach, + 9.10.1045 - Fest 9. Oktober

       

Unter der Regierung des Kaisers Heinrich des Heiligen lebte in Thüringen ein angesehener Adeliger, namens Günther. Er war verwandt mit König Stephan von Ungarn und mit mehreren Fürsten. Er hatte seine Jugendzeit in weltlichem Treiben und Streben zugebracht und den höheren Adel verloren, den Gottes Gnade der gläubigen Seele erteilt, und der in den Augen Gottes einen ewigen Wert hat. Er war sehr reich und suchte den verlorenen Frieden anfangs in den Genüssen, die der Reichtum gewährt. Allein sein Herz blieb ohne Ruhe und ohne Freude. Während er auf den Irrwegen der Sünde Hilfe und Heil suchte, wurde er von einem Strahl der göttlichen Gnade berührt und auf jenen Weg gewiesen, der allein zum Frieden führt. Dem Licht der Gnade folgend, begab er sich in das Kloster Hersfeld zum heiligen Abt Gotthard, der eben damals vom Kaiser nach Hersfeld berufen wurde. Ihm eröffnete er das Innerste seines Herzens. Tief erschüttert bekannte er die Verirrungen und Sünden seines ganzen Lebens und den festen Entschluss, sich selbst und all das Seinige dem Herrn zu weihen. Der gottselige Abt nahm ihn mit väterlichem Erbarmen auf, tröstete ihn mit himmlischer Weisheit bezüglich seiner Vergangenheit und gab ihm den Rat, als Mönch in ein Kloster zu gehen. Der aufrichtige Büßer nahm die Belehrung, den Trost und den guten Rat des Heiligen mit gläubigem Herzen und gutem Willen hin und zeigte sogleich durch die Tat, wie ernst er das Werk der Bekehrung nehme. Sich selber misstrauend im Besitz seiner Güter, vermachte er all seine Habe der Kirche des heiligen Wigbert durch ein Testament und wollte nun in das Kloster Gelingen eintreten. Indessen sollte ihm nach der ursprünglichen Fassung des Testamentes noch eine Verfügungsgewalt über die Einkünfte seiner Güter in so weit bleiben, als er derselben für sich und seine Mitbrüder im Kloster bedürftig wäre. Der weise Abt war mit dieser Anordnung nicht zufrieden. Er glaubte, ein solcher Vorbehalt könnte der Seele eines Neubekehrten weit mehr Gefahr bringen, als das Kloster daraus zeitlichen Gewinn ziehen dürfte. Darum verschob er einstweilen dessen Eintritt in den Orden und nahm ihn mit sich in das Kloster Altaich, wo er in weltlichem Gewand leben und Gott dienen konnte.

 

Indessen verzichtete der wahrhaft reumütige Günther auf all seine Güter und bat den heiligen Abt um Aufnahme in das Kloster. Vorher aber wollte er noch die Gräber der heiligen Apostel in Rom besuchen. Durch ihre Fürbitte hoffte er Vergebung für alle Sünden seines früheren Lebens und den Segen des Himmels für seinen Eintritt in den Orden zu erlangen. Der Abt gab ihm auch hierzu die Erlaubnis, und nun wallfahrtete der ritterliche Held als armer Pilger zu Fuß nach Rom und von da wieder zurück nach Altaich. Nach seiner Rückkehr legte er seinen Gürtel auf dem Altar des heiligen Mauritius in der Kirche des Klosters nieder, ließ sich das Haupt und den Bart scheren und bat um Aufnahme in den heiligen Orden. Er wurde aufgenommen, hielt die Probezeit aus und empfing aus der Hand des heiligen Abtes Gotthard das Ordenskleid.

 

Nachdem er die feierlichen Gelübde abgelegt hatte, bat er den Abt um die Erlaubnis, in das Kloster Gelingen eintreten zu dürfen, wie es früher sein Vorhaben gewesen war. Gotthard erlaubte es. Günther kam dahin und lebte, wie seine Mitbrüder, in der bisher ihm ungewohnten Armut und fortwährend mit Arbeit beschäftigt. Ungeachtet seines festen Willens, nur allein das Heil seiner Seele zu suchen, wurde er doch von mannigfaltigen Versuchungen geplagt, die ihn aus dem Kloster vertrieben hätten, wenn er nicht durch die Liebe und Freundlichkeit des heiligen Gotthard immer wieder aufs Neue ermutigt und in seinem Vorhaben bestärkt worden wäre. Bald waren ihm die Entbehrungen zu groß, bald der Gehorsam zu lästig, bald ekelte ihn an den frommen Übungen. All diese Versuchungen offenbarte er treulich seinem geistlichen Vater und Führer, der ihn liebreich tröstete mit dem Wort des Apostels: „Dass wir nur durch viele Trübsale in das Reich Gottes eingehen können.“

 

Einst kam der arme Günther wieder mit seinen Klagen und seinem Jammer über die Versuchungen zum Abt. Dieser sah ein, dass gute Worte verschwendet wären, und dass dieser Wankelmut endlich einmal ganz gebrochen werden müsse. Darum sprach er in heiligem Ernst: „Es gibt keinen Mittelweg. Entweder musst du dich in aller Demut ganz dem Gehorsam unterwerfen und von ganzem Herzen Gott dienen, oder du ziehst dein Ordensgewand aus und kehrst wieder zur Welt zurück.“ Durch diese Rede des Heiligen wurde Günther im Innersten seiner Seele erschüttert und gleichsam aus seinem Schlaf aufgeweckt. Zerknirscht warf er sich unter Tränen dem Abt zu Füßen, bat um Verzeihung seiner Sünden und gelobte ernstliche Besserung.

 

Der heilige Abt vertraute diese Angelegenheit mit Günther dem frommen Kaiser Heinrich II. an und bat ihn um Unterstützung in der Beruhigung dieses Mannes. Der fromme Kaiser ließ Günther zu sich kommen und redete gar freundlich mit ihm. Er stellte ihm vor, wie niemand zwei Herren dienen könne, und wie der Mönch nicht wieder zur Welt zurückkehren dürfe. Es gelang ihm, den aufrichtigen Büßer dahin zu bringen, dass er jetzt allen bisher noch gehegten Ansprüchen entsagte und beruhigt und getröstet in das Kloster nach Altaich zurückkehrte.

 

Indessen war auch Gotthard nach Vollendung der Klosterverbesserung in Hersfeld, Tegernsee und Kremsmünster wieder in sein heimatliches Kloster zurückgekehrt. Unter seiner Leitung machte Günther ausgezeichnete Fortschritte im geistigen Leben. In aufrichtiger Demut unterwarf er sich nicht bloß seinen Vorgesetzten, sondern auch allen seinen Mitbrüdern. Erleuchtet durch Gottes Gnade vollbrachte er alle seine Geschäfte und Übungen mit einer solchen Gelassenheit und Treue, dass ihn selbst seine Vorstände als Vorbild bewunderten.

 

Der Ruf von seinem heiligen Leben drang bis an den Hof des Königs von Ungarn. Durch die Königin Gisela, die Schwester Heinrichs II., war auch König Stephan für das Christentum gewonnen worden. Er wünschte seinen Verwandten bei sich zu haben und von ihm Unterweisung im christlichen Leben zu erhalten. Günther begab auf mehrmaliges Bitten sich endlich zum König, nachdem er von seinem Abt hierzu die Erlaubnis und den Segen erhalten hatte. Aber auch am Hof des Königs setzte der eifrige Mönch seine strenge Lebensweise fort. Er ließ sich selbst an der königlichen Tafel nicht bewegen, Fleischspeisen zu genießen, denn er wollte, seinem Gelübde getreu, in der Entsagung und Abtötung ausharren bis an sein Ende. Als Günther einst mit dem König und all seinen Hofleuten zu Tische war, brachte man unter anderen köstlichen Speisen auch einen gebratenen Pfau. Der König drang mit aller Zudringlichkeit in seinen Verwandten, er möchte doch auch von diesem Gericht etwas genießen. Als Günther immer weiter sich weigerte und mit Entschiedenheit erklärte, es wäre dies gegen sein Gelübde, befahl ihm der König mit all seiner Strenge, er müsse davon essen. Günther nahm in dieser Verlegenheit seine Zuflucht zu Gott. Er senkte sein Haupt, verhüllte es mit seinen Händen und flehte unter Tränen zum Herrn, er möchte in seiner Güte und Macht bewirken, dass er seinem Gelübde nicht untreu werden dürfe. Während der Diener Gottes so betete und dann das Haupt emporrichtete, sah er, wie der gebratene Pfau auf einmal sich erhob und davonflog. Alle Anwesenden waren voll Erstaunen und priesen Gott, der die Gewissenhaftigkeit und Treue seines Dieners durch ein solches Wunder belohnte.

 

Dieses und vieles andere verleidete dem frommen Diener Gottes gar bald den Aufenthalt am Hof seines königlichen Vetters. Das Lob und der Beifall der Menschen waren ihm zuwider. Er wollte von den Menschen verachtet sein und nur allein Gott gefallen. Selbst der Aufenthalt im Kloster, wo er schon große Verehrung genoss, schien ihm gefährlich. Er bat darum seinen Abt Gotthard um die Erlaubnis, in dem nahegelegenen böhmischen Wald ein Einsiedlerleben führen zu dürfen. Nachdem er die Erlaubnis erhalten hatte, begab er sich ungefähr eine Tagreise weit in den Wald hinein. Auf einer Anhöhe, die den Namen Rankin erhielt, erbaute er eine Zelle und ein Kirchlein zur Ehre des heiligen Johannes des Täufers. Hier lebte er ungefähr drei Jahre in äußerster Armut. Bald wurde sein Aufenthalt bekannt, und es kamen viele Gläubige dahin, um von ihm Belehrung und Trost zu erhalten. Alle erbauten sich an seinen Reden und an seinem strengen Büßerleben.

 

Je größer der Zulauf zu dieser Einsamkeit wurde, desto ernstlicher sann der fromme Einsiedler auf eine Änderung des Ortes und auf gänzliche Abgeschlossenheit von den Menschen. Er begab sich in den Nordwald, um daselbst ganz allein seinem Gott zu dienen und den Kampf gegen den Widersacher durchzukämpfen. In dieser Einsamkeit führte er ein noch ärmeres Leben als zuvor. In der ersten Zeit seines Aufenthaltes im Nordwald war einmal im strengsten Winter eine solche Schneemasse gefallen, dass man neun Tage lang nicht mehr in Günthers Einsamkeit kommen konnte, um ihm, wie gewöhnlich, das notwendige Brot zu bringen. Kein Mensch in der Umgegend wusste noch von ihm. Drei Tage lang war er schon ohne einen Bissen Brot. Jetzt wurde sein Hunger äußerst heftig. Günther grub den eisigen Schnee, der schon Mannshöhe erreicht hatte, auf und suchte Waldkräuter, um sie in einem Topf zu kochen. Er fand einige, goss Wasser daran und brachte sie über das Feuer. Allein am ersten Tag wurden die Kräuter kaum erweicht, und er verschob das Essen auf den folgenden Tag. An diesem Tag ließ er die Kräuter kochen und wollte sie essen, aber sie widerstanden ihm. Indessen wurde der Hunger immer schlimmer, und Günther sprach zu sich selbst: „Ich stolzer, verweichlichter Mensch will kein Behagen finden an diesem gemeinen Gericht. Das sollte mir willkommen sein zur Büßung für den verschwenderischen Genuss von Leckerbissen, von Geflügel und Wildbret, wodurch sich früher so sehr mich versündigte! Ich will es genießen im Namen Jesu Christi, des Erlösers aller Menschen, der arm geworden um meinetwillen, da er reich war. Ich will es genießen, um an ihm einen Teil zu gewinnen.“ Und nun aß er von diesen Waldkräutern und erhielt sich am Leben, bis ihm wieder vom Kloster Brot gebracht wurde. Umso inniger dankte er jetzt fortan dem Herrn für das übersendete Brot, und umso zufriedener war er mit der kärglichsten Nahrung.

 

Auch in diese Einsamkeit kamen Priester und Laien zu ihm, die mit ihm gemeinschaftlich durch Gebet und Arbeit Gott dienen und ihr Seelenheil sichern wollten. Günther musste die Leitung dieser Einsiedler übernehmen, und er tat dies mit solchem Erfolg, dass die einsame Wüste gar bald eine große Anzahl Geistesmänner in verschiedene Klöster absenden konnte. Der Abt von Altaich erlaubte den in sein Kloster aufgenommenen Brüdern, wenn sie dazu Lust bezeugten, sich zum gottseligen Günther zu begeben und von ihm jene himmlische Lebensweisheit zu lernen, die ihn selbst zu einem Lehrer und Führer der Gelehrten gemacht hatte.

 

Günther selbst hatte keine Studien gemacht. Er verstand nur einige Psalmen, die er betete. Und dennoch hatte er aus den Unterredungen mit den Brüdern und aus der emsigen Anhörung des göttlichen Wortes eine so tiefe Einsicht in die heiligen Schriften erlangt, dass er gar oft die schwierigsten Stellen mit bewunderungswürdiger Klarheit auslegen konnte. „Dies kann ich“, sagt sein Biograph Wolferus, „selbst bezeugen. Ich habe ihn selbst gehört, als er einst am Fest des heiligen Johannes des Täufers in seiner Zelle eine Ermahnungsrede an die Brüder hielt. Er erinnerte sie an die Lebensweise, an die Nahrung und Kleidung dieses Vaters der Mönche und forderte sie auf, nach dem Beispiel dieses Heiligen die Armut und Demut zu leben und in Übung dieser Tugenden das Wohlgefallen Gottes zu suchen. Dann würden auch sie gewürdigt werden, den Heiland zu schauen, der zu denjenigen komme, die demütigen Herzens sind und auf dem Weg der Selbstverleugnung ihm nachfolgen. Er sprach so eindringlich, dass alle Zuhörer in Tränen zerflossen. Unter diesen war der Abt Rathmund von Altaich und mehrere Brüder, die mit ihm angekommen waren. Ich selbst durfte nicht in die Versammlung der Brüder eintreten, weil ich nicht zum Orden gehörte. Allein der Abt erlaubte mir, dass ich mich außen an ein Fenster stellen durfte, wo ich, vom Redner nicht bemerkt, alle seine Worte deutlich vernehmen konnte. Wahrhaftig dieser Mann war, wie der heilige Papst Gregor den heiligen Benedikt nennt, ein einsichtsvoller Nichtwisser, und ein weiser Ungelehrter.“

 

Nicht bloß Laienbrüder, sondern auch Priester kamen in Günthers Einsamkeit, um von ihm Unterricht im Geistesleben zu erhalten. Unter diesen war auch ein Geistlicher aus Sachsen, namens Tammo. Denn der Ruf von Günthers Heiligkeit hatte sich bis nach Sachsen verbreitet. Tammo bat um Aufnahme. Günther führte ihn zum Abt nach Altaich, dass er daselbst die Gelübde auf die Regel des heiligen Benedikt ablegen sollte. Denn nur solche, die der Abt als die Seinigen anerkannte, nahm Günther unter seine Jünger auf. Der Abt aber übertrug alle seine Vollmacht auf den ehrwürdigen Einsiedler, dem sie während ihres Aufenthaltes in der Einsamkeit gerade so gehorsamen mussten, wie ihm selber. Der Geistliche kehrte dann zurück zu Günther und lebte längere Zeit in demütigem Gehorsam mit den übrigen Brüdern. Auf einmal wurde er aber ganz anders. Eitelkeit und Stolz verblendeten sein Herz, und er suchte die Brüder von Günther abwendig zu machen. „Wer ist denn dieser Günther,“ sprach er, „dass wir ihm gehorsamen sollen? Er ist ein Laie und ganz ungebildet. Sein Leben verdient nur Verachtung.“ Die Brüder entgegneten ihm: „Günther ist es, der das Kreuz Christi in dieser Einsamkeit aufgepflanzt hat. Er hat sein Leben ganz im Dienste des Herrn zugebracht und ist ihm bis in sein höchstes Greisenalter treu geblieben. Dich hat die Demut, die Wächterin aller Tugenden verlassen, und der Geist des Hochmuts hat dein Herz betört, sonst könntest du keine solchen Lästerungen gegen den heiligen Mann aussprechen.“ Der Geistliche ließ sich nicht zurechtweisen, sondern erklärte ihnen, er werde sich von ihnen trennen und für sich allein dem Herrn dienen, der ihm Weisheit und Kraft verliehen habe. Günther soll ihm nichts mehr einzureden haben.

 

Und so tat er auch. Bald wurden ihm Visionen und außerordentliche Ansprachen zuteil, und er kam auf den Wahn, ihm sei die Wundergabe verliehen, und er sei berufen, die bayerischen Klöster zu reformieren. Sein Hochmut hatte ihn so sehr verblendet, dass er die trügerischen Vorspiegelungen des Satans für göttliche Eingebungen hielt. Er kam zu Günther und erklärte ihm, der Herr habe ihm aufgetragen, sein krankes Auge durch ein Wunder zu heilen, die zwei Blinden, Remigius und Razo, aber wieder sehend zu machen. Günther antwortete ihm: „Glaube mir, Tammo, lieber wollte ich auch am andern Auge erblinden, als mich von dem heilen lassen, der dir solche Lügen verkündet hat.“ Darauf entfernte sich Tammo und führte den blinden Razo in die Kirche, um ihn durch sein Gebet sehend zu machen. Sechs Stunden lang blieb er mit ihm in der Kirche und wartete immer, dass Razo sehend werde. Allein Razo blieb blind, und der neue Wundertäter ward elend zu Schanden. Voll Verwirrung und Angst kam der elend Getäuschte wieder zu Günther, fiel vor ihm nieder und sprach: „Ich habe mich vom Satan verführen lassen. Ich habe aufgehört, eine Diener Jesu Christi zu sein. Wenn nicht dein Gebet und das Gebet der Brüder mich rettet, so bleibe ich in Satans Gewalt, denn ihn habe ich angebetet statt des einen Herrn und Heilandes. Ihm war ich gehorsam, statt meinem Obern.“ Darauf antwortete Günther: „Petrus, den die ewige Wahrheit selbst als den Felsen erklärt hatte, auf den er seine Kirche baute, Petrus hat den Herrn drei Mal verleugnet. Als ihn aber der Herr in Gnaden ansah, weinte er bitterlich und erhielt Vergebung von demjenigen, der Mitleiden zu haben weiß mit unserer Armseligkeit. Mache dem Teufel, nachdem du gefallen bist, seine Freude nicht zur vollkommenen, indem du verzweifelst. Suche in Demut die Erbarmung des allmächtigen Gottes, die größer ist, als alle Sünden der Menschen.“

 

Tammo blieb jetzt wieder bei den Brüdern, allein er fand keine Ruhe. Wenn er betete oder Psalmen sang, so war es ihm immer, als flüstere ihm der böse Feind zu: Das ist alles umsonst, das gehört alles mir, und du bist mein. Niemand kann dich aus meiner Hand entreißen, auch Günther vermag es nicht.

 

Diese Unruhe und Zuflüsterungen offenbarte er dem frommen Günther. Dieser erzählte den ganzen Vorfall dem Abt Rathmund und dem Bischof von Passau, um sich mit ihnen zu beraten, wie geholfen werden könne. Der Bischof erklärte: „Hier erfüllt sich das Wort des Evangeliums: Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden. Tammo hat den hochmütigen Einflüsterungen des Satans Gehör gegeben und muss nach den kirchlichen Gesetzen seiner priesterlichen Auszeichnung beraubt werden. Als Laie soll er büßen in dieser Einöde!“ Wie der Bischof befohlen hatte, so geschah es. Indessen beteten die Brüder mit Günther inständig für den büßenden Bruder zu Jesus, dem Heiland aller Sünder, dass er sich seiner erbarme und ihn von seinen schrecklichen Versuchungen befreie. Denn noch sechs Monate lang wurde Tammo entsetzlich geplagt. Oft kam er zu Günther, dem er jetzt mit kindlicher Liebe anhing, und rief: „Ich kann es nicht mehr aushalten, ich kann nicht mehr leben. Bete doch für mich, du Mann Gottes, bete für mich!“ Der fromme Greis beruhigte ihn immer mit den Worten: „Ich habe das Vertrauen zu dem gütigen Jesus, dass er dich noch ganz befreien wird. Sei geduldig und harre aus, die Stunde der Erlösung wird gewiss kommen. Zweifle doch nicht an der göttlichen Hilfe. Sie wird dir gewiss zuteilwerden zur rechten Zeit. Wird sie auch verschoben, so bleibt sie doch nicht aus. Der Satan hat nur insofern eine Gewalt, dich zu quälen, als Gott es ihm erlaubt. Nie würde Gott solches gestatten, wenn es nicht notwendig wäre, dich zu demütigen. Bisweilen tut er, der die Menschen so sehr liebt, als wisse er nicht, wie sehr wir leiden; er will aber nur umso wunderbarer und vollkommener uns helfen. Werde doch nicht verzagt, lieber Bruder, sondern steh fest im Glauben, handle männlich und sei stark im Namen desjenigen, der allein die menschliche Gebrechlichkeit zu heilen vermag. Wenn aber Satan sich rühmt, er kenne deine Gedanken, dein Wollen und dein Vermögen, so weißt du ja, dass er der Lügner von Anbeginn ist, und dass er die Kinder des Unglaubens, die ihm Glauben schenken, in den unheilvollen Abgrund der Verzweiflung stürzt. Weise den Satan mit all seiner Hoffart und Lüge in der Kraft Jesu Christi ab. In Einfalt und Demut können wir ihn, den hoffärtigen Lügner, überwinden durch denjenigen, der uns geliebt hat bis in den Tod. Durch ihn, durch die Macht Jesu Christi können wir die Macht des Teufels vernichten und über ihn siegen. Glaube mir, glaube dem Sünder Günther: Durch die Gnade Jesu Christi, der in die Welt gekommen ist, zu suchen und selig zu machen, was verloren war, wirst du von deiner Plage befreit und selig werden wider den Willen des bösen Feindes, der dich auf seine Zulassung jetzt noch plagen darf.“

 

Während einer solchen Unterredung mit dem gottseligen Greis, der immer Gebete und Fürbitten mit seinen Trostworten untermengte, wurde der arme Tammo nach sechsmonatlichen furchtbaren Anfechtungen endlich ganz beruhigt. Dann lebte er noch viele Jahre in gründlicher Demut, in pünktlichem Gehorsam und in der äußersten Entsagung unter der Leitung des frommen Günther.

 

Günther genoss der nächtlichen Ruhe auf einem harten Felsen liegend. Dieser Fels aber hatte sich unter dem Leib des gottseligen Eremiten erweicht und gleich einer Mulde solche Vertiefungen angenommen, dass er zu einem bequemen Lager für den Leib sich gestaltete, insoweit dies auf einem Stein sein kann.

 

Die ganze Zeit, die der ehrwürdige Diener Gottes in der Einsamkeit zubrachte, wird auf 37 Jahre angegeben. Die ersten drei Jahre lebte er, wie schon erwähnt, zu Ranking. Dann begab er sich auf den Nordwald und gründete daselbst das Kloster Rinchnach. Dies muss schon vor dem Jahr 1009 geschehen sein. Denn in diesem Jahr schenkte Heinrich der Heilige mit Zustimmung seiner Gemahlin Kunigunde und seines Bruders, des Bischofs Bruno von Augsburg, dem von Günther gegründeten Kloster einen größeren Bezirk in der Umgegend des Nordwaldes. Die Grenzen dieser Schenkung sind in der am 7. Juni 1009 zu Merseburg ausgefertigten Urkunde des deutschen Königs Heinrich II. genau angegeben. Im Jahr 1029 wurde dieser Bezirk durch die Freigebigkeit des Kaisers Konrad II. noch erweitert. In demselben Jahr wurde das Kloster durch Bischof Perenger von Passau zu Ehren des heiligen Kreuzes, der seligsten Jungfrau Maria und des heiligen Johannes des Täufers eingeweiht. Kaiser Heinrich III. bestätigte all diese Schenkungen und unterordnete das Kloster unter den Abt von Altaich im zwölften Jahr seiner Regierung nach Christi Geburt 1040.

 

Nachdem die Angelegenheiten des Klosters vollständig geordnet waren, verließ der ehrwürdige Günther seine Stiftung und begab sich in die tiefere Wildnis bei Brznau. Hier lebte er einzig den Übungen des Gebetes und der Kontemplation, voll Ergebung in den Willen des Herrn sein zeitliches Ende erwartend. Seine Nahrung waren Waldkräuter und die Milch von einer Hirschkuh, die sich ihm zugesellte. Auch in dieser Einöde wurde er entdeckt und von den Mönchen des Klosters Brznau als Abt begehrt. Nun entfloh er zum letzten Mal auf einen Berg, den man später Dobrawoda, Gutwasser, nannte, wo er ganz verborgen blieb, bis ihn Herzog Brzelislaw auf einer Jagd entdeckte. Eine zahme Hirschkuh von außerordentlicher Größe machte den Herzog auf den frommen Einsiedler aufmerksam. Die Hirschkuh weidete an einem Bächlein, das von lieblichen Grün umfangen war. In einiger Entfernung erblickte der Herzog auf einem Felsen eine von Holz erbaute Zelle. Schüchtern mit dem heiligen Kreuz sich bezeichnend näherte er sich der Zelle. In ihr erblickte er einen Greis mit Silberhaaren, dessen Angesicht leuchtete wie das Antlitz eines Engels. Voll Schrecken und Staunen blieb der Herzog stehen und konnte kein Wort reden. Der ehrwürdige Greis redete ihn an und sprach: Fürchte dich nicht, sondern lobpreise den Herrn, der dich hierher gesandt hat. Denn ich bin Günther, der dich aus der Taufe gehoben hat, und ich bedarf nun bald deiner Dienste. Der Herzog fasste endlich Mut und fragte ihn, wie und wann er in diese Wildnis gekommen sei, und warum er ein so strenges Leben in der Einsamkeit führe. Zugleich bat er ihn unter vielen Tränen, er möchte doch mit ihm in seine Residenz zurückkehren, wo er ihn mit kindlicher Liebe pflegen werde. Der ehrwürdige Greis erklärte ihm, Gottes Wille sei es, dass er hier lebe und ausharre bis an sein Ende. Dann sprach er noch zum Herzog: „Sieh, mein Sohn, du bist um meinetwillen hierher geleitet worden. Erhöre nun auch meine Bitte. Die Auflösung meines armseligen Leibes ist nahe. Ich will, dass mein Leichnam zu Brzenau begraben werde. Andere werden es anders wollen, allein ich habe die Zuversicht zu Gott und bitte ihn, dass meine zeitliche Ruhe in Brzenau sein möge. Sorge dafür, mein Sohn, dass dieser mein Wille erfüllt werde, und dass man daselbst meiner vor dem Herrn gedenke, dessen Ankunft zum Gericht ich dort erwarten will. Übrigens wisse, dass ich morgen um die dritte Stunde dahinscheiden werde.“ Als der Herzog über diese Erklärung bitterlich weinte und zu jammern anfing, sprach der Greis: „Tu nicht so, mein Sohn, sondern habe Zuversicht zum Herrn und fürchte nichts. Erfülle meinen Wunsch. Jetzt gehe hin und schweige über das, was du gesehen und gehört hast. Morgen aber komme bei guter Zeit, dass du bei meinem Ende gegenwärtig sein kannst.“ – Der Herzog nahm betrübten Herzens Abschied von dem edlen Greis. Am anderen Tag kam er gar früh mit dem Bischof Severus von Prag zur Zelle Günthers. Der Bischof feierte daselbst das heilige Opfer, reichte dem Sterbenden noch die heilige Wegzehrung, und um die dritte Stunde verschied der gottselige Greis selig im Herrn.

 

Kaum war die Seele des Heiligen aus dem Leib geschieden, so verbreitete sich von dem entseelten Leib ein so lieblicher Wohlgeruch, dass die Umstehenden in seligem Wonnegenuss voll Staunen Gott lobten und priesen. Dieser Wohlgeruch hielt an bis zur Beerdigung.

 

Nachdem die Zubereitungen zur Begräbnis getroffen waren, wurden die heiligen Überreste des Seligen abgeholt. Man spannte zwei ungezähmte Pferde an den Wagen, auf dem man die Leiche bringen sollte. Diese Pferde waren beim Zug so gelassen und fromm, dass man sich verwunderte, wie selbst die unvernünftigen Tiere dem Seligen ihre Ehrfurcht bezeugten. Der selige Günther starb am 9. Oktober 1045. Bei seinem Grab zu Brzenau wirkte der Herr eine Menge Wunder, wodurch die Verehrung des seligen Günther von Tag zu Tag wuchs und eine allgemeine wurde.