Ein wunderherrliches Schauspiel für einen katholischen Christen, der mit glaubensbegeistertem Herzen am Wachsen und werden des Gottesreiches Anteil nimmt, ist der Glaubensfrühling auf den beiden Inseln England und Irland. Seitdem der heilige Patrick hier das Evangelium gepredigt hat und dort der heilige Augustin und andere Benediktinermissionare von Rom her die Botschaft des Heils gebracht haben, blühten einem Rosenflor gleich, der über frischgrüne Gartenbeete sich breitet, allenthalben Klöster im Land empor: Klöster für Männer und Klöster für Jungfrauen und Klöster, wo beide Geschlechter miteinander wetteiferten im Dienst Gottes, streng geschieden dem Leib nach, aber eins in ihrer Zielrichtung auf Gott, eins in der Art wie sie die Vereinigung mit diesem Ziel erstrebten. Ein solches Kloster war Whitby, auch Strenaeshalch genannt. Eigentlich war es eine ganze Klosterstadt mit einem großen Gebiet und vielen weltlichen Untertanen, über die seit der Mitte des 7. Jahrhunderts die heilige Äbtissin Hilda gebot. Die gottgeweihten Jungfrauen, die „Gottesbräute“, wie sie nach dem Gesetz des Landes genannt wurden, standen bei den Angelsachsen in sehr hohen Ehren. Sie waren hierin die Rechtserbinnen der alten Seherinnen, die die Germanen als heilig und ahnungsreich verehrten. Meist waren sie einer solchen Ehre wirklich würdig. So war Hilda schon durch ihre Geburt als die Großnichte des Königs Edwin auf eine höhere Stufe gestellt. Mit ihm hatte sie aus der Hand des heiligen Paulinus, des ersten Bischofs von York, die Taufe empfangen und unbefleckt trug sie das Kleid ihrer Taufunschuld hin vor Gottes Thron, als sie im Alter von 66 Jahren die irdische Heimat mit der himmlischen vertauschte.
Wie aber diese heilige Frau durch ihr Leben und Wirken in der Tat es verdiente, zu den Großen ihres Geschlechts gerechnet zu werden, will ich nun nach dem heiligen Beda, dem Ehrwürdigen, erzählen, der ihrer Zeit ganz nahestand und ein guter Gewährsmann ist.
33 Jahre hatte Hilda am northumbrischen Königshof zugebracht, die Hälfte ihres Lebens, als sie den Entschluss fasste, fortan dem Himmelskönig allein zu dienen. Sie begab sich in das Königreich Essex, um von hier aus bei gegebener Gelegenheit ihr Vaterland verlassen und über den Kanal schiffen zu können. Denn in Nordfrankreich war das Kloster Chelles, wo bereits ihre Schwester Hereswith und andere englische Jungfrauen edelsten Geblüts in freiwilliger Verbannung lebten um Christi willen. Aber Hildas Wunsch erfüllte sich nicht. Ein ganzes Jahr lang wartete sie umsonst auf den günstigen Augenblick, und dann rief sie der heilige Bischof Aidan nach Northumberland zurück und richtete ihr auf dem Nordufer des Wear ein Klösterchen ein. Wieder dauerte es nur ein Jahr, da musste sie nach dem Willen ihres Bischofs und Seelenführers die Leitung der Abtei Hartlepool übernehmen. Dieses Kloster stand seiner Regel und ganzen Lebensordnung nach unter dem Einfluss der irischen Missionare, die mit der Äbtissin einen regen Verkehr unterhielten. Besonders mit dem schon erwähnten Aidan war sie in heiliger Geistesfreundschaft verbunden.
Die gleiche Ordnung und Regel führte Hilda in dem Doppelkloster Strenaeshalch ein, das sie nach einiger Zeit gründete. An dem einsamen Ort, an dem das Kloster erbaut wurde – so erzählt die spätere Legende, die den einfachen Vorgang mit Wundergerank umsponnen hat – hätten in dichtem Gestrüpp eine solche Unmenge von Schlangen gehaust, dass anfangs wegen der Gefahr von ihnen gebissen zu werden, niemand dort hätte wohnen können. Voll Furcht wagten die Jungfrauen nicht ihre Zellen zu verlassen und das Wasser für den täglichen Bedarf zu schöpfen. Da warf sich die heilige Hilda auf die Erde und betete zu Christus, dass er sie auf die Felsen an der Meeresküste verbanne. „Verwandle also, ich bitte dich, die Schlangen, die in der Umgebung dieses Ortes hausen, in naturharten Stein, damit wir fortan nicht mehr ihre Frechheit zu fürchten brauchen, sondern in Frieden und Ruhe, mit freiem Geist dir dienen können, dem alleinigen Herrn, der da ist Gott, hochgelobt in Ewigkeit!“ Und als alle antworteten: Amen! siehe, da schlüpften aus allen Ritzen des Bodens die Schlangen heraus. Sie krochen um die Wette hin an die Küste des Meeres und ließen sich ohne Verzug die steilen Felshänge hinabgleiten, allwo sie zu Stein erstarrten. Seit dieser Zeit, schließt die Legende, findet man dortselbst Steine, die ganz genau die Figur von Schlangen haben.
Beda der Ehrwürdige weiß von diesem Wunder der heiligen Hilda nichts. Auch ihre Tätigkeit als Äbtissin fasst er in die kurzen Sätze zusammen: „Sie lehrte hier die treue Übung der Gerechtigkeit und Frömmigkeit, der Keuschheit und der anderen Tugenden, besonders des Friedens und der gegenseitigen Liebe. Nach dem Beispiel der Urkirche gab es dort nicht reich noch arm; allen war alles gemeinsam, keiner besaß etwas zu eigen. So groß war die Klugheit der Frau Äbtissin, dass nicht bloß die einfachen Leute in ihren Anliegen sie um Rat fragten, sondern dass mitunter sogar Könige und Fürsten sie aufsuchten. Für das Studium der Heiligen Schrift bei ihren Untergebenen, für jede Übung guter Werke trug sie derart Sorge, dass man dort ganz leicht Männer in großer Zahl finden konnte, die des Dienstes am Altar würdig waren . . . Wir haben ja doch selbst bereits fünf Bischöfe aus diesem Kloster hervorgehen sehen, lauter Männer von hervorragender Tüchtigkeit und Heiligkeit: Bosa, Aetla, Oftfor, Johannes und Wilfried“ (der Jüngere).
Von dem umfassenden Einfluss der heiligen Hilda können wir uns kaum eine Vorstellung machen. Sie war wirklich ein kostbares Geschmeide, das das ganze Land mit seinem strahlenden Glanz erfüllte, wie einst ihre Mutter Bertswitha vor ihrer Geburt geträumt hatte. Das sprechendste Beispiel für ihre einflussreiche Stellung in der englischen Kirchengeschichte ist die große Synode von Whitby, die eben in ihrem Kloster 664 stattfand und auf der die liturgische Einheit des Landes hergestellt wurde. Denn bis dahin hatten die Kelten (Irländer, Gälen) und die durch sie bekehrten Angelsachsen das Osterfest immer an einem anderen Tag gefeiert als die angelsächsischen Stämme, denen durch römische Missionare oder ihre Schüler das Evangelium gebracht worden war. Auch sonst gab es manche Verschiedenheit in den kirchlichen Gebräuchen. Die Äbtissin Hilda nun stand mit den Ihrigen auf der Seite des schottischen Bischofs Colman, der heilige Wilfrid (der Ältere), der spätere Erzbischof von York war der hitzigste Verteidiger der römischen Praxis. Scharf prallten die Gegensätze aufeinander. Schließlich aber spielte Wilfrid seinen letzten Trumpf aus, die Verheißung des Herrn an Petrus: „Du bist Petrus, der Fels; und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, . . . und dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben.“ „Colman!“ fragte da der König Oswy seinen Bischof, „ist das wirklich so zu Petrus vom Herrn gesagt worden?“ „Ja, mein König!“ erwiderte er. „Habt ihr etwas zum Beweis anzuführen, dass eurem Columba – gemeint ist der heilige Columba von Jona – auch eine solche Macht verliehen worden ist?“ Und er musste antworten: „Nichts.“ Und der König seinerseits: „Sind also beide Parteien widerspruchslos dahin einig, dass jene Worte vor allen anderen dem Petrus gesagt und ihm die Schlüssel des Himmelreiches übergeben worden sind?“ Und beide Parteien bejahten. Er aber zog nun die Schlussfolgerung: „Und ich sage euch: dann ist er der Himmelspförtner, mit dem ich nicht in Widerspruch kommen will; im Gegenteil, soweit ich es verstehe und die Macht habe, will ich seinen Geboten in allem gehorchen. Sonst könnte es mir begegnen, dass ich an die Himmelstür komme und mir niemand aufsperrt, wenn der von mir nichts wissen will, der, wie ihr bewiesen habt, die Schlüssel hält.“ Das brachte die Entscheidung. Colman fügte sich zwar nicht, sondern verzichtete lieber auf seinen Bischofssitz. Die Äbtissin Hilda aber nahm die Beschlüsse der Synode an und arbeitete in der Folge auch an ihrer Durchführung. Dem heiligen Wilfrid wurde sie allerdings eine mächtige Gegnerin, als er sich gegen die organisatorisch notwendige, wenn auch in der Art der Durchführung verletzende Teilung seines großen Kirchensprengels sträubte.
Doch lassen wir nunmehr wieder den heiligen Beda zu Wort kommen. „Nachdem jene Frau viele Jahre hindurch ihrem Kloster vorgestanden hat, gefiel es dem gütigen Spender unseres Heils, ihre heilige Seele noch in langer Krankheit zu läutern, damit nach dem Beispiel des Apostels ihre Tugend in der Schwachheit vollendet werde. Fieberschauer schüttelten sie und schwächten sie wieder durch arge Hitze; und sechs Jahre lang litt sie ununterbrochen an dieser selben Krankheit. Während der ganzen Zeit hörte sie aber nicht auf ihrem Schöpfer Dank zu sagen oder die ihr anvertraute Herde, alle oder einzeln, zu unterweisen. Vor allem ermahnte sie, nachdem sie das an sich selbst gelernt hat, bei gesundem Körper dem Herrn im Gehorsam zu dienen und in Widerwärtigkeit oder Krankheit Gott im Treuen zu danken. Im 7. Jahr ihrer Krankheit schlug sich der Schmerz auf die Eingeweide. Sie kam zum letzten Tag ihres Lebens (17. Dezember 680). Beim Hahnenschrei empfing sie nochmals die heilige Wegzehrung. Dann rief sie die Mägde Christi, die mit ihr im gleichen Kloster wohnten, herbei und mahnte sie ja den Frieden des Evangeliums untereinander und mit allen zu bewahren. Und während dieser Worte schaute sie heiteren Auges den Tod, ging sie vom Tod hinüber zum Leben.
„Es hat verlangt der König deiner Schönheit:
Er, der da ist der Herr, dein Gott. –
Höre, meine Tochter, und siehe
Und neige dein Ohr!
Sie ist die Jungfrau weise
Und eine aus der Schar der Klugen.“
(Graduale aus der 2. Messe zu Ehren der heiligen Jungfrauen)