Wenn in unserem Geist die Erinnerung an eine schwere Verfolgungszeit des christlichen Glaubens, an eine Märtyrerzeit auftaucht, so schwebt ihm gewöhnlich das Bild des Amphitheaters zu Rom vor. Ein grausamer Diokletian oder Nero bringt unser beleidigtes menschliches Gefühl in Erregung. Und doch bietet das schon längst christliche England des 16. Jahrhunderts ein Saatfeld von Märtyrerblut, für Christus und seine Wahrheit vergossen, das nicht weniger fruchtbar und glorreich ist als irgend eines aus der Heldenzeit der Kirche. Dort wütete ein Wüstling und Tyrann auf dem Thron, Heinrich VIII., und eine nichtswürdige, eitle Königin, Elisabeth, durch ihre dienstbaren Schergen Jahrzehnte hindurch mit den ausgesuchtesten und gewalttätigsten Mitteln gegen die Katholiken, besonders die katholischen Priester, die ihrer Neuerung in Glaubenssachen zu widerstehen und für die Erhaltung der katholischen Religion zu wirken wagten. Vielfach haben diese seeleneifrigen Apostel sich im Ausland auf ihren gefahrvollen Beruf vorbereitet. Kaum einige Monate, während derer sie von den furchtbaren „Priesterjägern“ wie gehetztes Wild im Land herumirrten, waren ihnen meist zur Aussaat gegönnt. Ein entsetzlicher Tod am Galgen oder ein langes Siechtum im Kerker war ihr Los, ihr zumeist selbst ersehnter Lohn, die Krone eines Märtyrers Christi.
John Nelson dürfen wir heute als ersten dieser ruhmreichen Helden grüßen. Er war im Jahr der Losreißung Englands vom Heiligen Stuhl, 1534, in Yorkshire geboren. Schon hatte er das vierzigste Lebensjahr zurückgelegt, als er von dem Seminar in Douay in Flandern und seinem Zweck hörte. So glühend war er für den Glauben seiner Väter begeistert, dass ihn sein Alter nicht zurückhalten konnte, die Studien nochmals aufzunehmen, um sich zum Dienst der heiligen Kirche in seiner Heimat vorzubereiten. Im Jahr 1573 kam er nach Douay und schon nach drei Jahren war er als würdiger Missionar wieder auf dem Weg nach England.
Allzu kurz war ihm die Gelegenheit gegönnt, am Seelenheil seiner Landsleute zu arbeiten. Am Abend des 1. Dezember 1577 wurde er zu London in seinem Zimmer verhaftet, während er eben beim Lampenschein das Breviergebet, die Matutin für den folgenden Tag, verrichtet. Das genügte natürlich, ihn als papistischen Priester sofort in den Kerker zu werfen. Vor die Kronkommissare gestellt, wurde er aufgefordert, den Suprematseid, der die Königin als Oberhaupt der englischen Kirche erklärte, zu leisten. Er verweigerte ihn ganz entschieden, denn niemals habe er gelesen oder gehört, dass ein weltlicher Fürst mit der obersten Leitung der Kirche betraut sei. Das sei allein der Papst. Als man ihn fragte, was er denn von der englischen Kirche halte, entgegnete er, sie sei ohne allen Zweifel sowohl schismatisch als auch häretisch (irrgläubig). Aufgefordert, was er unter Schisma verstehe, erklärte Nelson: „Das Schisma ist die freiwillige Trennung von der Gemeinschaft des römisch-katholischen Glaubens.“ Sofort zogen die Kommissare den richtigen Schluss: „Wie? Also ist die Königin schismatisch?“
„Das weiß ich nicht,“ antwortete er vorsichtig, „denn ich kenne die Gesinnung ihres Herzens betreffs der Verkündigung und Verteidigung der neuen Religion nicht.“
„Gerade sie ist es,“ drängten die Kommissare, „welche diese Religion verkündigt und verteidigt. Was denkst du also?“ Der Selige schwieg einen Augenblick. Er kannte das Statut wohl, das jeden, der die Königin schismatisch oder häretisch nannte, mit der Strafe des Hochverrats bedrohte. Er wollte sie nicht ohne Not reizen, aber auch seinen Glauben nicht verleugnen. So antwortete er bedingungsweise: „Wenn sie diese Religion öffentlich verkündigt und verteidigt, so ist sie zweifelsohne schismatisch und häretisch.“ Dieses Bekenntnis war genügender Beweis, ihn auf Leben und Tod anzuklagen. Sieben Wochen später wurde Nelson, da er auf dieser bedingt gegebenen Behauptung verblieb, zum Tod des Hochverrats verurteilt. Mit großer Seelenruhe nahm er das Urteil auf. Es war am Vorabend von Mariä Lichtmess. Am Tag nach diesem schönen Muttergottesfest sollte es vollstreckt werden. Mit Fasten und Beten bereitete sich der Selige auf den Hingang vor, der für ihn der Eingang in die unaussprechlichen Wonnen werden sollte, die der Herr seinen treuen Blutzeugen vorbehalten hat. Von irdischen Dingen wollte er so wenig hören, dass er nicht einmal die Märtyrerakten, wie ihm ein Freund riet, zur Lesung nehmen wollte. Er habe Betrachtungsstoff genug, sagte er, und denke an das blutige Leiden, das so viele tausend Heilige für Christus geduldet hatten. Eine Quelle süßer Zuversicht war ihm der Empfang der heiligen Kommunion. Ist doch kein Kerker so tief und keine Mauer zu dick, dass nicht der eucharistische König zum Trost seiner Getreuen Eingang fände. Noch bevor sein Urteil gesprochen war, kamen nämlich einige Katholiken zu ihm in den Kerker und wünschten aus seiner Hand mit dem Himmelsbrot gespeist zu werden. Ein Priester würde ihm denselben Liebesdienst erweisen. Sie schlugen den Tag nach Mariä Lichtmess vor, weil man an diesem Tag am wenigsten Argwohn schöpfen würde. Allein Nelson entschied für vier Tage vorher, ohne eine Ahnung zu haben, dass er dem Martertod unmittelbar nahe sei. Ohne diese glückliche Fügung würde er die heilige Wegzehrung nicht mehr haben empfangen können. Auch hatte der Selige während seiner Gefangenschaft um Aufnahme in die Gesellschaft Jesu nachgesucht und sie erhalten.
Am Morgen des 3. Februar besuchten ihn nochmals zwei seiner Verwandten, vermutlich Brüder. „Was fangt ihr an,“ sprach er zu den Weinenden. „Ich sollte in dieser Stunde von euch getröstet werden. Weint und seufzt über eure Sünden! Was mich betrifft, so bin ich der zuversichtlichen Hoffnung, dass mir dieser Tod das größte Glück bringen wird.“ Gefasst nahm er Abschied. Die ihn besuchenden anglikanischen Geistlichen wies er kurz ab, ohne sich in einen Disput mit ihnen einzulassen. Als die Beamten, die ihn auf die Schleife warfen, ihn aufforderten, er solle die Königin um Verzeihung bitten, weigerte er sich, da er sich keines Vergehens bewusst sei. Die Volksmenge schrie tobend, dann würde er auch mit all den ausgesuchten Qualen eines Hochverräters sterben. „Gut,“ sagte er, „Gottes Wille geschehe! Ich sehe den Tod vor Augen und sterbe gerne. Besser ist es, hier unter den ausgesuchtesten Qualen zu sterben, als die ewigen Qualen der Verdammten in der Hölle zu leiden.“ Schon auf dem Karren stehend, der unter den Füßen weggezogen zu werden pflegte, wenn der Hinzurichtende die Schlinge um den Hals hatte, betete Nelson die gewöhnlichen Gebete eines katholischen Christen nebst dem Miserere, De profundis und Confiteor. Darauf sprach er zu dem versammelten Volk:
„Euch alle, so viele ihr am heutigen Tag diesem Schauspiel anwohnet, fordere ich zu Zeugen auf, dass ich ein Katholik bin und für meinen Glauben, den ich nicht verraten wollte, mit größter Freude Blut und Leben hinopfere. Deshalb bitte ich den allmächtigen Gott, dass er gemäß seiner großen Barmherzigkeit eure Herzen erleuchten wolle, damit ihr wahre Katholiken werdet und im Schoss der heiligen, katholischen, römischen Kirche lebt und sterbt.“
Das Volk schrie bei diesen Worten: „Nieder mit dir und deinem römisch-katholischen Glauben!“ Der Selige aber wiederholte unerschrocken nochmals diese Bitte. Dann bat er alle um Verzeihung und forderte die anwesenden Katholiken auf, für ihn zu beten. Viele riefen offen: „Herr, nimm auf seine Seele!“
Nochmals bedrängten ihn die Beamten, die Königin um Verzeihung zu bitten: Einen Augenblick sich besinnend, sprach der Selige: „Wenn ich sie oder sonst jemand beleidigt habe, so bitte ich sie und jedermann um Verzeihung, wie auch ich allen verzeihe.“
Sobald der Selige hing, wurde er wieder vom Strick losgeschnitten. Man riss ihm, noch bei voller Besinnung, die Eingeweide aus dem Leib. Als der Henker nach seinem Herzen griff, betete der Sterbende noch namentlich für seine Verfolger. Das Volk, das noch kurz zuvor sosehr gegen den Seligen tobte, wurde jetzt hiervon tief ergriffen. Die ehrwürdigen Gliedmaßen des Seligen wurden in der üblichen Weise an den vier Toren der Hauptstadt, sein Haupt an der Londoner Brücke aufgespießt. Nach einem Bericht des Kardinals Allen wirkte Gott durch die Reliquien des seligen Blutzeugen verschiedene Krankenheilungen.
„Für die Frommen ist der Tod nur wie eine Wäsche,“ sagte der heilige Pfarrer vor Ars. Die Wäsche muss erst in der Lauge liegen, dann wird sie schön weiß. Der Tod wird die Frommen zur Verherrlichung. Darum fürchteten sie nicht den leiblichen Tod, sondern nur den ewigen. Lieber die ausgesuchtesten Qualen des irdischen Leidens und Todes als die Qualen der Hölle!