(Symbolbild - Lesender Kapuzinermönch - Carl Spitzweg)
„Ganz romantisch,“ so beginnt der bekannte Kapuziner-Schriftsteller Pater Jlg das Lebensbild unseres Johannes in seinen „Franziskusrosen“, „klingt das Leben und die Berufung dieses Dieners Gottes.“ Als der außerordentlich schöne Knabe auf der Gasse seiner Vaterstadt Ulm mit seinen Altersgenossen spielte, fiel er vornehmen Reisenden aus Welschland auf. Einer von ihnen lockte den Ahnungslosen an sich, setzte ihn zu sich aufs Pferd und jagte davon. So kam der Geraubte im Alter von sieben Jahren nach Neapel. Doch harrte hier des Entführten wenigstens kein schlimmes Los. Der Knabe wurde gut erzogen, und zwar im katholischen Glauben, während seine Eltern wie fast alle Einwohner Ulms protestantisch waren, und schließlich kam er als Page in den Dienst der Königin von Neapel und wurde wegen seiner inneren und äußeren Vorzüge hochgeschätzt. Sein Glück schien gemacht. Die Königin schenkte dem unschuldigen Jüngling ihr besonderes Wohlwollen. Eine glänzende Zukunft stand ihm bevor. Doch Johannes war nicht glücklich. Das Hofleben ließ ihn kalt, die rauschenden Feste und Vergnügungen erhöhten nur seine Schwermut; er kam sich wie ein gefangener Vogel vor. Was war es? Der Beruf zum Ordensmann schlummerte in ihm. Eines Tages verließ der Page das Schloss, eilte ins Kapuzinerkloster und bat um Aufnahme. Der Pater Guardian aber, ein besonnener Mann, verlangte zuerst die Einwilligung der königlichen Herrin des ungestümen Bittstellers. Aber diese Einwilligung war nicht leicht zu erhalten. Die Königin verweigerte die Erlaubnis, und als der Jüngling nicht aufhörte mit Bitten, suchte sie ihn sogar durch Drohungen zu schrecken. Schließlich konnte sie aber seinen flehentlichen Bitten doch nicht mehr widerstehen. Sie gab die Erlaubnis und sofort eilte der Page ins arme Klösterlein. Es war am 15. Mai 1545. Der Edelknabe wurde nun Ordensmann als „Pater Johannes von Ulm“. Wir treffen ihn später (1583) als Novizenmeister in der Schweiz. Besonders wurde da Johannes hochgeachtet als Mann des Gebetes und der Betrachtung. Oft kam es vor, dass seine Mitbrüder auch nicht durch ein starkes Geräusch ihn aus der tiefen Betrachtung wecken konnten. Obgleich zum Definitor der Provinz erwählt, schien es, als bleibe er stets Novize. Er sagte: „Je mehr ich mich meinem Lebensende nähere, umso mehr möchte ich zum ersten Eifer des Noviziats zurückkehren.“
Noch ein Ereignis ist des Gedenkens wert, ebenso romanhaft wie das Jugendleben unseres Paters Johannes. Pater Burgener erzählt in der Helvetia sancta: Eines Tages meldete sich ein Greis mit schneeweißen Haaren an der Kapuzinerpforte zu Stans. Vom hohen Alter und der weiten, beschwerlichen Reise erschöpft, spricht er den Wunsch aus: „Ich komme von Ulm und möchte meinen Sohn, den Pater Johannes, vor meinem Sterben noch sehen.“ Johannes erschien. Welch ein freudiges Wiedersehen nach fünfzig Jahren! Vater und Sohn liegen einander in den Armen; Tränen der Freude schimmern in den Augen. Sie finden nicht Worte genug, den Himmel für dieses glückliche Wiedersehen zu preisen. Es waren für beide Augenblicke der überströmenden Freude, die keine Feder zu beschreiben vermag. Der ganze Konvent eilte herbei, um Zeuge dieser rührenden Szene zu sein.
Bald erging auch an den Novizenmeister der Ruf, ins Vaterhaus zu kommen. Sterbend brach Johannes in die jubelnden Worte aus: „Brüder, macht Platz, es kommt Maria, die Mutter des Herrn, mit den heiligen Engeln!“ Dann breitete er seine Arme sehnsüchtig aus, sein Angesicht strahlte von himmlischer Freude. Den Namen Maria auf den Lippen, folgte er dem Ruf, der ihn zu den ewigen Freuden lud. Ganz Luzern trauerte, als es hieß, Pater Johannes von Ulm sei – am 26. August 1605 – selig verschieden. Der Leichnam zeigte eine Verklärung, eine Schönheit wie die eines Kindes. Seine Mitbrüder ehrten ihn wie einen „heiligen“ Mann und hatten hierin recht. Der Name des Dieners Gottes strahlt im Heiligenbuch des Ordens einem lichten Stern gleich. Johannes hatte ein Alter von vierundsiebzig Jahren erreicht und von diesen neunundfünfzig im Orden zugebracht.
Wenn die Welt ein Menschenkind durch Lockung oder Versprechungen an sich zieht, so ist das immer ein Raub. Der Welt und ihrem Fürsten dienen ist Sklaverei. Sind wir doch für Gott geschaffen und Gottes Eigentum. Und das ist unsere wahre Größe. Gott erhebt uns bis zu sich und lässt uns an seiner Herrlichkeit teilnehmen. Außer Gott ist nichts groß genug zu unserem Ziel. Was ist doch der Mensch in den Gedanken Gottes! Welch eine Seligkeit, wenn er beim ewigen Wiedersehen dem himmlischen Vater in die Arme sinken darf, dessen Kind er schon durch die Gnade ist.