Kurz vor seinem Hinscheiden tröstete der heilige Klemens M. Hofbauer die jungen Leute, die in seine Kongregation eintreten wollten, mit den Worten: „An mir habt ihr bisher einen unvollkommenen Meister gehabt, doch seid getrost, bald werde ich meinen großen Franzosen kommen lassen. Er wird euch beten lehren. Wenn ihr unter seiner Leitung nicht heilig werdet, so werdet ihr es niemals.“ Dieser große, hagere Mann war Pater Passerat, geboren am 23. April 1772 zu Joinville, einer kleinen Stadt in der Champagne. Er hatte fromme Eltern, die dem Mittelstand angehörten, und einen jüngeren Bruder, der frühzeitig in einen beschaulichen Orden trat. Unser Joseph hat während seiner sechsundachtzig Jahre nicht bloß die Taufunschuld bewahrt, sondern nach Aussage seiner Seelenführer wahrscheinlich nie mit voller Überlegung auch nur eine lässliche Sünde begangen. Schon als kleiner Junge hatte er seine Freude daran, priesterliche Funktionen nachzuahmen. Er kam in eine Klosterschule, dann ins bischöfliche Knabenseminar, später an die Pariser Universität. Seine Talente waren ausgezeichnet. Da kam die Revolution. Er musste nach Hause. Als 1792 die Preußen mit 90.000 Mann in Frankreich einrückten, musste auch Passerat unter die Soldaten. Er war zwanzig Jahre alt, stark und wohlgebaut. Wegen seiner hohen majestätischen Gestalt wurde er gleich zum Tambourmajor ernannt. Doch da Regierung und Militär revolutionär waren, suchte er zu entfliehen. Glücklich entkam er über die Grenze und gelangte nach vielen Mühen über Lüttich, Trier, Münster nach Augsburg, wo er im Jesuitenkolleg Aufnahme fand und seine Studien fortsetzen konnte. Um diese Zeit hörte er vom heiligen Klemens Hofbauer und von der neugegründeten Kongregation. Mit drei Kameraden wanderte er jetzt dreihundert Wegstunden durch Sachsen, Preußen, Polen und kam 1796 in Warschau an. Pater Klemens nahm sie alle auf; nach einigen Wochen Prüfung erhielten sie das Ordenskleid.
Joseph Passerat zeichnete sich aus durch Gebetseifer und Abtötung. Wenn der Sakristan morgens die Kirchtür öffnete, traf er unseren Novizen oft im strengsten Winter im Schnee kniend und betend an. Er pflegte oft zu fasten, geißelte sich alle Tage, oft bis aufs Blut. Dazu wurde er vom Novizenmeister streng behandelt und tief verdemütigt. Die Geduld des Schülers ertrug alles. In Anbetracht des außerordentlichen Eifers wurde Passerat schon nach vier Monaten zur Profess zugelassen, einige Monate später erhielt er auch die Priesterweihe, am 15. April 1797. Bald wurde ihm das Amt des Novizenmeisters übertragen. Sieben Jahre später wurde in Jestetten bei Schaffhausen eine Niederlassung gegründet und Pater Passerat wurde zu ihrem Obern ernannt. Er reiste etwa dreihundert Stunden zu Fuß dorthin. Hier herrschte große Not und bittere Armut. Frühstück gab es überhaupt keines. Größer aber als die Not war das Gottvertrauen Pater Passerats. Zu seinen Untergebenen sagte er: „Niemals ist Gott uns näher, als wenn uns alles verlässt. Gott ist unser Vater, unser bester Vater; ist er nicht verpflichtet uns zu helfen, sobald wir keine andere Hoffnung haben als ihn.“ Vom unkirchlichen Wessenberg wurden die Redemptoristen wieder vertrieben. Pater Klemens berief nun Pater Passerat ins neue Haus nach Babenhausen bei Augsburg. Im Winter geschah die Übersiedelung, dreißig Wegstunden weit. Die Hausgeräte trugen sie alle mit sich: Pater Passerat selbst wie die Patres und Brüder. Diese Reise war nur der Anfang einer ganzen Reihe ähnlicher Wanderungen, die erst nach zwölf Jahren endigen sollten. Vom fortwährenden Fasten war der Magen des exemplarischen Mannes derart angegriffen, dass ihm jede Nahrung ein schmerzhaftes Erbrechen verursachte; doch war er heiter und guten Mutes.
Als der fromme Missionar 1811 in der französischen Schweiz in seiner Muttersprache predigen durfte, da konnte er seinem Eifer freien Lauf lassen. „Wollt ihr euch eine Vorstellung von unserem göttlichen Heiland machen,“ so sagte man damals, „so schaut nur Pater Passerat auf der Kanzel an.“ Beim Volk war er „der heilige Priester“; „der Priester, der immer von Gott redet“; „der große Priester, der immer betet“, „der große Beter“. Besonders waren es die Sterbenden, die um seinen Beistand inständig baten, da sie seinen Segen in der Todesstunde als ein Unterpfand des Heils ansahen. Im Jahr 1813 gab er den Priestern der Diözese Freiburg auf Wunsch des Bischofs Exerzitien. Schon der erste Vortrag über die Notwendigkeit der Buße erregte bei den Priestern eine so allgemeine Zerknirschung und erfüllte alle mit solch heiligem Schrecken, dass seine Zuhörer in Tränen ausbrachen. Man ersuchte ihn seinen Eifer zu mäßigen, da man schon zu sehr ergriffen sei. Statt der folgenden Predigt über das Gericht Gottes nahm er nun die Worte des heiligen Paulus zum Ausgangspunkt: „Jetzt freue ich mich, nicht weil ihr betrübt wurdet, sondern weil ihr betrübt wurdet zur Sinnesänderung.“ War vorher die Furcht groß, so war jetzt das Vertrauen noch größer. So sehr waren alle für ihn eingenommen, dass sie sich vornahmen, ihn alle Jahre für die Exerzitien zu verlangen.
Waren bisher Pater Passerat und seine Mitbrüder immer wieder verjagt und zerstreut worden, so konnten sie am 12. Mai 1818 ein neues Haus beziehen, Val Sainte, ein altes Trappistenkloster. Ganz ermattet und von Hunger gequält kamen sie an, fanden aber nicht die geringste Nahrung vor. Ein armer Bauer erbarmte sich ihrer nach langem Warten und gab ihnen etwas Ziegenmilch und Brot. Das Elend war derart, dass es nicht größer sein konnte. Nachdem auch bessere Verhältnisse eingetreten waren, lebten doch alle in der größten Einfachheit. Im März 1820 war Pater Hofbauer als Generalvikar der Kongregation gestorben. Sofort schrieb Pater Passerat nach Rom an Pater General, man möge ihn seines Amtes als Rektor entheben, er schlug drei andere Patres als tauglich vor. Wie überrascht war er, als von Rom ein Schreiben kam, worin er als Nachfolger des verstorbenen Generalvikars Hofbauer ernannt wurde. Dieser hatte nämlich schon zu Lebzeiten (1811) Folgendes nach Rom berichtet: „Ich befinde mich augenblicklich in Wien und erhalte oftmals Briefe von Pater Passerat. Er besitzt außerordentliche Klugheit und Frömmigkeit und macht, dass alle seine Untergebenen sich durch vollkommene Beobachtung der Regel auszeichnen. Wenn man ihn sieht, sollte man ihn für die personifizierte Geduld halten. Sein unersättlicher Eifer bewirkt, dass er keine Arbeit scheut und vor keiner Gefahr zurückschreckt. Einen Weg von mehr als dreihundert Stunden hat er zu Fuß zurückgelegt. Außerdem ist er noch zweimal zu mir nach Wien gekommen, einzig und allein aus Liebe zu Gott und aus Eifer für das Wohl der Kongregation. Kurz, die Kongregation besitzt in ihm ein vollkommenes Muster aller Tugenden. Wenn Gott mich von dieser Welt abberuft, so möchte ich Sie bitten, ihn zu meinem Nachfolger als Generalvikar zu ernennen.“ Das war jetzt geschehen, 1820. Das neue Amt kam ihm nicht als Ehre, sondern als verlängertes Martertum vor, war er doch schon achtzehn Jahre lang Oberer gewesen. „Nur stolze und törichte Menschen freuen sich Obere zu sein,“ meinte er früher schon.
Pater Passerat kam nun nach Wien und stieß gleich am Anfang auf zahlreiche Schwierigkeiten. Vor allem war er als Franzose den gehässigsten Nachforschungen der Wiener Polizei ausgesetzt. Man schrieb an alle Gemeindevorsteher, wo er sich bis jetzt aufgehalten hatte. Aber gerade diese Nachfragen dienten dazu, die Hochachtung vor seinen Tugenden, die er überall geübt hatte, auch in Wien bekannt zu machen. Er verlor den Mut nicht: „Das Gute, das Gott will, kommt sicher zustande,“ pflegte er zu sagen.
Über seine Erfolge schrieb vierzig Jahre später einer seiner Wiener Novizen, Pater Friedrich von Held: „Der wahre Ordensgeist und das Streben nach Vollkommenheit, die damals in der Kongregation bestanden, und alles, was sich davon in den einzelnen Mitgliedern, Häusern und Provinzen erhalten hat, all das verdankt man dem Pater Passerat . . . Ich bin fest überzeugt, dass sich die Kongregation in Österreich ohne seine geistliche Leitung nicht bis zur Revolution des Jahres 1848 erhalten hätte.“ Nach fünf Jahren eifrigen Bemühens und inständigen Betens gelang es ihm am 4. Dezember 1826 zu Mautern in Steiermark ein Studienheim zu gründen, das bis zur Stunde in herrlicher Blüte steht. Es war das erste Haus nach Wien, dann folgten bald eine Reihe anderer Häuser in Österreich. Ja, auch nach Lissabon, Belgien, Bayern, Elsass, Holland und Amerika kamen die Söhne des heiligen Alphons. Im ganzen wurden zweiundvierzig Häuser, dazu zwei Redemptoristinnenkollegien nach dem Vorbild in Neapel gegründet.
Im Jahr 1848 brach in Wien die Revolution los. Die Ordensleute mussten vor dem Pöbel sich flüchten. Pater Passerat hatte sich einen Reisepass verschafft und kam in der Kleidung eines weltlichen Herrn durch Österreich, Bayern, Preußen glücklich nach Belgien, wo er im Kloster zu Lüttich seinen Wohnsitz nahm. Er war zum sechsundsiebzigjährigen Greis geworden. Fast fünfzig Jahre trug er die Bürde eines Oberen. Nun reichte er eine Bittschrift in Rom ein und erlangte Befreiung von seinem Amt, nicht ohne die rühmendsten Anerkennungen seitens des Pater Generals und des Heiligen Stuhls. Die nächsten zwei Jahre lebte er zu Brügge als Hausgeistlicher der Redemptoristen. Im Jahr 1850 wurde er vom Schlag getroffen, erholte sich aber wieder und zog sich nach Tournai in Belgien zurück, um sich einzig und allein noch acht Jahre lang auf den Tod wohl vorzubereiten.
Gott, der seinen treuen Diener zu einem vollendeten Heiligen machen wollte, ließ ihn diese acht Jahre hindurch das Fegfeuer der Heiligen durchmachen. Er schickte ihm körperliche Schmerzen und noch viel peinlichere Seelenleiden. In den Jahren 1853 und 1855 hatte ihn der Schlag wiederholt getroffen. Nun war er ganz gebrochen und konnte zu seinem Leidwesen kein heiliges Opfer mehr darbringen. Dazu kam die Teilnahme an der Verlassenheit des Heilandes am Kreuz. Sein Verlangen nach dem Tod erlangte bisweilen einen so hohen Grad, dass es fast an Irrsinn zu grenzen schien. Darauf wurde er plötzlich von so großer Furcht vor dem Gericht Gottes ergriffen, dass er bei dem Gedanken an den Tod, den er soeben herbeigewünscht hatte, zitterte.
Wie St. Alphonsus erweckte auch sein treuer Sohn stets Akte der Liebe zu Gott und dem Nächsten und bat den Krankenbruder ihm zu noch immer vollkommeneren behilflich zu sein. Der Rosenkranz kam nie aus seinen Händen und wenn man in seiner Gegenwart nur den Namen „Maria“ aussprach, so verklärten sich seine Gesichtszüge. Endlich kam der heißersehnte Tag, 30. Oktober 1858, an welchem der Diener Gottes dies Jammertal verlassen und zur Anschauung seines höchsten Gutes gelangen sollte. Tags zuvor hatte ihn der Krankenbruder noch gefragt, ob er den Tod fürchte. „O ja, ich fürchte den Tod, ich fürchte ihn sehr.“ Diese Furcht war die letzte Prüfung, die er zu bestehen hatte, um seine schon gereinigte Seele vollständig zu läutern. Kurz darauf hatte der Diener Gottes kein anderes Verlangen mehr als nach dem Himmel. Vormittags gegen halb elf Uhr fiel er plötzlich in Ohnmacht, ein Pater gab ihm eilig die heilige Ölung und ohne allen Todeskampf schied der ehrwürdige Mann ganz ruhig aus diesem Leben, um im Himmel jene Herrlichkeit zu erlangen, die seine Tugenden ihm verdient hatten.
Wir dürfen hoffen, ihn einst auf die Altäre erhoben zu sehen, denn Gott hat ihn bereits durch Wunder verherrlicht und der Heilige Stuhl hat ihm den Titel „Ehrwürdig“ zuerkannt.
Als sich der ehrwürdige Pater Passerat 1855 vom dritten Schlaganfall etwas erholt hatte, sprach er zum Pater, der bei ihm wachte: „Gestern Abend wollte ich allen meinen Mitbrüdern recht ans Herz legen, doch immer in der heiligen Furcht Gottes zu leben. Versprechen Sie mir, dass Sie es ihnen sagen wollen.“ Diese Mahnung gibt der Eifervolle uns allen.
(P. Hermann Stalf, + 12. Februar 1928)