Justin wurde um das Jahr 100 nach Christ Geburt zu Sichem im Heiligen Land als der Sohn eines griechischen Siedlers geboren. Die Eltern waren Heiden und erzogen den Sohn im heidnischen Glauben. Als Justin älter wurde, fand er durch eigenes Nachdenken, dass in der Götterlehre manches nicht stimmen könne. Um sich besser zu unterrichten, verließ der junge Mann die Heimat und suchte in den Städten weit und breit die berühmtesten Lehrer der Zeit auf, um von ihnen Weisheit zu erlernen. Bei keinem jedoch fand er die letzte Wahrheit, und überall zeigten sich seinem scharfdenkenden Geist Widersprüche und Ungereimtheiten, und schon wollte er die Hoffnung aufgeben, je die Wahrheit zu finden.
Da wandelte Justin einst sinnend am Ufer des Meeres, und es geschah, dass er einem würdigen Greis begegnete, mit dem er ins Gespräch kam. Ein Wort gab das andere, bis sich Justin schließlich als Wahrheitssuchender ausgab, der die Wahrheit nicht finden könne. Da forderte ihn der alte Mann, von dem niemand je erfuhr, wer er war, woher er kam, und wohin er ging, zum Beten auf und wies ihn an, die alten Schriften der Juden und das Evangelium Jesu Christi zu lesen, denn dort sei die Wahrheit zu finden. Mit diesen Worten empfahl sich der Greis und wurde nie mehr gesehen.
Justin befolgte den Rat des Alten, und es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Aus der Heiligen Schrift hob er wie aus einem tiefen Schacht das lautere Gold der Wahrheit. Um jedoch ganz sicher zu gehen, verglich Justin als vernünftiger und vorsichtiger Mann die Lehre der Christen mit dem Leben der Christen, die sich damals, vielfach im Gegensatz zur heutigen Zeit, fast ausnahmslos treu und eifrig als Christen auch betätigten. Justin beobachtete, wie innig sie zu beten verstanden, wie sie einander liebten und sich gegenseitig aushalfen und wie unerschrocken sie für den Glauben starben.
Da ließ Justin sich taufen und wurde ein Edelchrist, von der Fußsohle bis zum Scheitel, dem es nicht genug war, für sich selbst den Glauben gefunden zu haben, den es vielmehr drängte, auch andere zu Christus, der Quelle der Schönheit und Güte, hinzuführen. Ohne die Priesterweihe empfangen zu haben, zog Justin als Wanderlehrer von Stadt zu Stadt, und weil sein Wort einer tiefen Gelehrsamkeit entsprang, fand er vornehmlich bei den gebildeten Leuten Verständnis und Anklang. Manchen aus ihren Reihen verschaffte er die Gnade der Bekehrung zum Glauben. Auch nahm Justin die Feder in die schreibgeübte Gelehrtenhand und verfasste eine Reihe von Schriften zur Verteidigung des Christentums, die einen nachhaltigen Einfluss ausübten. So wurde durch Justin, wie der Apostel sagt, die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht, während sich nach den Worten des Kirchengebetes die Torheit des Kreuzes als überragende Wissenschaft offenbarte. Schließlich besiegelte Justin seinen Glauben mit dem Martertod.
In der dieser Legende ist besonders die Tatsache zu beachten, dass der heilige Justin nicht nur durch die Lehre, sondern auch durch das vorbildliche Leben der damaligen Christen zum wahren Glauben gelangte.