Ich habe in Brabant (so berichtet ein unbekannter Geschichtsschreiber) eine Nonne des Ordens der Zisterzienserinnen gesehen, an der sich, da sie sich aus dem Judentum bekehrt hatte, die Macht der heiligen Mutter Christi auf eine glorreiche Weise offenbarte. Sie war noch nicht vollends fünf Jahre alt, als es ihr auffiel, warum sich denn die Juden und Christen mit verschiedenen Namen benennen, da sie doch dasselbe äußere, dieselbe Sprache haben und alle Menschen sind. Sie merkte sich jedoch, wie sie später erzählte, mit mehr Wohlgefallen die Namen der Christen als die der Juden, und ganz besonders fühlte sie große Freude, wenn sie von den Christen, die sich gegenseitig um etwas baten, den Namen „Maria“ aussprechen hörte. Die Kleine nahm mit beiden Händen Brot und die Überbleibsel des Tisches, und gab diese heimlich den christlichen Armen, damit sie, wenn sie ihr dafür dankten, den Namen „Maria“ hörte. Auf diese wunderbare Weise vermehrte sich in ihrem Herzen mit den Jahren die Liebe zu Maria, ohne dass sie die Eltern von ihren Gesinnungen etwas merken ließ.
Da traf es sich, dass die Eltern ihren bisherigen Aufenthalt in Köln veränderten und nach Löwen, einer Stadt in Brabant, zogen. Dort kam Rachel (dies war der Name des Mädchens) öfters mit anderen Kindern in das Haus eines frommen Geistlichen. Der Priester, der die guten Neigungen des Kindes wahrnahm, und dem sie ihren Wunsch, gleich anderen von Christus und Maria zu hören, zu erkennen gab, fing an, ihr von der Erschaffung der Welt zu erzählen und die Stellen der Heiligen Schrift auszulegen, durch die der christliche Glaube oder Christus selbst bezeichnet und vorherverkündigt war. Die Erklärung dieser Stellen fasste sie, wie sie mir selbst erzählt hat, mit ihrer kindlichen Seele so leicht und klar auf, dass der Priester (Reiner war sein Name) selten eine Erklärung wiederholen musste. Dieser Unterricht dauerte beiläufig anderthalb Jahre. Endlich merkten die Eltern die Hinneigung ihres Kindes zum Christentum, und es wurde im Rat mit mehreren Glaubensgenossen der Entschluss gefasst, die Tochter von Löwen weg über den Rhein zu schicken, und sie den Verwandten ihres Verlobten zur strengen Aufsicht zu übergeben. Als Rachel dies erfuhr, kam sie weinend zum Priester und sagte ihm, dass, wenn er sie nicht sogleich aus den Händen ihrer Eltern rette und taufe, sie für immer verloren und trostlos sei. Nachdem der Priester die Sache überlegt hatte, befahl er ihr am nächsten Morgen in aller Frühe zu ihm zu kommen. Das Mädchen aber schlief bis in den Morgen hinein. Es vergaß ganz darauf, was es dem Priester versprochen hatte. Da zeigte sich in einer Erscheinung die Mutter Gottes in einem blendend weißen Gewand und mit einem glänzenden Stab, den sie ihr darreichte, der Schläferin, und sprach: „Katharina, steh auf und eile, denn du hast einen weiten Weg zu machen.“ Bei diesen Worten wollte Rachel nach dem Stab greifen und erwachte. Sie stand sogleich auf und eilte zu dem Priester. Dieser brachte sie in ein nahes Frauenkloster, wo sie getauft wurde und den Namen Katharina erhielt. Nach der Taufe gab man ihr das Ordenskleid.
Als der Vater und die Verwandten erfuhren, was vorgefallen war, boten sie beim Herzog, beim Bischof von Lüttich, und endlich beim Papst Honorius selbst alles auf, dass die vor dem gesetzlichen Alter ihren Eltern entwichene Tochter ihnen wieder zurückgegeben werde. Erst, wenn sie in dem Glauben ihrer Vorfahren bis zum zwölften Jahr im Haus der Eltern verharrt, könne sie nach den gesetzlichen Bestimmungen zum Christentum übertreten. Sie dachten, in der Zeit bis dahin ließe sich das kindliche Gemüt leicht umstimmen und zum Verharren im Glauben der Eltern bewegen. Diese Versuche wurden von vielen großen und gelehrten Männern unterstützt. Die ganze Angelegenheit machte dem erwähnten Priester nicht wenig Kummer, und er rief Christus und seine heiligen Mutter, die die Urheberin des ganzen war, unter vielen Tränen um Beistand an, einzig nur mehr auf himmlische Hilfe hoffend. Das Kind selbst bat den Priester, bei der Verhandlung in dieser Angelegenheit vor die Richter gestellt zu werden. Als der bestimmte Tag herangekommen war, erschien sie vor ihnen, verwirrte durch ihr standhaftes Verharren und durch ihr aufrichtiges Bekenntnis die Rechtsgelehrten und Richter, und redete mit solcher Wärme und so verständig über ihre Berufung durch Gott und Maria, dass alle Anwesenden und die ganze Volksmenge bewegt und zu Tränen gerührt wurden und sich alle für überzeugt fühlten, dieses Kind leite der göttliche Geist. Nach zwei Jahren ließen die Ihrigen von dem Rechtsstreit ab, und spannten das Netz der List und Verstellung aus. Ein jüdischer junger Mann von schöner Gestalt wurde zu diesem Zweck gewonnen. Dieser ließ sich zum Schein taufen, und heuchelte Tugend und Frömmigkeit. Unter dem Vorwand, von Katharina als einer besonders begnadeten Person in seiner schwachen Tugend bestärkt und in den Grundsätzen eines christlichen Lebens befestigt zu werden, suchte er öftere Unterredungen mit ihr, als seiner Verwandten, zu erlangen, in der Tat aber, sie nach und nach zur Verehelichung mit ihm und zur Rückkehr ins elterliche Haus und zum früheren Glauben zu bereden. Aber Katharina von einem höheren Licht erleuchtet, durchschaute den Betrug und war weder durch Bitten noch durch Befehle zu bewegen, auch nur ein einziges Wort mit ihm zu sprechen. Nach öfters wiederholten Versuchen, warf der junge Mann die Larve ab, kehrte wieder zum Judentum zurück, und die Verwandten des Mädchens ließen von weiteren Bemühungen ab.
Diese Nonne aber habe ich später gesehen und wahrgenommen, wie sie so voll der Gnade war, dass man sich nichts Reineres und Himmlischeres denken konnte. Wenn die Eltern der adeligen Mitschwestern mit vielem Gepränge öfters in das Kloster kamen, um ihre Töchter und ihre Verwandten zu besuchen, ging sie immer zu dem Bildnis der seligsten Jungfrau Maria und sagte zu ihr voll Liebe und Ergebung: „Meine Mitschwestern, die anderen Nonnen, finden Freude und Trost bei ihren Müttern und Freunden, ich arme Waise aber und deine unwürdige Dienerin komme zu dir, o hehre Frau und meine Verwandte! Du allein sollst meine Zuflucht und mein Trost vor allen sein.“ So lebte sie, und wer wird wohl zweifeln, dass sie von der milden Mutter der Barmherzigkeit je ohne Trost gelassen worden?