Das einst so mächtige, aber vom Unglück schwer heimgesuchte Polen hat mehr als ein Jahrhundert lang einen harten Kampf um das teure Gut seines Glaubens gegen das unversöhnliche Russland führen müssen. Zu den verdienstvollsten Bannerträgern im Dulden und Streiten zählt Konstantin Lubienski (Konstanty Ireneusz Łubieński), geboren am 19. Februar 1825 zu Warschau, aus einem alten, echt katholischen Grafengeschlecht, das innerhalb dreier Jahrhunderte der Kirche zwei Erzbischöfe und zwölf Bischöfe geschenkt hatte, von den vielen Priestern abgesehen. Konstantin entsprach ganz so hohen Vorbildern. Die strenggläubigen Eltern waren bemüht, auch den Kindern eine tiefreligiöse Gesinnung durch Wort und Beispiel einzuhauchen. Der allzu frühe Tod der edlen Mutter Konstantins, die allgemein als „Heilige“ bekannt war, brachte großes Leid in die Familie. Ein deutscher Hauslehrer urteilte schon über den Knaben: „Es ist ein außerordentliches Kind, das der Himmel mit Gnaden überhäuft hat. Ich habe an ihm fast keinen Fehler entdeckt.“ Große Geistesanlagen waren ihm eigen, die sich in mehrjährigen Gymnasial- und Philosophiestudien im Jesuitenkolleg zu Freiburg in der Schweiz bestens entfalteten. Auf der Zentralschule für Kunst und Handfertigkeiten in Paris vervollkommnete sich Konstantin wenigstens gut in der französischen Sprache, seine Herzensneigung aber zog in mehr und mehr auf das geistliche Leben hin. Als er einmal seinem älteren Bruder Eduard sich eröffnete und ihn fragte, ob er ihn des Priesterstandes würdig erachte, stellte Eduard nach längerem Schweigen die Gegenfrage, die kennzeichnend ist für jene Zeit: „Hast du den Mut, ein Martyrer zu werden?“ Konstantin überlegte schweigend und antwortete endlich: „Ich habe ihn.“ „Dann werde ein Priester,“ lautete der ebenso bestimmte Entscheid des Bruders. Seitdem war seinem Geist das Bild der Martyrerpalme eingedrückt, obwohl er eine so große Gnade nicht zu hoffen wagte. Fügte er doch damals bei: „Wer unter uns kann dessen genug würdig sein?“
Der ebenso christliche wie kluge Vater, Graf Heinrich Lubienski, wollte den Beruf seines geliebten Sohnes noch besser prüfen und seine Ausbildung vervollständigen, weshalb er ihn nach Berlin schickte, um einen Kurs Philosophie und Staatsrecht zu hören. Zum ersten Mal ganz auf eigene Füße gestellt, wurde hier der charakterfeste, sittenreine Jüngling gegen die zahlreichen und gefährlichen Versuchungen durch den festen Entschluss gefeit, nicht der Welt, sondern Gott allein zu dienen. Für seine katholische Gesinnung konnten auch die nebelhaften Lehren eines Hegel keine Anziehungskraft ausüben. Aber noch sollte er auf dem Land, in Sachsen, in der Nähe von Köthen, die Landwirtschaft praktisch erlernen. Hier hatte es aber die Vorsehung gefügt, dass er in die Schule eines trefflichen Seelenlehrers kam. Pater Pierre Jean Beckx SJ, der spätere General der Gesellschaft Jesu, 1795-1887), wurde sein väterlicher Freund und Führer in der Zeit der Entscheidung, wie er ihm auch später noch in Rom bei Pius IX. treffliche Dienste leisten konnte. Nun besuchte Lubienski, 23 Jahre alt, unter übergroßem Eifer das Klerikalseminar in Kielce und dann in Warschau, wo er aus den Händen seines Oheims, Bischof Thaddäus, 1849 die Priesterweihe empfing. Sein Vater war damals aus politischen Gründen in Warschau eingekerkert, wurde aber unter militärischer Bedeckung zur Teilnahme an der Feierlichkeit zugelassen. Auch das ist wieder kennzeichnend für Russlands Bedrückungsregiment.
Der hochedle Graf Konstantin Lubienski war von einer hohen Auffassung seines priesterlichen Berufes getragen. Sich durch und in ihm zu heiligen, war ihm erste und vornehmste Herzensangelegenheit. Wie treu behütete er die priesterliche Reinheit der Sitten! Mochten ihn die Feinde des Glaubens noch so sehr verleumden, an seine Reinheit wagte niemand zu tasten. Gebet und Abtötung waren die Schutzwälle, mit denen er diese Engelstugend schirmte und festigte. Bußgürtel und scharfe Geißeln, die sich nach seinem Tod vorfanden, hat der unschuldige Büßer auch wirklich in Anwendung gebracht, besonders in den ersten Priesterjahren, inmitten der vielfachen Gefahren der russischen Hauptstadt, wie er auch als Bischof nicht vergaß, sie selbst in die Verbannung mitzunehmen. Die Liebe zur heiligen Kirche trieb ihn, zur Rettung ihrer Freiheit und Ehre alles daran zu setzen. Dazu war er von einem lebhaften Seeleneifer durchdrungen. Gottes Verherrlichung und das Heil der Seelen zu befördern, in den Salons der Vornehmen wie in den niedrigen Wohnungen der Armen, war ihm Herzensangelegenheit, die ihm die Liebe diktierte. War er doch meist nur als Privatperson tätig, ohne eigentliches Amt. So ging er 1850 freiwillig nach Kursk im mittleren Russland, um seinem dorthin verbannten Vater die Leiden des Exils zu erleichtern. Da er sich die Erlaubnis zur Feier der heiligen Messe und Spendung der Sakramente erwirkte, konnte er in Stadt und Bezirk eine reichgesegnete Tätigkeit entfalten. Welch unaussprechliche Freude konnte der katholische Priester manch armen Verbannten bringen, so einem ruthenischen Geistlichen, der schon fünfzehn Jahre lang die Trostmittel der Religion entbehren musste! Als Konstantin Lubienski in Angelegenheiten seines Vaters nach Warschau zurückkehrte, fand er dort die Cholera. Nun widmete er sich Tag und Nacht den zahlreichen Kranken in den Spitälern, spendete die Sakramente und erwies ihnen die niedrigsten Dienste. Auf die Mahnung, sich zu schonen, erklärte er, auf dem Feld der Nächstenliebe gerne sterben zu wollen; das wäre sein höchstes Glück.
Im Jahr 1854 reiste Lubienski nach Petersburg, um seinem Vater die Freiheit zu erwirken und blieb dann auf Wunsch des Erzbischofs als Seelsorger dort tätig. Von Polen, Franzosen, Deutschen wurde er als Beichtvater häufig begehrt und als Prediger gerne gehört. Am liebsten leistete er den Armen Dienste, gab ihnen reichlich Almosen, gründete Spitäler für sie und rief einen St.-Vinzenz-Verein ins Leben. Mit hochgestellten Persönlichkeiten, denen die russische Unduldsamkeit den Besuch katholischer Kirchen nicht gestattete, ging er in den öffentlichen Gärten auf und ab, und während er sich zu unterhalten schien, hörte er ihre Beichten. Hernach brachte er ihnen heimlich die heilige Kommunion. Viele Schismatiker, Anhänger der griechisch-russischen Kirche, meist aus den höchsten Klassen der Gesellschaft, führte der für die „Bekehrung Russlands“ ganz eingenommene, sich selbst aufopfernde Diener des Herrn in den Schoß der katholischen Kirche zurück. Der päpstliche Gesandte Fürst Chigi nahm den verhältnisse- und sprachkundigen Grafen-Kaplan als Begleiter in Petersburg und Moskau in seinen Dienst und wusste ihn sehr zu schätzen.
Bei dem außerordentlichen Eifer Lubienskis für die katholische Sache konnte es nicht ausbleiben, dass er bald mit den russischen Behörden in Gegensatz geriet. Der Erzbischof Zylinski von Mohilew hatte ihn als Begleiter auf seinen Visitationsreisen eingeladen, welchen Dienst Lubienski ganz auf eigene Kosten übernahm. Neben der eigentlichen Assistenz beschäftigte er sich dabei noch unermüdlich mit Beichthören und Predigen. Nun hatte Kaiser Nikolaus alle ruthenischen Pfarreien von Litauen und Weißrussland einfach der russisch-griechischen Kirche zugesprochen. Was diese Katholiken litten, schreit zum Himmel. Der traurige Sturz des Zarentums ist nur gerecht in Anbetracht der ungerechten und grausamen Behandlung, die es den Katholiken angedeihen ließ. In einem Dorf des Bezirks Witewsk setzten die Bauern der Wegnahme der Kirche und der Einführung des schismatischen Kultes offenen Widerstand entgegen. Heimlich gingen sie immer zu katholischen Priestern. Weder Gütereinziehung und Einkerkerung, noch Verbannung nach Sibirien konnten den Mut der heldenmütigen Glaubensbekenner erschüttern. Als nun Erzbischof Zylinski zu ihnen kam, baten sie fußfällig um Schutz und Hilfe. Während nun dieser, voll tiefsten Mitleids, nur Trost spenden, aber keinen Rat zur Abhilfe geben konnte, riet ihnen der bischöfliche Graf-Kaplan geradewegs zum Kaiser zu gehen und ihm eine Bittschrift zu überreichen. Die ruthenischen Bauern erregten in der russischen Hauptstadt nicht geringes Aufsehen. Aber auch der Urheber dieser kühnen und ungewohnten Bittvorstellung ward den russischen Behörden bekannt. Als dann ein kaiserlicher Ukas von den römisch-katholischen Priestern das schriftliche Versprechen forderte, Leute eines anderen Ritus nicht anzunehmen und ihnen keine Sakramente zu spenden, war es wieder Lubienski, der in einer an den Erzbischof gerichteten Darlegung mit Entschiedenheit einen solchen Eingriff in die Gewissen der Geistlichen zurückwies. Schon drei Tage darauf traf Lubienski der Verbannungsbefehl nach Charkow im südlichen Russland. Für den seeleneifrigen Priester war dies nur die Verlegung des Arbeitsgebietes. Doch dauerte die Ausweisung nicht lange, da ein Verwandter mit Bewilligung des Kaisers ihn an sein Sterbebett rief.
Ein überreiches Feld der Seelsorgetätigkeit eröffnete sich für Lubienski 1860 in der reichen Stadt Reval am Baltischen Meer, wohl auch nur ein versüßtes Exil, aber ein freies, gesegnetes. Noch ein anderes Tor der Freude und des dauernden Trostes tat sich unerwartet für den treuen Sohn der Kirche auf. Eine in Baden zur Kur weilende Verwandte verlangte auf ihrem Krankenlager dringend nach ihm. Einmal im Besitz eines Auslandspasses, den er sich nur mit viel Mühe hatte verschaffen können, nahm er die günstige Gelegenheit zu einem sonst unmöglichen Besuch von Rom wahr. Dreimal war es Graf Lubienski vergönnt, mit Pius IX., der ihm das größte Vertrauen und Wohlwollen entgegenbrachte, die kirchlichen Verhältnisse in Polen und Russland zu besprechen und hierüber die kostbarsten Aufschlüsse zu geben. Die Lage der polnischen Katholiken wurde immer verwirrter und drückender. Die sogenannten Patrioten ließen sich zu nationalen Erhebungen hinreißen und hegten bitterste Feindschaft gegen die eigenen Brüder, die zur Ruhe und Einhaltung des gesetzlichen Weges mahnten. Auch Lubienski gehörte zu diesen. Russland antwortete mit der Verhängung des Kriegszustandes über das ganze Land. So lagerten hoffnungslos trüb die Wolken über dem armen Polen, als Konstantin Lubienski zum Bischof von Sejny ernannt wurde. Schon früher hatte er in Demut den erzbischöflichen Stuhl von Warschau ausgeschlagen. Nun glaubte er dem Ruf auf das kleine, weniger geachtete Bistum Sejny, das schon siebzehn Jahre hirtenlos war, nicht mehr widerstehen zu dürfen. Vor dem Dornenweg eines leidensvollen Bekennertums oder des Martyriums schreckte ein Mann mit der Glaubensbegeisterung eines Lubienski nicht zurück. Hatte er doch schon bei seiner Aufnahme in den Dritten Orden den Wunsch geäußert: „Gib mir als Patron einen Martyrer; ich werde es auch werden!“ Des polnischen Martyrerbischofs Josaphat (gestorben 1622) Name ward ihm damals beigelegt. Nun begann es. Mehr als ein Jahr musste er sich abmühen, um nur regelrecht die bischöfliche Weihe empfangen zu können, am 20. Dezember 1863.
Bischof Konstantin gewann rasch das Vertrauen des Volkes und seiner Geistlichkeit. Seine wissenschaftliche Bildung und Erfahrung, wie nicht minder seine bekannte Frömmigkeit und sein liebenswürdiges, bescheidenes Auftreten erweckten hohe Achtung und Liebe. Allen war er Vater und kluger Beschützer. Es kann nicht hoch genug gewertet werden, dass während der grausamen Verfolgung eines Murawieff nicht ein einziger Geistlicher seiner Diözese, bei aller kirchlichen Treue, in die Verbannung geschickt wurde. Die ganze bischöfliche Amtsführung war eine ununterbrochene Kette von Mühen, Sorgen und Leiden. Nicht weniger als 60.000 Firmungen spendete er in den sechs Jahren seiner Wirksamkeit. Während er in friedlicher Tätigkeit am Aufbau des Reiches Gottes schon seine ganze Kraft zu erschöpfen schien, ward ihm noch ein fortgesetzter Kampf gegen die Feinde des katholischen Glaubens und des polnischen Volkstums aufgezwungen. Als er einmal in Lonza zwei Aufständische im Gefängnis durch Spendung der Sakramente auf den Tod vorbereitete und während der Hinrichtung in der Kirche mit dem Volk die Sterbegebete für sie verrichtete, wurde er deswegen zur Verantwortung gezogen. Zwei Stunden lang standen sich der rücksichtsloseste und verschlagenste Verfolger, der Statthalter Murawieff von Litauen, und der charakterfeste Bekennerbischof Konstantin gegenüber. Beide ermüdeten sich gegenseitig, und Murawieff musste später gestehen, dass er nur drei Männer in der Rede nicht habe fangen und beugen können, und der erste dieser drei sei Bischof Konstantin gewesen. Durch seine hohen Verbindungen gelang es ihm schließlich, den Einfluss Morawieffs beim Kaiser zu brechen.
Doch nur die Männer wechselten; das Unterdrückungssystem der russischen Machthaber blieb ungebrochen. Die Errichtung einer polnischen Nationalkirche, ein vielversuchtes und abgenütztes Mittel, tauchte wieder auf, die Orden wurden unterdrückt, die Einziehung aller beweglichen Güter der Pfarreien und frommen Stiftungen wurde angeordnet. Der bekümmerte Oberhirte von Sejny erschöpfte alle Mittel, die Rechte der Kirche zu schützen und seinen Volksgenossen zu helfen. Sein Gottvertrauen wirkte aufrichtend; man müsse gegen alle Hoffnung hoffen, war sein Trosteswort. Die Bedrängnis stieg. Mit dem Bruch des Konkordates 1867 wurde jeder schriftliche Verkehr mit dem Heiligen Stuhl verboten. Man verlangte von Lubienski, dass er seine ganze Korrespondenz mit Rom ausliefere. Er verweigerte es. Noch nicht genug! In Petersburg wurde ein geistliches Kolleg gebildet, in das die Bischöfe Abgesandte als Beisitzer ernennen sollten. An Lubienski erging strengste Aufforderung hierzu. Dass der Papst diese russische Schöpfung verworfen hatte, kam ihm nicht amtlich zur Kenntnis. Doch erfuhr er auf so eigentümliche Weise davon, dass er nicht Gewissheit hatte und an eine ihm von russischen Spionen gelegte Falle denken konnte. Endlich entschloss er sich, nach Befragung seines Kapitelrates, mit schwerem Herzen und unter gewissen Bedingungen und unter der Voraussetzung der Billigung des Apostolischen Stuhles, einen ganz zuverlässigen Mann, nicht den von der Regierung gewünschten, in das Kolleg nach Petersburg abzuordnen. Hernach eröffnete sich für den bedrängten Bischof die Möglichkeit, durch einen Verwandten, einen Engländer, dem Heiligen Vater Kenntnis von der ihn bedrückenden Ungewissheit, von seinen Sorgen und Gewissensängsten geben zu lassen. Der Vermittler konnte von dem gütigsten Wohlwollen Pius‘ IX., aber auch von seiner ganz bestimmten Weisung berichten: „Es ist notwendig, gutzumachen und zu widerrufen, und für die Zukunft nicht mehr auf menschliche Mittel und Ausflüchte zu zählen, um Schwierigkeiten zu entfernen, sondern einzig auf Gott zu zählen und mit seiner Hilfe sich fest an die Grundsätze zu halten, durch die wir uns leiten lassen müssen.“
Rom hatte gesprochen; der Bischof kannte seine Pflicht. Er wusste aber auch, was ihm bevorstand. Alle Anordnungen für den Fall seiner Einkerkerung oder Verbannung wurden getroffen. In zwei Schreiben an das Volk und den Klerus bat er demütig um Verzeihung für das gegebene Ärgernis. Allen Bischöfen Polens und Russlands übersandte er eine Abschrift seines Widerrufes, ein herrliches Bekenntnis der Glaubenstreue und Anhänglichkeit an den Statthalter Christi. In ergebenen Schreiben an den Papst selbst und den Kardinal-Staatssekretär Antonelli bekannte der edle Bischof demütig seine Schuld und ließ sie durch seinen Bruder Paul Lubienski nach Rom überbringen. Das Breve, mit dem darauf der Heilige Vater antwortete, nahm der treu gehorsame Sohn der Kirche in kniender Stellung entgegen, küsste es ehrerbietig und benetzte es mit reichlichen Tränen. Unter dem Zeichen des heiligen Kreuzes erbrach er das Siegel und las das Schreiben in tiefer Sammlung. Es war kostbar und trostreich für den Schwergeprüften. Wie ergreifend und wahrhaft erbaulich ist diese demutsvolle Ergebenheit gegenüber den Weisungen des Heiligen Vaters! Ob nicht um deswillen der gottselige Bekenner von Gott gewürdigt worden ist, seinen hellleuchtenden Bekennermut noch mit der Palme des Martyriums umkränzen zu können? Heitere Ruhe und tiefen Seelenfrieden spiegelte von jetzt ab sein Antlitz wider. Mit heiliger Freude und täglichen Ansprachen an das Volk zu Ehren der lieben Mutter Gottes beging er den Maimonat 1869. Am letzten Tag, frühmorgens drei Uhr, erschien ein russischer General mit Begleitmannschaft. Unverzügliche Abführung ins Exil nach unbekanntem Ziel! Selbst den letzten Trost der heiligen Messe musste sich der Bischof versagen. Nach den notwendigsten Vorbereitungen betete er in der Hauskapelle mit lauter Stimme das Tedeum, Memorare und Salve Regina, gab seiner Diözese den letzten bischöflichen Segen und verließ das Haus, umgeben von den Gendarmen. Es war fünf Uhr, aber schon war die ganze Stadt in Bewegung. Klagend und weinend umringte das Volk seinen teuren Hirten und küsste ihm Hände und Kleider. Ein erbitterter Kampf entspann sich; die Männer wollten die Pferde ausspannen, die Frauen umklammerten die Räder des Wagens. Der Bischof selbst musste die Menge beruhigen und ließ sich dann von den Gendarmen in den Wagen heben. So wurde er gewaltsam aus dem geliebten Vaterland verbannt; einem besseren, dem ewigen durfte er entgegengehen.
Auf der ganzen Reise über Wilna und Petersburg wurde Bischof Konstantin aufs strengste bewacht und von jeglichem Verkehr abgeschlossen. Am 3. Juni in Orel angekommen, ließ Oberst Kurzelewski seinen Gefangenen nicht in einem Hotel oder auf der Station wie sonst übernachten, sondern führte ihn in ein eigenes Haus. Hier bekam der Bischof nach dem Genuss von Orangenkompott, das ihm der Oberst selber vorsetzte, heftige Schmerzen und Erbrechen. Das war der Anfang seiner tödlichen Erkrankung. In Moskau bat der Kranke um Priester und Arzt. Die hierüber angerufenen Regierungsbehörden drängten aber auf sofortige Fortsetzung der Reise nach dem Bestimmungsort Perm am Ural, wohin man noch nicht den halben Weg gemacht hatte. In Nijny Nowgorod, am 6. Juni, war der Leidende schon so elend, dass man ihn nicht mehr weiter transportieren konnte. Sein Verlangen nach ärztlichem und geistlichem Beistand wurde ihm trotzdem wieder nicht erfüllt. Indessen hatte sich die Nachricht von der Erkrankung des Bischofs auch am Zarenhof verbreitet. Sofort kam der allerhöchste Befehl, das Leben des Kranken zu retten. Nun wurden wohl Ärzte beigezogen. In dem hernach abgegebenen Gutachten gaben sie Typhus an. Merkwürdigerweise musste dies auch der Vikar Orlicki unterzeichnen, der dem Kranken die heilige Ölung spendete. Wie sehr hatte sich dieser nach dem Trostquell der Sakramente gesehnt! Als er den Priester eintreten sah, weinte er vor Freude, zog ihn an sich, umarmte ihn und segnete ihn. Doch konnte er nicht mehr reden, weil die Zunge ganz verbrannt war; auch die heilige Kommunion war ihm deshalb nicht mehr möglich. Der arme Kranke litt unsägliche Schmerzen in den Eingeweiden, bewahrte aber immer das Bewusstsein. Oft küsste er innigst das Kruzifix und schaute sehnsüchtig auf zum Himmel. Endlich nach dreizehn schweren Leidenstagen schlug dem gottseligen Martyrer die Stunde der Erlösung aus einem Leben, das voll der Mühe, Sorgen und Kämpfe war für die Erhaltung des katholischen Glaubens und das Wohl der Gläubigen. Er stand im 44. Lebensjahr.
Bischof Lubienski starb an Gift. Ein russischer Beamter sagte später aus, dass Zar Alexander II., der sich sonst über Lubienskis Treue rühmend ausgesprochen hatte, aufgebracht über seinen Widerruf, über Tisch ausgerufen habe: „Wann wird man mich von diesem Bischof Lubienski befreien?“ Gleich darauf habe ein Beamter den Hof verlassen – zur Ausführung des kaiserlichen Wunsches. Der Oberst Kurzelewski hatte auch den Bischof von Chelm in die Verbannung zu transportieren; auch er kam nicht an seinen Bestimmungsort. Von beiden Bischöfen glaubte das Volk, dass sie eines gewaltsamen Todes gestorben seien. Dafür sprechen im Fall Lubienskis alle Umstände. Sein Diener Leo, den man ihm zwar beließ, aber möglichst abschloss, litt selbst an Erbrechen und erschien beim Tod seines Herrn ganz voll Schrecken. Zu seiner Sicherheit nahm er hernach eine ganz verborgene Stelle in der Provinz an, war dann aber und blieb trotz aller Nachforschungen verschwunden. Leo hatte auch bekannt gemacht, dass der Bischofsstab, den man dem aufgebahrten Toten in die Hand gegeben hatte, an der Stelle, wo die Hand des Bischofs ihn berührte, schwarz geworden sei. Eine spätere chemische Untersuchung dieses Stabstückes ergab als Resultat, dass Bischof Konstantin mit einer großen Menge Arsenik vergiftet worden sein musste, die er nach und nach zu sich genommen habe. Papst Pius IX. sagte in einer Privataudienz zu einer Tante Lubienskis: „Ich beglückwünsche Sie, im Himmel einen so nahen Verwandten zu haben, der Bischof und Martyrer ist. Ich habe nach genauen Erkundigungen durch einen Spezialgesandten darüber gar keinen Zweifel.“
Martyrer werden ist nicht Sache eines gnadenvollen Augenblickes. Die Gnade muss verdient sein. Der Martyrer muss sich durch ein exemplarisches Tugendleben, durch Treue im Glauben, durch heroische Liebe darauf vorbereiten. Schon bevor der Schlag gegen das Haupt des Martyrers geführt wird, muss sich dieses in Demut und Geduld dem täglichen Zeugnis für den Herrn gebeugt haben.