Laurentius, der dem reichen Haus der Justiniani zu Venedig entstammte und im Jahr 1381 geboren wurde, war ein stiller und ernster Junge.
War denn Laurentius krank oder körperbehindert, dass er so still und ernst war? Nein, er war weder krank noch behindert, und ein Duckmäuser war er auch nicht; aber mit fünf Jahren verlor er den Vater durch den Tod, und die Mutter legte vom Sterbetag des Gatten bis an ihr Lebensende die schwarzen Trauerkleider nicht mehr ab. So kam es, dass Laurentius ein stiller und ernster Junge war, anders geartet als es die Jungen sonst sind. Der junge Justiniani war eher in einer Kirche beim Gebet als auf der Straße beim Spiel anzutreffen. Früh lernte er von der gutherzigen Mutter auch die Wege des Wohltuns.
Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass der Neunzehnjährige den Reichtum des elterlichen Hauses verließ, um arm, vergessen und weltverloren im Sankt-Georgs-Kloster auf der Insel Alga bei Venedig Gott zu dienen, und weil Laurentius nie im Leben ein Stümper war und das, was er tat, nicht halb, sondern stets ganz tat, war er unter den Mitbrüdern bald der eifrigste und beste, dem man mit fünfundzwanzig Jahren die Leitung des Klosters und später auch die des gesamten Ordens übertrug.
Höher noch stieg der heiligmäßige Ordensmann, als ihn der Papst zum Bischof und Patriarchen seiner Vaterstadt Venedig ernannte. Auf Seitenwegen hielt der neue Oberhirte ohne Prunk und Pracht seinen Einzug in die bischöfliche Residenz, und als man ihn darauf aufmerksam machte, dass er als Bischof der reichen Handelsstadt ein fürstliches Haus führen müsse, gab er die bezeichnende Antwort, es seien der Armen, für die er als Bischof zu sorgen habe, so viele, dass sich von seinen Einkünften auch nicht ein roter Heller erübrige, um Aufwand zu treiben.
In der Folgezeit war Laurentius Justiniani vor allem und zuerst ein Apostel der christlichen Caritas, der nicht nur persönlich Geld, Nahrungsmittel, Kleider, Wäsche und Möbel reichlich verschenkte, sondern auch, über die Stadt Venedig zerstreut, Caritasstellen einrichtete. Dabei war der Patriarch von Venedig ein prächtiger Mann, der klug und tatkräftig über zwanzig Jahre lang als „der gute und getreue Knecht“, wie es von ihm im Tagesevangelium rühmend heißt, sein Bistum verwaltete, bis er im Alter von vierundsiebzig Jahren am 8. Januar 1455 im Herrn entschlief.
Schön war das Sterben des ausgezeichneten Mannes, denn als man ihn in der letzten Not, da es mit ihm zu Ende ging, von der harten Pritsche nehmen und weicher betten wollte, schüttelte er den Kopf und wehrte sich dagegen, indem er sagte: „Der Heiland ist nicht auf Federn, sondern auf hartem Holz gestorben. Lasst auch mich so sterben!“
Zu teilen war nach des Bischofs Tod nichts, weil er selbst zu Lebzeiten schon alles verteilt hatte, damit auch nicht ein Pfennig den wirklichen Erben, den Armen, vorenthalten blieb. Es war noch immer so, dass, wenn ein Heiliger stirbt, keine Erbschaft vorhanden ist. Der heilige Laurentius Justiniani macht darin ebensowenig eine Ausnahme wie sein späterer Nachfolger auf dem Bischofsstuhl zu Venedig, der heilige Pius X., der, obwohl er Papst war, nicht so viel zurückließ, dass seine hinterbliebenen Schwestern davon leben konnten. Heilige schenken immer alles den Armen.