(Symbolbild Allerheiligen)
Der heilige Klausner Leobard wurde von einer vornehmen Familie in Auvergne geboren. Schon in seiner frühesten Jugend bemerkte man, dass er an nichts anderes als an göttlichen Dingen Geschmack hatte. Als er in die öffentlichen Schulen geschickt wurde, um die weltlichen Wissenschaften zu erlernen, verwandte er die Zeit der Erholung zum Auswendiglernen der Psalmen und zum Lesen frommer Bücher. Kaum hatte er ein mannbares Alter erreicht, als seine Eltern ihn überreden wollten, in den Ehestand zu treten. Schließlich gab er ihren heftigen Wünschen nach und traf seine Wahl nach der Tugend derjenigen, die seine Lebensgefährtin werden sollte. Das Verlöbnis wurde mit der gewöhnlichen Feierlichkeit begangen und er machte seiner Braut die üblichen Hochzeitsgeschenke. Allein Gott, der andere Absichten mit seinem Diener hatte, ließ zu, dass die Hochzeitfeier durch einen schnellen Tod seiner Eltern unterblieb. Einige Zeit später besuchte Leobard einen seiner Brüder, um ihm alle Zeichen der geschehenen Verlobung zu übergeben.
Der Anblick eines Bruders, der im Wein gleichsam begraben lag, durchdrang ihn mit dem lebhaftesten Schmerzgefühl. Er ging bei Seite, um ungestört die Ausschweifungen dieser verdorbenen Welt beweinen zu können. Er schlief schließlich ein und erwachte erst gegen Mitternacht. Sogleich erhob er sich, fing an zu beten und brachte den übrigen Teil der Nacht damit zu, dass er Gott für die erhaltenen Gnaden dankte und ihn um die Erleuchtung bat, deren er bedurfte, um seinen Beruf zu erkennen.
Mit Tagesanbruch bestieg er sein Pferd, um Gott beim Grab des heiligen Martin von Tours, wo viele Wunder geschahen und das das Orakel Frankreichs war, um Rat zu fragen. Nachdem er einige Tage in der Kirche des heiligen Bischofs gebetet hatte, schiffte er über die Loire und schloss sich bei der Abtei Marmoutier in eine kleine, in den Felsen ausgehauene, Zelle ein, die kürzlich von einem Klausner, namens Alarich, verlassen worden war, der sich in tiefere Einsamkeit zurückgezogen hatte. Dies ereignete sich im Jahr 571, im zehnten der Regierung der drei Brüder Guntram, Chilperich und Sigebert. Durch das Lesen und die Betrachtung der Heiligen Schrift fühlte er jetzt noch lebendiger die Wahrheiten, deren Samen Gott schon früh in sein Herz gelegt hatte. Mit Fasten, Wachen, Beten, Psalmsingen und Lesen verband er noch die Handarbeit, die darin bestand, dass er die heiligen Bücher abschrieb und mit einer Spitzhacke den Felsen aushöhlte. Er hatte eine so geringe Meinung von sich selbst, dass seine Demut mehr in Erstaunen setzte, als selbst die Wunder, die Gott durch ihn wirkte. Einige Jahre später sah der Heilige sich genötigt, Schüler aufzunehmen. Sie lebten in Zellen, die rings um seine herum errichtet waren. Ein kleiner Zwist, der unter zwei seiner Brüder ausgebrochen war, betrübte ihn aber so sehr, dass er sich entschloss, seine Zelle zu verlassen, um sich fern von einem Ort, wo der Friede nicht herrschte, eine Wohnung zu suchen. Allein der heilige Gregor, der Bischof von Tours, sein Hauptratgeber, brachte ihn von diesem Vorhaben ab, indem er ihm sagte, es kann nur vom Versucher herkommen. Als unser Heiliger so zweiundzwanzig Jahre in seiner Zelle zugebracht hatte und fühlte, dass sein Ende herannaht, begehrte er die heilige Wegzehr, die ihm auch gegen Ende Dezember vom heiligen Gregor gereicht wurde. Er sagte es voraus, dass ihn der Herr noch vor Ostern aus dieser Welt nehmen wird, was auch wirklich geschah, denn er starb an einem Sonntag, am 18. Januar 593 (Aus anderen Quellen: am 15. oder 22. Februar.) Der heilige Gregor von Tours erzählt mehrere Wunder, die Gott durch seinen Diener gewirkt hatte. Den Berichten dieses Schriftstellers kann man um so mehr trauen, weil er von den meisten Tatsachen, die er erzählt, Augenzeuge war.
Abtei Marmoutier