Die apostolische Missionstätigkeit des heiligen Bonifatius brachte so segensreiche Früchte hervor, dass er allein die Arbeit nicht mehr bewältigen konnte. Deshalb berief er aus seiner Heimat England seeleneifrige Mitarbeiter, die ihn in seinen Bemühungen unterstützen sollten. Mit freudigem Eifer kamen fromme und wissenschaftlich gebildete Männer, unter denen besonders Burchard, Lullus, die Brüder Willibald und Wunibald, Witta und Gregor hervorleuchten und wirkten unermüdlich für die Ausbreitung des Christentums. Nachdem der heilige Bonifatius für die männliche Jugend Klosterschulen gegründet hatte, lag ihm daran, auch die weibliche Jugend sorgfältig erziehen zu lassen, denn sein praktischer Blick erkannte die hohe Bedeutung solcher Mädchenschulen für die dauernde Begründung christlicher Lehre und Zucht. Deshalb erbat er sich aus den berühmten englischen Klosterschulen erprobte Lehrerinnen und erhielt Chunihilt, Berathgit, Chunidrut, Tekla, Waltburgis und Leobgytha oder Lioba. Chunihilt und Berathgit wirkten als Lehrerinnen in Thüringen, Tekla als Äbtissin der Klöster Kitzingen und Ochsenfurt, Leobgytha im Kloster Bischofsheim. Das Leben der letzteren hat der berühmte fuldasche Mönch Rudolf im 9. Jahrhundert auf Geheiß seines Lehrers Rhabanus Maurus geschrieben.
Der Name der Heiligen ist eigentlich Truthgeba, den Beinamen Leobgytha oder Lioba – die Liebe, Gütige – erhielt sie erst später, „weil sie so lieb war“. Sie war die einzige Tochter ihres Vaters Dimo oder Tinne und ihrer Mutter Ebba im angelsächsischen Königreich Wesser. Die ebenso frommen als vornehmen Eltern übergaben ihre heranwachsende Tochter, die sie erst im hohen Alter empfangen hatten, ihrem Gelübde getreu, der Äbtissin Totta im Kloster Winburn zur Erziehung. Die junge und talentvolle Lioba beschäftigte sich in der Klosterschule mit Gebet und frommen Übungen, mit weiblicher Handarbeit und der Erlernung heilsamer Kenntnisse. Von der gelehrten Klosterfrau Eadburga lernte sie auch die lateinische Sprache und die Dichtkunst, und zeichnete sich von Tag zu Tag mehr aus durch Fortschritte in den Wissenschaften und durch Heiligkeit des Lebens.
Einst sah Lioba im Traum einen Faden von glänzender Purpurfarbe aus ihrem Mund hervorgehen. Als sie versuchte, ihn herauszuziehen, wurde er immer länger und schien kein Ende nehmen zu wollen, so dass sie anfing, ihn zu einem Knäuel aufzuwickeln. Als sie erwachte, schien ihr dieser Traum nicht ohne Bedeutung. Damals lebte im Kloster eine alte Nonne, die im Ruf einer besonderen göttlichen Erleuchtung stand. Lioba hätte sich gerne an sie gewendet und ihren Traum offenbart, aber ihre Bescheidenheit hielt sie zurück. Nun erzählte sie ihren Traum einer vertrauten Mitschwester. Diese trug der alten Nonne den Traum vor und zwar so, als hätte sie ihn selbst gehabt. Die erleuchtete Nonne sprach: „Die Erscheinung ist wahr und hat eine gute Bedeutung, aber was lügst du, als wäre es dir vorgekommen? Es gilt der Auserwählten Gottes, Lioba. Der Purpurfaden, der aus ihrem Mund hervorging, bedeutet die Lehre der Weisheit, die aus Liobas Mund hervorströmen wird. Dass sie ihn zu einem Knäuel wand und in der Hand hielt, bedeutet, dass sie das, was sie lehrt, auch selbst ausüben und durch ihre eigenen Handlungen bestätigen wird. Der runde und leicht bewegliche Knäuel ist ein Bild des göttlichen Wortes, das seine Kraft äußert teils nach unten im irdischen Wirken, teils nach oben im beschaulichen Leben. Durch dieses Zeichen hat Gott zu erkennen gegeben, dass Lioba einst durch ihre Lehre und ihr Beispiel Großes leisten wird.“
Nach erlangter Bildung und sorgfältiger Vorbereitung legte Lioba das feierliche Ordensgelübde ab und empfing aus der Hand des Bischofs den Schleier.
Um diese Zeit hat der heilige Bonifatius in einem dringenden Schreiben die Äbtissin Tetta im Kloster Winburn, ihm seine Verwandte Lioba und andere tüchtige und fromme Klosterfrauen für seine Mission in Deutschland zu schicken. Nach einer weiten und beschwerlichen Reise kam Lioba im Jahr 725 nach Thüringen und Bonifatius wies ihr als Wirkungskreis das Kloster Bischofsheim an der Tauber an. Die neue Äbtissin gewann durch ihre Liebenswürdigkeit, Sanftmut, Frömmigkeit und Gelehrsamkeit gar bald eine große Anzahl Jungfrauen, die der Welt entsagten, um sich dem vollkommenen Leben zu weihen und alle Kraft auf die Heranbildung der Jugend zu verwenden. Auch die benachbarten Frauenklöster erbaten sich Äbtissinnen und Lehrerinnen von Bischofsheim. Liobas segensreicher Einfluss erstreckte sich über alle von Bonifatius gestifteten Frauenklöster. Mit allem Eifer erfüllte sie die Aufgaben ihres Berufes. Gegenüber allen war sie freundlich und zuvorkommend. Niemals hat man sie zornig gesehen, oder einen Fluch oder ein Schmähwort von ihr gehört. Täglich las sie in der Heiligen Schrift, studierte die Werke der Kirchenväter und das Kirchenrecht. In ihrer Demut hielt sie sich für die geringste unter ihren Klosterschwestern. Fremden gewährte sie Obdach und Nahrung, den Armen wusch sie die Füße. Ihr Geschichtsschreiber sagt von ihr: „Sie war von engelgleichem Angesicht, sanft in ihrer Rede, von klarem Verstand und großer Umsicht, katholisch in ihrem Glauben, unerschütterlich in ihrer Hoffnung, unbegrenzt in ihrer Liebe. Sie war immer heiteren und fröhlichen Sinnes, jedoch ohne die Grenze der einer Jungfrau und Ordensvorsteherin geziemenden Wohlanständigkeit im geringsten zu überschreiten.“
Schon zu ihren Lebzeiten ehrte Gott seine geliebte Tochter Lioba durch Wunder, die er auf ihre Fürbitte wirkte. Bei einem furchtbaren Gewitter nahm das geängstigte Volk seine Zuflucht zu ihr. Sie stellte sich auf die Schwelle der Kirchentür, machte gegen das schreckliche Gewitter das heilige Kreuzzeichen, rief den Namen des dreieinigen Gottes und die Fürbitte der Jungfrau Maria an, und sogleich zerrissen die schwarzen Wolken, Sturm und Donner hörten auf und die Sonne schaute wieder freundlich herab. Bei einer furchtbaren Feuersbrunst, die ganz Bischofsheim einzuäschern drohte, nahmen die Einwohner ihre Fürbitte in Anspruch, und sogleich erlosch das Feuer. Als man einst ein neugeborenes Kind in der Tauber ertränkt fand und verleumderisch das Kloster der bösen Tat beschuldigte, ließ die Äbtissin drei Tage lang den Psalter von allen Nonnen mit ausgespannten Händen beten und Prozessionen um das Kloster halten. Am dritten Tag hob Lioba vor dem Altar ihre Hände gen Himmel und betete laut unter Seufzen und Weinen: „Herr Jesus Christus, König der Jungfrauen, Liebhaber der Unschuld, unüberwindlicher Gott. Zeige deine Macht und errette uns von dieser Schmach, denn die Beschimpfungen deiner Feinde sind auf uns gefallen.“ Da wurde auf einmal eine verkrüppelte Bettlerin innerlich vom Feuer ergriffen, fing an zu schreien und legte öffentlich vor allem Volk das Geständnis ab, dass sie, und nicht eine Nonne, das Verbrechen begangen habe. Alles Volk pries die Macht Gottes und die Heiligkeit der hocherfreuten Äbtissin.
Bevor Bonifatius seine letzte Missionsreise nach Friesland antrat, ließ er Lioba zu sich kommen und ermahnte sie zur Ausdauer in ihrem schweren Beruf. Da empfahl er sie seinem Nachfolger und Freund Lullus und traf die Anordnung, dass einst ihr Leichnam neben seinem in Fulda begraben werden sollte, auf dass die, die in gleichem Streben und mit dem gleichen Wunsch in ihrem Leben Christus gedient hätten, beide zusammen die Auferstehung der ewigen Vergeltung erwarten. Hierauf übergab er an Lioba seine Kapuze und ermahnte sie wiederholt, doch ja nicht das Land, in das sie ausgewandert sei, zu verlassen.
Nach dieser letzten Zusammenkunft (754) mit Bonifatius lebte Lioba noch ungefähr 25 Jahre. Die Ermahnungen ihres geistlichen Oberhirten und Freundes blieben fortan die Richtschnur ihres Lebens und Wirkens. Sie fuhr fort, dass Kloster Bischofsheim zu leiten mit Frömmigkeit, Kraft und Weisheit und segensreich auch auf andere Klöster einzuwirken. Die Sorge für den Lebensunterhalt ihrer Schwestern drückte sie oft schwer, indes ließ sie ihr Gottvertrauen nie sinken. Wegen ihrer Weisheit und Heiligkeit erwarb sich Lioba das Vertrauen und die Liebe bei hoch und niedrig. König Pipin und sein Sohn Karl der Große, besonders des letzteren Gemahlin Hildegardis hielten sie hoch in Ehren. Die Königin ließ sie bitten, nach Aachen zu kommen. Lioba kam dem Wunsch ihrer hohen Freundin nach und begab sich in das königliche Hoflager. Nach kurzem Aufenthalt nahm sie für immer Abschied von Hildegardis mit den bewegenden Worten: „Lebe wohl auf ewig, geliebte Frau und Schwester. Christus, unser Schöpfer und Erlöser möge uns gewähren, dass wir am Tag des Gerichtes uns ohne Beängstigung wiedersehen. In diesem Leben werden wir uns nicht wiedersehen.“
Liobas Weissagung erfüllte sich bald. Nach Schonersheim, vier Meilen von Mainz, zurückgekehrt, wo sie sich mit Genehmigung des Erzbischofs Lullus unter Fasten und Beten auf den Tod vorbereiten wollte, fiel sie in eine schwere Krankheit. Aus der Hand des ehrwürdigen Priesters Torabert empfing sie die letzte Wegzehrung und ihre reine, unbefleckte Seele ging mit seliger Freude zu ihrem himmlischen Bräutigam am 28. September 772. Ihre Leiche wurde neben dem heiligen Märtyrerbischof Bonifatius im Dom zu Fulda beigesetzt.
In frommen Gebeten und heiligen Liedern ruft das dankbare Volk die Heilige um ihre Fürbitte in allen Nöten und Bedrängnissen an, besonders zur Heilung kranker Kinder und in Gewitterstürmen.