Heiliger Lullus, Erzbischof und Bekenner von Mainz, + 16.10.786 – Fest: 16. Oktober

       

Einer der treuesten Schüler des heiligen Bonifatius und dessen nächster Nachfolger auf dem erzbischöflichen Stuhl zu Mainz war der heilige Lullus. Er stammte aus einem angelsächsischen, vornehmen Geschlecht in England. Schon als Junge von sieben Jahren wurde er einem Mönchskloster zur Erziehung anvertraut und gab sich mit allem Eifer dem Studium der Wissenschaften und religiösen Übungen hin, wie sie in den Klöstern von Lehrern und Schülern wetteifernd gepflegt wurden. Mit den zunehmenden Jahren übte er strenge Enthaltsamkeit, um das Fleisch dem Geist zu unterwerfen, und vertiefte sich so sehr in die heiligen Schriften, dass er die Bewunderung seiner Vorgesetzten und Mitschüler erregte.

 

Um diese Zeit verbreitete sich in England der Ruf von den außerordentlichen Erfolgen des heiligen Bonifatius, des Apostels der Deutschen, und sein dringendes Verlangen nach tüchtigen Mitarbeitern, um die reiche Ernte in die Scheune Christi einzubringen. Denn wenn auch dem heiligen Bonifatius einige Gehilfen zur Seite standen, so bedurfte er jetzt Männer, die durch Wissenschaft und Tugend ausgezeichnet, als Äbte und Bischöfe für die neugegründeten Klöster und Bistümer angestellt werden konnten. Mit freudigem Opfermut folgten viele gottbegeisterte Männer und Frauen der Aufforderung des heiligen Bonifatius und verließen ihre teure Heimat, um sich den Gefahren, Entbehrungen und Beschwerden einer apostolischen Wirksamkeit preiszugeben. Unter diesen Helden des Glaubens und der Liebe befand sich auch Lullus, ein Verwandter des heiligen Bonifatius, nebst seiner Mutter Schwester Chunihilt und deren Tochter Berathgit, die in den Wissenschaften sehr gut unterrichtet waren und als Lehrerinnen im Thüringer Land angestellt wurden. Lullus entschloss sich sogleich voll Begeisterung für den hohen Beruf eines Mitgehilfen im apostolischen Amt, empfing die Diakonatsweihe und unternahm mit Erlaubnis seiner Ordensoberen die Reise nach Deutschland.

 

Glücklich fuhr Lullus über das Meer und den Rhein aufwärts. Bonifatius freute sich ungemein über die Ankunft seines Verwandten, erkannte im Umgang mit ihm seine Frömmigkeit, seine gründliche Gelehrsamkeit, seinen glühenden Seeleneifer und seine innige Liebe zu Gott. Deshalb erteilte er ihm die heilige Priesterweihe und behielt ihn fortan immer bei sich. Lullus predigte eifrig das göttliche Wort und erprobte bei wichtigen Aufträgen seine Zuverlässigkeit, Geschäftsgewandtheit und rastlosen Eifer.

 

Als der heilige Bonifatius sich zur letzten Reise in das Land der Friesen entschloss, ernannte er mit Genehmigung des Papstes Zacharias seinen treuen Freund und erprobten Genossen Lullus zum Koadjutor seines Erzbistums. Den versammelten Vätern des Konzils zu Mainz stellte er den erwählten Oberhirten vor, und zu Lullus gewendet, sprach er: „Ich denke jetzt daran, wie ich meine Pilgerschaft vollenden will, und kann von dem Vorhaben meiner Reise nicht ablassen. Denn schon steht der Tag meines Sterbens bevor und die Zeit meines Todes naht. Ich werde die körperliche Hülle ablegen und in Empfang nehmen den Kampfpreis ewiger Belohnung. Du aber, innigst geliebter Sohn, führe zu Ende den Bau der von mir in Thüringen begonnenen Kirchen, rufe unablässig das Volk von Irrwegen zurück, vollende den Bau der zu Fulda begonnenen Kirche und bringe dorthin meinen unter der Last der Jahre erlegenen Leib.“ Nachdem er ihm noch andere heilsame Ermahnungen gegeben hatte, empfahl er ihm besonders die väterliche Fürsorge für seine Schüler und Freunde, und mahnte ihn schließlich: „Sorge nun auch, mein Sohn, mit deiner weisen Umsicht für alles, was auf der Reise dienlich ist und lege in meine Bücherkisten auch das Linnentuch, in das einst mein Leichnam gehüllt werden möge.“ Diese Worte gingen Lullus tief zu Herzen und er vergoss im Übermaß des Schmerzes einen Strom von Tränen. Mit ihm weinten alle Anwesenden. Zu gleicher Zeit ließ Bonifatius die Wahl des Lullus vom König Pipin bestätigen und empfahl ihn und seine Geistlichkeit dem väterlichen Schutz des edlen Herrschers.

 

Lullus verwaltete sein hohes Amt mit Weisheit und Eifer, lehrte, ermahnte, wies zurecht und leuchtete mit dem besten Beispiel vor, so dass er seinem geistlichen Vater alle Ehre machte. Nach dem Martertod des heiligen Bonifatius ließ er dessen Leiche durch eine Gesandtschaft nach Mainz führen und empfing mit unsäglicher Trauer und dennoch mit Freude und Jubel die heilige Leiche seines geliebten Lehrers. So gern Lullus und die Bewohner von Mainz den heiligen Leib in ihrer Mitte behalten hätten, so durften sie doch dem ausdrücklichen Verlangen des Heiligen nicht widerstreben. Lullus begleitete die heilige Leiche bis Fulda und setzte sie unter außerordentlichen Feierlichkeiten in einem steinernen Sarkophag des Domes bei. Dann brachte er die Leiche Adelars, des ersten Bischofs von Erfurt und Genossen des Martertodes des heiligen Bonifatius, zugleich mit dem Leichnam des heiligen Eoban, nach Erfurt.

 

Nachdem Lullus das weitausgedehnte, vierzehn Bistümer umfassende Erzbistum Mainz zweiunddreißig Jahre ehrenvoll verwaltet hatte, wurde ihm im Geist offenbart, dass der Tag seiner Heimkehr zu Gott bevorstehe. Deshalb trug er dem frommen Bischof Alboin auf, dass er das heilige Messopfer verrichte und ihm dann nach dem von ihm gestifteten Kloster Hersfeld vorausgehe. Alboin, völlig gesund und kräftig, feierte ohne Verzug das heilige Opfer, fiel aber nach der Heiligen Messe tot hin. Lullus nahm die Leiche auf sein Schiff, mit dem er den Main hinauffuhr, und begrub sie ehrenvoll im Kloster Hersfeld. Bald überfiel auch ihn ein heftiges Fieber und nach würdiger Vorbereitung entschlief er im Herrn am 16. Oktober 786. Als 60 Jahre später sein Leichnam aus der Erde erhoben wurde, fand man ihn völlig unversehrt im Glanz seiner Gewande, so dass man eher einen Schlafenden, als einen Toten zu sehen glaubte.