Alljährlich pilgern viele andächtige Christen zum Grab der heiligen Lüfthildis, das sich inmitten der Pfarrkirche zu Lüftelberg in der Erzdiözese Köln erhebt. Besonders an ihrem Sterbetag, den 23. Januar, sowie am Tag ihrer feierlichen Erhebung, den 1. Juni, rufen die Gläubigen in andächtigen Gebeten und frommen Liedern den Schutz der mildreichen und mächtigen Jungfrau an.
Wie von dem Jugendleben Jesu, seiner Apostel und vieler Heiligen der früheren Jahrhunderte wenig bekannt geworden ist, so wird uns auch von der Abstammung und der Zeit der Geburt der heiligen Lüfthildis, auch Leuchteldis genannt, nichts Zuverlässiges berichtet. Was wir aber sicher von ihr wissen, muss uns mit Ehrfurcht und Bewunderung erfüllen.
An der heiligen Lüfthildis wird besonders ihre barmherzige Fürsorge für die Armen gepriesen. Um den Hilfsbedürftigen Almosen geben zu können, vermied sie alle Kleiderpracht und Üppigkeit, sparte sich selbst am Munde vieles ab und fastete streng. Ihre boshafte Stiefmutter verdächtigte ihre Mildherzigkeit als Verschwendung und Geltungssucht, wusste ihr die Liebe ihres Vaters zu entziehen und beschäftigte sie gewöhnlich draußen, um sie von christlichen Liebeswerken und Andachtsübungen abzuhalten. Aber dem edlen Mädchen erschien die ganze Natur als ein großer Gottestempel und sie verherrlichte den allgegenwärtigen Schöpfer mit Gebet, Betrachtung und lautem Jubelgesang. Der gute Gott belohnte seine treue Magd mit einem süßen Vorgeschmack des Himmels. Einst sollte sie die zahlreichen Kraniche vom Acker ihrer Eltern jagen. In Andacht versunken, merkte sie weder die Vögel im Feld, noch das Kommen ihrer schlimmen Stiefmutter, die das unschuldige Kind nicht nur zornig beschimpfte, sondern auch mit Schlägen misshandelte. Auf ihr kindliches Gebet verbannte Gott die schädlichen Vögel aus jener Gegend.
Die gottlose Stiefmutter fuhr fort, Lüfthildis des Ungehorsams, der Nachlässigkeit und der Lügenhaftigkeit zu beschuldigen und sie bei ihrem Vater des Diebstahls zu bezichtigen, weil sie alles den Armen zuwende. Deshalb schnitt man ihr jede Gelegenheit ab, ihre Liebe zu den Armen durch die Tat zu beweisen. Indes die Liebe ist erfinderisch. Als sie einst in ihrer Schürze Brot zu den Armen trug, begegnete sie unvermutet ihrem Vater, der sie mit strengen Worten aufforderte, zu zeigen, was sie in ihrer Schürze verborgen habe. Sie wandte ihren Blick flehend zu Gott, öffnete ihre Schürze und siehe da, alles Brot hatte sich augenblicklich in Kohlen verwandelt. So segnete Gott ihr Wohltun, und so entging sie dem Zorn ihres Vaters.
Weil Gott die barmherzige Liebe der gütigen Lüfthildis so wunderbar belohnt hatte, wagte sie, an ihre Stiefmutter die demütige Bitte zu stellen, ihr ein frisch gebackenes Brot für die Armen zu schenken. Die arglistige Stiefmutter gab sich den Anschein, als wolle sie die Bitte gewähren, erteilte aber ihren Knechten den Befehl, statt eines Brotes glühende Kohlen in ihre Schürze zu werfen. Jene taten, wie ihnen befohlen war, aber siehe da, sofort verwandelten sich die glühenden Kohlen in ihrem Schoß in duftende Rosen.
Frühzeitig hatte Lüfthildis schon dem Herrn, ihrem himmlischen Bräutigam, die Jungfräulichkeit und Treue versprochen und die Lockungen der Welt vermochten ihre Liebe zu Gott nicht zu erschüttern. Damit auch ihr Leib eine würdige Wohnung des Heiligen Geistes würde, bereitete sie sich durch strenge Bußübungen und Fasten auf die ewige Hochzeit sorgfältig vor. Weil „der Müßiggang aller Laster Anfang“ zu sein pflegt, so beschäftigte sie sich fleißig mit Handarbeiten, um der Mutter Gottes, dem heiligen Paulus und den Eremiten in der Wüste auch in dieser Tugend nachzufolgen.
Einst geriet ihr Vater mit einem anderen Gutsbesitzer in Zwist über die Grenze eines Waldes und verwarf erbittert jeden gütlichen Ausgleich. Lüfthildis flehte zu dem Gott des Friedens und erbot sich zu einem für beide streitenden Parteien annehmbaren Vermittlungsvorschlag. Sie begab sich mit ihrem Vater in den Wald und zog mit ihrer Spindel auf Anordnung Gottes die Grenzlinie, und eine unsichtbare Kraft warf nach ihrer Richtschnur einen Graben auf, den man noch heute den Lüfthildis-Graben nennt. Beide Grundbesitzer waren durch diese Scheidung vollkommen befriedigt. Noch öfters entschied die Spindel der heiligen Lüfthildis die Streitigkeiten um die Grenzen der Äcker.
Um den Ehrenbezeugungen der Welt zu entgehen und ganz für Gott leben zu können, entschloss sich die gottbegnadigte Jungfrau, sich in eine enge Klause einzuschließen, die an die Kirche stieß. In dieser freiwilligen Gefangenschaft sammelte sie in fortwährenden Andachtsübungen und Abtötungen das Öl der Verdienste, um gleich den fünf weisen Jungfrauen mit dem himmlischen Bräutigam zum Hochzeitssaal eingehen zu können. Immer mehr starb sie der Welt ab und sehnte sich nach der glücklichen Stunde, wo ihr geliebter Heiland ihre reine Seele von den Banden des Fleisches erlösen sollte. Aber erst im hohen Alter und nach der sorgfältigsten Vorbereitung flog ihre geheiligte Seele dem himmlischen Bräutigam entgegen am 23. Januar.
Auf die Nachricht vom Tod der heiligen Lüfthildis strömte eine große Menge Volkes herbei, um sie als Heilige zu verehren. Gott selbst lieferte den Beweis ihrer Heiligkeit, denn schon vor ihrem Begräbnis wurde ein Besessener zu ihrer Leiche geführt und sogleich fuhr der böse Geist aus, Kranke wurden plötzlich hergestellt, Lahme und Blinde gingen geheilt von ihr nach Hause, von tollen Hunden Gebissene wurden durch sie vor einem schrecklichen Ende bewahrt.
Auch in der Folgezeit bewies die heilige Lüfthildis ihre besondere Begnadigung bei Gott. Der gelehrte Cäsarius von Heisterbach erzählt, die Äbtissin Gertrud des Zisterzienserklosters zu Hoven habe ein halbes Jahr lang die heftigsten Augenschmerzen gelitten und sei fast erblindet. Da rief sie inbrünstig die heilige Lüfthildis an. Diese erschien ihr im weißen Gewand, berührte ihre Augen, und in demselben Augenblick, wo die Erscheinung verschwand, waren die Schmerzen verschwunden und die Augen völlig geheilt. – Ein neunzehnjähriges Mädchen aus Mainz hatte ihr Gehör gänzlich und ihr Augenlicht größtenteils verloren. Nachdem sie vergeblich alle ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hatte, wallfahrtete sie zum Grab der heiligen Lüfthildis, flehte dort voll Glauben und Vertrauen und erhielt ihr vollkommenes Gehör und Gesundheit ihrer Augen. Es könnte noch eine Reihe von Wundern hier aufgeführt werden, die auf die Fürbitte der heiligen Lüfthildis geschahen. Besonders wird sie von Gehörleidenden gern und mit häufigem Erfolg angerufen.
Am 1. Juni 1623 wurden die Gebeine der heiligen Lüfthildis vom Erzbischof Ferdinand von Köln in Gegenwart des Bischofs Johann Wilhelm von Osnabrück und einer großen Anzahl von Geistlichen und Laien feierlich erhoben. Ein höchst angenehmer Wohlgeruch verbreitete sich bei der Eröffnung des Schreines durch die ganze Kirche und erfüllte die Anwesenden mit Freude und Dank gegenüber Gott, der wunderbar ist in seinen Heiligen. Auch die Spindel der heiligen Lüfthildis fand sich in ihrem Grab, das Zeichen ihres Fleißes und ihrer Friedensliebe. Der Tag ihres Todes, wie ihrer feierlichen Erhebung wird zu Lüftelberg alljährlich vom Volk festlich begangen.