„Wer den Geist der heiligen Theresia im neunzehnten Jahrhundert tätig sehen will, der lese und studiere das wunderbare Leben der heiligen Magdalena Sophie Barat (sprich: Barah). Es ist darin sozusagen mit Händen zu greifen, dass jene hochragenden Größen von Heiligkeit auch heute noch in der Kirche erstehen, gerade so gut wie in der Vorzeit.“ So beginnt Pater Kempf den kurzen Lebensabriss der Heiligen. Theresiengeist, tätig für die Zeitbedürfnisse, erfüllte Mutter Barat.
Als Tochter eines Böttchers und Weinbauers am 12. Dezember 1788 in Joigny, der französischen Provinz Burgund, geboren, war Magdalena Sophie ein überaus schwächliches aber feuriges Kind. Ein unwiderstehlicher Hass gegen jede Lüge und ein zartfühlendes, für äußere Eindrücke empfängliches Herz zeichnete sie aus. Als einst der Pfarrer den Kindern im Beichtunterricht erklärte, dass sie nur immer einen wahren Reueschmerz über ihre Sünden haben sollten, dann würde der liebe Gott gewiss ihre Sünden verzeihen, da erhob sich die kleine Sophie, um laut vor der ganzen Kinderschar ihr Sündenbekenntnis abzulegen. Der Priester hieß sie natürlich innehalten, die demütige Selbstanklage hatte ihm aber eine gottbegnadete Seele geoffenbart. Die schwere Zeit der französischen Revolution, die so Schreckliches für die Kirche im Gefolge hatte, war für das heranwachsende Mädchen eine tiefeinwirkende Erziehungsschule. Der elf Jahre ältere Bruder Sophiens hatte sich für den geistlichen Stand entschieden und bereits die Subdiakonatsweihe empfangen, musste nun aber eine Stelle als Privatlehrer annehmen. Das gab ihm Gelegenheit, auch seiner Schwester gediegenen Unterricht zu erteilen. Mit jugendlichem Eifer ging dabei der brüderliche Lehrer zu Werke und unterzog auch ihre Charakter- und Herzensbildung einer Schulung. Doch Ludwig Barat wurde als Kleriker verraten und in das Gefängnis in Paris geworfen, 1793, von dem damals der gerade Weg aufs Schafott führte. Doch wie durch ein Wunder erhielt er anfangs 1795 die Freiheit wieder, wohl als Frucht des flehenden Gebetes der Seinen zum heiligsten Herzen Jesu. Sofort ließ er sich heimlich zum Priester weihen. Er zog nach Paris und nahm wiederum seine Schwester Sophie zu sich, um ihre unterbrochene Ausbildung zu vollenden. Es leitete ihn der Gedanke, sie zu befähigen, an der Erziehung der weiblichen Jugend mitzuarbeiten, um wieder christliches Leben in den Familien zu pflegen. Dabei übte er sie mit allzu entschiedener Strenge, der noch die Erfahrung und Klugheit fehlten, in den harten Weisen und Wegen eines frommen Lebens. Das gewissenszarte Mädchen ertrug mit nicht zu erschütterndem Vertrauen und hingebender Liebe die strenge Härte ihres Leiters, der unerbittlich jede Regung des Eigenwillens an ihr rügte. So sehr überließ sie sich allen Arten körperlicher Buße, dass selbst ihre Gesundheit darunter zu leiden begann. Ehe der Ruf Gottes an sie erging, andere Seelen auf dem Weg der Vollkommenheit zu leiten, musste sie selbst die rauen Pfade des Kreuzes kennenlernen und die Klippen, die hier auf den Unerfahrenen lauern. Und Gott rief.
Es kam von Wien der heiligmäßige Pater Varin, der Obere einer Priestergemeinde, der „Gesellschaft des heiligsten Herzens“, der Nachfolger des gottseligen Leonor Tournely. Nach der Regel des heiligen Ignatius lebend, arbeiteten sie der Wiedererstehung seines Ordens vor. Ludwig Barat wurde ein eifriger Mitarbeiter. Als Varin von Ludwigs Schwester hörte, dass sie gut unterrichtet sei, auch die Kirchenväter im Lateinischen lese und sich bereit halte, in ein Kloster, wahrscheinlich zu den Karmeliterinnen, zu gehen, da schien es ihm, als ob der Herr ihm diese bescheidene Jungfrau zuführe, um durch sie ein Werk auszuführen, dessen Begründung er und Pater Tournely bisher vergeblich versucht hatten, nämlich die Gründung eines Frauenordens, der sich besonders um die Erziehung der Kinder der höheren Stände annehmen sollte, um durch sie neue Glaubenswärme in die erkalteten Familien zu bringen. Sophie Barats Sinn ging wohl auf Sühne und Buße im Karmel, nicht aber darauf, selbst Ordensstifterin zu werden. Aber dem von heiligem Seeleneifer erfüllten Priester gelang es die nicht weniger von Glaubensgeist durchdrungene Jungfrau zu überzeugen, dass zu den stillen und immer wirksamen Mitteln der Abtötung und des Gebetes nun noch neue der öffentlichen Tätigkeit hinzukommen müssten, um dem lieben Erlöser wieder die Herrschaft über die Herzen zu sichern. Am 21. November 1800 weihte sie sich mit noch drei Genossinnen dem heiligsten Herzen. Bald konnten die Schwestern in Amiens ihr erstes Klösterchen mit einer Schule eröffnen. Äußerst klein und bedürftig waren die Anfänge. Aber Pater Varin ließ sich die Heranbildung der Schwestern sehr angelegen sein. Als er der Schwester Magdalena Sophie Barat 1802 die Gelübde ablegen ließ und ihr das Amt einer Oberin auflegte, das sie 62 Jahre lang rühmlichst führen sollte, da lud er ihr ein schweres Kreuz auf mit gar scharfen Kanten. Gott ließ es zu, dass die weibliche Gesellschaft vom heiligsten Herzen in ihren Anfängen arg geprüft wurde, und das empfand am schmerzlichsten die Stifterin und Generaloberin. Aber gerade da bewährte sich aufs trefflichste die sittliche Stärke und Tugendkraft ihrer Seele, die auf einem unerschütterlichen Gottvertrauen gründete. Die Gesellschaft wuchs. Im Jahr 1815 wurden die endgültigen Satzungen, die auf den Regeln des Jesuitenordens beruhen, festgelegt und 1826 vom Papst Leo XII. feierlich bestätigt. Hauptzweck der Gesellschaft der „Frauen des heiligen Herzens“ (Dames du Sacré Coeur) ist die Verherrlichung des Herzens Jesu durch Selbstheiligung nach dem Vorbild des demütigen und sanftmütigen Herzens und die Heiligung des Nächsten durch Erziehung der weiblichen Jugend.
Der lebendige, werktätige Glaube der Ehrwürdigen Mutter Barat erweist sie selbst als Heilige. So stark war dieser Glaubensgeist bei ihr, dass Gott ihm Wunder entsprossen ließ. Dazu besaß sie eine erstaunliche, erleuchtete Klugheit, einen weiten Blick, ein großes Verständnis für die Bedürfnisse der Zeit. Selbst in ganz hervorragender Weise für die Erziehung der Kinder geeignet, verstand sie es auch, die Grundsätze, von denen sie sich in dieser schweren Aufgabe leiten ließ, ihren Töchtern mitzuteilen. Mit mütterlicher Liebe umfing sie die Kinder, duldete aber keine Weichlichkeit. Sie lehrte ihre Zöglinge sich selbst entsagen und bereitete sie auf diese Weise am besten vor, dereinst ihre Standespflichten erfüllen zu können.
Als Oberin und Leiterin ihrer großen, schließlich 4000 Ordensfrauen zählenden Gesellschaft war ihr ein opferfreudiges Mutterherz eigen, das überall mit mächtiger Triebkraft seinen belebenden Einfluss ausübte. „Sollen die Untergebenen,“ sagte sie, „in uns Christus sehen und wir sie leiten wie er, so müssen wir auch leben wie Christus und leiden wie Christus. Eine Oberin ist die Kreuzträgerin der Genossenschaft. Wollen Sie wissen, was eine gute Oberin ausmacht? Die Abhängigkeit von den Einsprechungen des Heiligen Geistes in all ihrem Wirken. Wir sollen nach Kräften bemüht sein, den Geist Christi in unser Herz aufzunehmen, so dass er Herr und Meister desselben wird. Uns selbst aber müssen wir von allen Geschöpfen losschälen wie eine Dienstmagd, die sich zwar in einen Winkel des Hauses zurückzieht, aber immer dennoch in der Nähe der Herrin bleibt, um deren leisesten Wink befolgen zu können.“
Mit unbeugsamer Strenge hielt sie am Geist und der genauen Beobachtung der Regeln der Genossenschaft fest. Beim Besuch eines Klosters brachten ihr einst die Schwestern einen Altarteppich, an dem sie lange Stunden, aber leider mit Hintansetzung wichtigerer Pflichten gearbeitet hatten. Der Generaloberin war das nicht unbekannt. Deshalb hielt sie zuerst an die versammelten Schwestern einen scharfen und feurigen Unterricht über die Pflichten der heiligen Armut und die demütigen Arbeiten des Heilandes zu Nazareth. Dann ließ sie den Teppich hereintragen und sagte ernst: „Liebe Schwestern, wenn wir folgerichtig handeln wollen, so müssen wir entweder den Teppich oder unsere Konstitutionen zerreißen.“ Darauf griff sie zur Schere und begann ganz gründlich das Werk der Zerstörung. „So möge alles verderben, was uns im Geringsten vom Geist unserer Genossenschaft entfernen könnte.“ Darum konnte die treue Mutter auch auf den Gehorsam und religiösen Opfermut ihrer Töchter zählen. „Ich fühle recht wohl,“ gestand sie selbst, „dass eine andere Hand als die meine sie alle leitet . . . Ich habe darüber nachgedacht, warum wohl alle unsere Schwestern eines so sanften Todes sterben. Wir sind gewiss recht elend und armselig. Andererseits aber herrscht in der Genossenschaft ein so vorzüglicher Gehorsam, solche Unterwürfigkeit und Opferfreude, dass dadurch mancherlei Fehler vor Gott gesühnt werden. Ich selbst bin darüber oftmals erstaunt und verwundert. Ein Wort, ein Federstrich, und nicht eine, sondern fünf, zehn Schwestern verlassen augenblicklich alles, ohne auch nur nach dem Warum zu fragen.“ Mit wahrhaft mütterlicher Liebe wachte sie aber auch über ihre Schwestern, besonders über deren gesundheitliches Wohl, während sie gegen sich äußerst streng war. „Sie liebte die Bußübungen wie andere den Zucker,“ äußerte sich ein Missionar, der sie kannte. „Den Tag, an dem wir nichts für Jesus gelitten haben, den können wir als verloren betrachten,“ war ihr Grundsatz.
Fast ans Unglaubliche grenzt es, was die heilige Mutter Barat, die noch dazu fast beständigen Leiden unterworfen war, in der Gründung und Verwaltung ihrer Ordensniederlassungen an Arbeitsfülle geleistet hat. Wie oft hat sie Frankreich und Italien im Wagen durchzogen! In Belgien, in der Schweiz, in England und Spanien musste sie, oft auf Krücken gestützt, ihre Visitationsreisen machen. Im Jahr 1843 drang sie in Österreich ein, für Deutschland gründete sie 1847 in Blumental bei Aachen, 1852 in Münster und 1854 in Riedenburg bei Bregenz Klöster. Im Ganzen rief die unermüdliche Stifterin 111 Klöster ins Leben, von denen 86 bei ihrem Tod noch bestanden. Welche Sorgen, welches Leid kosteten ihr jene, die wieder aufgegeben werden mussten! Die Gesellschaft des heiligen Herzens hat später einem Wunsch der seligen Mutter entsprechend, auch die Missionstätigkeit auf außereuropäischen Gebieten aufgenommen.
Obwohl erst am 25. Mai 1865 gestorben, wurde Sophie Barat schon am 24. Mai 1908 seliggesprochen. An die hundert Wunder werden in den Prozessakten ausführlich erzählt. Das Heilige Jahr 1925, 24. Mai, das auch der ganze Himmel mitzufeiern schien, brachte ihr die Heiligsprechung.
„Die Seele läuft und fliegt voran. Sie fühlt das Kreuz nicht, - ja Kreuz ist für sie nicht mehr Kreuz, sondern der Stab und die Stütze auf der Reise. Der Dorn ist nicht mehr Dorn, er wird zur Krone, die sie aus den Händen des Herrn empfangen hat, und herzlich gern drückt sie sie tief in die Schläfen ein . . . O, wenn schon das Schauspiel einer einzigen Seele, die sich rückhaltlos dem Gnadeneinfluss Jesu Christi überlassen hat, entzückend ist, was würde es sein, wenn eine Gemeinde, eine ganze Genossenschaft sich unumschränkt seiner Leitung hingäbe!“ Worte der heiligen Barat, die das Bild ihrer eigenen Seele zeichnen.