Man hört und spricht ja in unserer Zeit gerne von Mystik. Das Wort besagt geheimnisvolle Verbindung mit Gott. „Mystik, katholische, altherkömmliche Mystik, die allein diesen Namen verdient, ist die besondere seelische Erfahrung eines Menschen, der hier während seines irdischen Lebens täglich kostet und sieht, wie gütig Gott ist.“ (Psalm 34,9) So sagt der englische Benediktinerpater Louismet, der über „Das mystische Leben“ schreibt. Mystisches Leben ist ein menschliches Leben, das ganz übernatürlich geworden ist in allen seinen Äußerungen, sogar in den alltäglichen und rein körperlichen, nach St. Pauli Wort: „Ihr mögt essen oder trinken oder sonst etwas tun, tut alles zur Ehre Gottes.“ (1 Kor 10,31) Mystik ist eine volle Hingabe und Vereinigung mit Gott, wie sie jeder in seinem Stand pflegen soll und erreichen kann, wie wiederum der heilige Paulus verlangt: „Euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott“ Kol 3,3), so dass schließlich „nicht mehr wir leben, sondern Christus in uns.“ (Gal 2,20) Mystisches Leben ist also ein echt heiliges Leben. Außerordentliche Gnaden wie Visionen (Gesichte), geheime Stimmen, Offenbarungen gehören nicht notwendig dazu. Sie mögen einmal die Frucht, die Krönung eines heiligen Lebens sein, sie sind aber durchaus nicht erforderlich, nicht einmal zu erstreben und vom wirklichen Mystiker niemals gesucht.
„Mit der Einführung des Christentums beginnend, sich seit dem 10. Jahrhundert stärker entfaltend, erreichte die Verinnerlichung der christlichen Frömmigkeit, die Mystik also, in Deutschland zu Anfang des 14. Jahrhunderts jene Höhe, die man einfachhin die Periode der deutschen Mystik nennt. Die Dominikaner stellten die rührigsten und eifrigsten Lehrer der Mystik, die Dominikanerklöster aber waren die Pflanzschulen des praktischen innerlichen Lebens. Manche Klöster aus jener Blütezeit wissen von dreißig bis vierzig begnadeten Schwestern zu berichten. Ein Kloster, Maria-Medingen (Mödingen) in Bayerisch-Schwaben, meldet nur eine. Aber diese eine hat Medingen berühmter gemacht als jene große Schar ihre Klöster. Diese eine ist Margareta Ebner, eine hochbegnadete Seele, deren heiliges Leben und wundersames Schauen das Staunen der Mitwelt und Nachwelt erregte, und deren liebenswürdige Art, fromm zu sein, keine geringe Empfehlung der wahren Frömmigkeit bleiben wird.“ In solch hohen Tönen des Lobes spricht von seiner Ordensschwester der Geschichtsschreiber der deutschen Dominikanerinnen Pater Hieronymus Wilms.
Das ehrende Beiwort einer „Seligen“ wurde Margareta bereits von ihren Zeitgenossen gegeben. Es gibt dies Zeugnis von dem großen Ruf ihrer Tugenden und der hohen Verehrung, die man ihr wegen ihrer besonderen Gnadenauszeichnungen zollte. In Margareta hat sich eben die innige und gnadenvolle Vereinigung mit Gott bis zu den höheren und ungewöhnlichen Stufen des mystischen Lebens ausgewirkt. Die himmlischen Gnadenerweise traten ihren Mitmenschen wahrnehmbar vor Augen und erweckten ihre gläubige Bewunderung. Unseren lieben Vorahnen in der Verehrung der Seligen und Zuerkennung dieses Titels zu folgen, verstößt nicht gegen das Gesetz der Kirche. Denn die strengen Bestimmungen Urbans VIII. vom Jahre 1634 über die Verehrung der im Ruf der Heiligkeit verstorbenen Personen trafen den Kult der Seligen nicht, weil er schon mehrere hundert Jahre vor Erlass dieses Dekretes bestand, und somit nicht unter das Verbot fiel. Doch wurde auch schon 1686 seitens der Bischöflichen Behörde eine Untersuchung über das Leben, die Tugenden und Wunder Margaretens zu Medingen veranstaltet und der Prozess für die kirchliche Anerkennung ihrer Verehrung eingeleitet, aber erst in neuester Zeit, am 4. November 1910, durch ein bestätigtes Urteil zum vorläufigen Abschluss gebracht. Schließlich stand die Entscheidung beim letzten höchsten kirchlichen Gericht in Rom, wo bereits im Juni 1914 eine Sitzung in dieser Sache stattgefunden hat. Die Erfüllung der froh erschlossenen Hoffnungen lag nun im Rat der göttlichen Vorsehung. Schlussendlich wurde Margareta Ebner am 24. Februar 1979 durch Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.
Margareta „Ebnerin“ wurde 1291 geboren, nicht zu Nürnberg, wie lange Zeit allgemein geglaubt wurde, sondern zu Donauwörth. Christine Ebner, die gleichberühmte Nonne von Engeltal, die öfter als Margaretens ältere Schwester angeführt wird, war mit ihr nur durch ihre Zugehörigkeit zum Dominikanerorden und durch die gleichen mystischen Auszeichnungen verbunden. Kaum 15 Jahre alt, trat Margareta in das bei Dillingen gelegene Kloster Medingen ein. Gottes Gnade baut auf die Natur auf. Ihrer ganzen Naturanlage nach schien aber die liebenswürdige Braut des Herrn zu einem besonders innigen, seelenvollen Verkehr mit Gott geschaffen zu sein. Hatte sie doch ein ungemein zartes, liebeverlangendes Herz vom Schöpfer erhalten, eine verhängnisvolle Gabe für ein Menschenkind, das sich der Welt zukehrt und dort Befriedigung erwartet, eine wahre Himmelsgabe für jene, die in Gott Ruhe und Erfüllung suchen. In den ersten 5 Jahren des Ordenslebens hing Margareta auch wirklich noch allzu sehr der Außenwelt an. Erst im Jahr 1312 nahm ihr Leben eine höhere Richtung an, als ihr „Gott seine väterliche Treue erzeigte und eine schwere, ungewöhnliche Krankheit schickte“. Das große Geheimnis des Leidens, dass jedes Leid eine Gnade ist und je größer das Leid, um so größer die Gnade, wenn man es mit wohlbereitem Herzen aufnimmt, dies Geheimnis tritt uns in der seligen Margareta Ebner klar und bedeutungsvoll vor die Augen. Ihre Leiden dürfen überhaupt nicht als rein körperliche Leiden aufgefasst werden. Ein höherer Einfluss war wirksam. Denn das Kommen und Schwinden, das Anschwellen und Nachlassen des Leidens hing aufs engste mit dem Kirchenjahr zusammen und stieg besonders in der heiligen Fastenzeit zu einer unheimlichen Stärke an. Schon gleich anfangs erfasste das Leiden sein hilfloses Opfer mit außerordentlicher Heftigkeit. Unerträgliche Schmerzen drangen ihr bis ans Herz hinan und durchtobten ihren Leib, dass sie weder sehen noch sprechen noch irgendein Glied regen konnte. Mühsam, unter weithin hörbarem Röcheln zog sie Atem und nur durch das Gehör war sie noch mit der Außenwelt in Verbindung, gleich als wollte ihr Gott zu erkennen geben, dass Hören und Gehorsam das einzige Leben sei, das sie nun zu führen habe. So wurde sie 3 Jahre lang von den schmerzhaftesten Krämpfen gefoltert. Im ersten Jahr noch wurde es ihr schwer, sich in die harte Schickung zu fügen, und lebhaft regte sich in ihr der Wunsch nach Gesundheit. Doch der Zuspruch einer frommen Klosterfrau: „Ergib dich Gott und bete, wenn es dir möglich ist, denn für Gott große Krankheit leiden, ist eines der längsten Leben, die ein Mensch auf Erden leben kann“, half ihr allmählich den Widerstand der niederen Natur überwinden. Das war der „Kehr“ ihres Lebens und der Beginn ihres Aufstieges. Vom dritten Jahr ab nahm das Leiden eine andere Form an. Die Anfälle waren so heftig, dass Margareta Wochen hindurch in völliger Erschöpfung dalag wie eine Tote und keine Nahrung zu sich nehmen konnte. Darauf folgten 20 Wochen lang so heftige Ergüsse von Schweiß bei Tag und Nacht, dass man, wie sie selbst schreibt, mit hohlen Händen große Becken damit vollschöpfte. Eine Besserung trat dann ein, so dass sie zeitweise wieder gehen konnte. Doch war sie auch in den nun folgenden 13 Jahren häufig von schweren Todesnöten heimgesucht. So ist die Geschichte Margaretens die Geschichte einer Leidenden, aber einer im Leid liebenswürdigen Seele.
Man klagt bisweilen, dass unsere deutschen Heiligen von so strenger, abstoßender und unnachahmbarer Lebensart seien, dass sie so wenig von jener anziehenden Liebenswürdigkeit an sich hätten, mit der eben jetzt eine junge französische Heilige, Theresia vom Kinde Jesus, alle Welt zu gewinnen vermöge. Margareta Ebner ist freilich als echte Jüngerin des Gekreuzigten für sich zutiefst in die Flut des Leidens eingetaucht worden. Aber immer ist sie die gütige, liebenswürdige Dulderin geblieben, die kindlich fromme Seele, das weiche, gemütvolle, die Schwächen der Menschennatur nicht verleugnende Menschenkind. An Margareta schrecken keine schweren Bußwerke. Bei ihrer körperlichen Schwäche hätte sie solche auch nicht üben können. Und doch war ihr der Geist vollkommener Abtötung eigen. Sie kürzte den Schlaf, beschränkte das Reden und übte in Speise und Trank eine Enthaltung, die allen möglich ist, weil sie in der Zufriedenheit bestand mit dem, was der Gehorsam, was der Tisch ihr bot. Freilich ging sie später noch weiter, verzichtete ganz auf Fleisch und Fisch und gestattete sich nur Wasser als Trank. Größer jedoch war ihre innere Abtötung, der Verzicht auf eigenen Willen, auf mancherlei Herzenswünsche. Ihre Selbstüberwindung konnte heroisch sein. Das Kloster Medingen war dem Kaiser Ludwig dem Bayern wegen der von ihm erhaltenen Wohltaten treu ergeben. Auch in den Tagen des Unglücks bewahrte es ihm die Treue. Da hieß es plötzlich, die Reichsinsignien: Krone, Zepter und Krönungsmantel seien ins Kloster geflüchtet worden. Die Schwestern eilten zusammen, die Kleinodien zu sehen. Auch Margareta empfand ein heftiges Verlangen. Schon stand sie auf dem Gang. Da vernahm sie – eine lebhafte Eingebung der Gnade – innerlich die Worte: „Das ist eine armselige Kleinmütigkeit (Schwäche) von dir. Geh zum Tabernakel in den Chor, da findest du meinen heiligen Fronleichnam so wahrhaft wie im Himmel.“ Sogleich wandte sie den Schritt, ging in die Kirche und opferte vor dem Altar für den Kaiser den letzten Tropfen irdischer Freude.
Wieviel litt die Dienerin bei ihrem tieffühlenden, empfindsamen Herzen! Wie weh tat es ihr, als manche Mitschwestern sie in ihrer langen Krankheit verließen! „Gott allein! Gott allein!“ rief sie dann aus. Über harte Worte, noch mehr über größeres Leid ward sie ganz krank, weinte und konnte das Weh lange nicht überwinden. War das Schwäche? Überempfindlichkeit? Härteren Naturen scheint es so; sie ahnen aber nicht, was ein reiches, tiefes Herz leidet. Schwäche ist es, wenn ein Herz unter solchem Leid zusammenbricht. Stärke aber, heldenhafte Stärke, wenn es überwindet, trotzdem es so tief und je lebhafter es empfindet. Margareta hatte eine Pflegeschwester, die ihr „Gott gegeben hatte zur Pflege von Leib und Seele . . ., an der sie hatte, was sie nur wünschen konnte: Friede, Demut, Liebe und lautere Wahrheit.“ Und diese Schwester nahm ihr der Herr durch den Tod. Unsägliche Traurigkeit, Weh und Jammer erfasste darob Margaretens Seele; ließ sie nimmer los. Nicht dass sie gegen Gott geklagt hätte, nicht dass der Friede ihrer Seele durch eine Regung der Ungeduld wäre gestört worden, aber die Wunde wollte sich nicht schließen. Da führte ihr die Vorsehung einen erfahrenen geistlichen Führer zu, Heinrich von Nördlingen, ein Mann von tiefer Frömmigkeit, der es verstand die Herzen zu hoher Gottesliebe zu führen. Scharfen Auges hatte er rasch den wunden Punkt in Margaretens weichem Gemüt erkannt. „Gebt mir eure Schwester!“ war kurzweg die Forderung. Als Margareta fragte: „Wollt Ihr die Seele dazu haben?“ erwiderte er: „Was soll mir ein Leib ohne Seele?“ Ihren edlen, tiefen Charakter durchschauend, erkannte er, dass Gott mit dieser auserwählten Seele Großes wirken wolle, dass sie aber noch „entbildet“ werden müsse, losgemacht von jeder Kreatur, um „mit Christus gebildet“ zu werden. Das war 1332, also zwanzig Jahre nach ihrer Ein“kehr“. Nun erst findet sie zur Höhe, stufenweise, in mühsamem Aufstieg.
Der in der Geschichte der Mystik bekannte Heinrich von Nördlingen war es auch, der seine Schülerin und „Gottesfreundin“ im Gehorsam veranlasste, ihre Seelenerlebnisse, ihre Gnadenauszeichnungen und Gesichte niederzuschreiben. Daraus, wie aus ihrem Briefwechsel mit Heinrich schöpfen wir sichere Kenntnis über Margaretens inneres Leben. Eine neuere, gediegene Studie hierüber (Laacher Stimmen 1911) urteilt: Aus ihrem ganzen Bericht leuchtete eine so lautere Wahrheitsliebe, er sei mit so kunstloser Einfachheit und mit so schlichter Naivität niedergeschrieben, dass selbst der geringste Gedanke an eine absichtliche Täuschung oder auch nur Ausschmückung ausgeschlossen sei. Margaretens Offenbarungen seien ein geschichtliches Dokument, ein Beweisstück, das jeden Anspruch auf Glaubwürdigkeit erheben könne.
Liebenswürdig, wie auf dem rauen Weg der Läuterung, blieb die Selige auch auf dem der Erleuchtung. Der Verkehr mit Gott, das Gebet bildete ihre Beschäftigung bei Tag und ihren Trost in den langen schlaflosen Nächten. Von ihren vielen Privatgebeten ist das sinnigste und schönste, das „Paternoster“, ihr Lieblingsgebet. Es ist eine Mischung von mündlichen Gebeten und Betrachtungen. Sie zerlegte das Leben Jesu nach seinen Begebenheiten und Umständen in ebenso viele Bilder; zu jedem Bild wurde ein Pater und Ave gesprochen mit entsprechenden Betrachtungen und Anmutungen, ähnlich unserem Rosenkranzgebet. Diese Gebetsart bildete auch die regelmäßige Vorbereitung auf die heilige Kommunion.
Recht bezeichnend für die innig fromme Seelenstimmung der Medinger Ordensfrau und ihres ideal gesinnten Führers Heinrich, der nicht Ordensmann, sondern Weltpriester war, ist aber die bemerkenswerte Beobachtung, dass beiden mystischen Seelen ein tiefes Verständnis für die Liebe und Verehrung des heiligsten Herzens Jesu aufgegangen war. In mehr als siebzehn Briefen spricht Heinrich von dem „reinen, getreuen, erbarmungsvollen, dem überströmenden, süßen Herzen Jesu Christi“. Er schreibt an Margareta, die „gereinigt ist in dem minniglichen Blut ihres Bräutigams, die ruht in der sicheren Wohnung seines Herzens“: „Dem Gottessohn habe ich dich mit meinen Tränen in sein Herz geschrieben. Der himmlische Vater hat uns durch das Herz seines Sohnes seine ewige Liebe und Erbarmen in überreicher Fülle geschenkt. Wir jubeln und freuen uns in dem liebeströmenden Herzen Jesu, in dem alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft Gottes sind. Sag mir doch bei der Liebe des Herzens Jesu Christi, woher kommt denn Trost und Friede, Freude und Glück und Wonne und Seligkeit, woher anders als aus dem tiefinnersten Herzen Jesu Christi. Empfiehl uns und unsere Freunde in das erbarmungsvolle Herz Jesu Christi.“ Margareta hinwiederum verlangt von ihrem geistlichen Freund, sich wie Johannes zu erheben „zu dem liebenden Herzen Jesu Christi, an dem du wahre Ruhe findest, erfüllt wirst mit seiner Gnade und durchströmt wirst mit seiner Süßigkeit“. Das sind Erweise einer Herz-Jesu-Andacht aus einer Zeit, die über 300 Jahre vor der heiligen Margareta Alacoque zurückliegt.
Das Beten der seligen Dominikanerin wurde immer mehr ein fürbittendes. Wahre Frömmigkeit ist nicht selbstsüchtig. Die Geschöpfe waren dem Heiland lieb, so auch ihr. Seinetwegen nur schenkte sie ihnen wärmsten Anteil. Sie liebte die Kirche, das Volk, jede einzelne Seele. Überallhin streute sie den Gnadenregen ihrer Gebetsrosen aus. Wie schwer litt sie unter den Wirren der Christenheit, in dem Streit zwischen Papst und Kaiser. Die Strafe des Interdiktes, die über das Land ausgesprochen war, gestattete nicht das Brot der Engel so oft zu empfangen, als es das glühende Verlangen ihrer Seele begehrte. Es wurde ihr die Erleuchtung zuteil, dass die Wirrnisse wegen der Gebresten und Sünden der Menschen hereingebrochen seien. Darum hörte sie nicht auf für den bedrängten Herrscher zu beten. Sie trug das Bewusstsein in der Seele, dass ihre Fürbitte dem Träger der Kaiserkrone wie eine Schutzmacht zur Seite stehen müsse. Die armen Seelen hätten es ihr gesagt, dass er nie so lange gelebt haben würde, wenn nicht kraft ihres Gebetes. Nimmer wollte sie ihn daher aus ihrer Barmherzigkeit lassen, bis sie ihn bereitet hätte fürs ewige Leben. Wie frohlockte sie, als ihr darüber Sicherheit gegeben wurde. So trug sie liebend anderer Lasten wie ihre eigenen.
Die armen Seelen! Wie sollte ein so zart empfindendes, mitleidsvolles Herz wie das Margaretens ihrer nicht lebhaft gedacht haben. „Ich hatte großen Eifer“, sagt sie, „und große Andacht zu den Seelen und das machte mich empfänglich Gottes und des ewigen Lebens. Ich habe es oft gewünscht, dass es alle Menschen empfänden, damit jene mehr Hilfe von ihnen hätten, denn sie waren ein Anfang all des Guten, das Gott an mir gewirkt hat.“ Auch dieser Verkehr mit den Seelen des Reinigungsortes hatte seine stufenweise Entwicklung. Der Glaube, von der Liebe bewegt, treibt sie zu lebhaftem Fürbittgebet an. Da weiß sie sich erhört. Eine befreite Seele entrichtet ihren Dank. Andere wenden sich um Hilfe flehend an sie. Dafür bringen sie wieder der Beterin Trost in anderen Anliegen. Ermutigt stellt sie Fragen und erhält Bescheid über verborgene Dinge. So wächst sie hinein und fühlt sich ganz heimisch in jener Welt sühnender Leiden, wie in dieser des Werdens und Vergehens.
Indessen leuchtete nicht bloß das blutigrote Dämmerlicht des Reinigungsortes in das irdische Leben des mystischen Klosterfrau von Medingen, die Sonne des himmlischen Jerusalems selbst sandte ihr ihre Strahlen zu und entzündete ihr Herz mit flammender Liebe, prüfte es aber auch in namenlosen Qualen. Eine überaus innige Liebe zum göttlichen Heiland beherrschte Margareta und brach immer mächtiger aus ihrer Seele hervor. Der drängende Zug der Gnade wies sie zum Geliebten, zum geheimnisvoll Verborgenen unter den sakramentalen Gestalten. Alle ihre Anliegen trug sie hin zum Tabernakel, und erleichtert oder völlig entlastet, kehrte sie zurück. In der heiligen Kommunion wurde ihr Herz so weit, dass sie es gar nicht ermessen konnte, so weit wie die ganze Welt. Freilich empfand sie auch wieder schmerzlich das Bleigewicht der Trockenheit und in solch peinlichem Zustand meinte sie, keine Frau auf Erden sei so kalt und hart wie sie. Die Gottesliebe hatte so sehr von ihrem ganzen Wesen Besitz ergriffen, dass sich ihre Süßigkeit auch den Sinnen fühlbar mitteilte und im Wachen wie im Schlaf sie beschäftigte. Einst drang vom lieben Namen Jesu, der wie süßer Zauber auf sie wirkte, ein Wohlgeruch fühlbar in ihr Herz und verbreitete sich von da durch alle Glieder. Noch bis zum dritten Tag empfand sie diesen Wohlgeruch. „Der Name Christus ward mir da so kräftiglich gegeben, dass ich auf sonst nichts zu achten vermochte und es war mir, als ob ich bei ihm gegenwärtig wäre.“
Die Liebe zu Jesus verbannt sich unzertrennlich mit der Andacht zu seinem erlösenden Leiden. Liebe strebt nach Verähnlichung. Die Selige wünschte all die lieben Minnezeichen des leidenden Heilandes mit ihrem Weh und Schmerz mitleiden zu dürfen. Es drängte sie, mit aller Innigkeit und Kraft das Bild des Gekreuzigten an Mund und Herz zu drücken. „Oft schien es mir,“ schreibt sie, „ich möchte mich lebend nimmer davon lostrennen vor großer Gnad´ und kräftiger Süßigkeit.“ So stark drang ihr diese ins Herz und in alle Glieder, dass sie sich nicht von der Stelle bewegen konnte. In der Passionszeit ehrte sie das Leiden Christi durch ein vollständiges Stillschweigen. Dies wurde zu einem „gebundenen“, gezwungenen Schweigen. Sie konnte oft lange nicht mehr reden, auch wenn sie es gewollt hätte. Die Einwirkungen des Leidens des Herrn wurden immer gewaltsamer. War das Mitleid zum Höchsten gestiegen, das brach es das Leiden. Es war ihr, als ob ein Geschoss mit außerordentlicher Wucht ihr ins Herz, in Haupt und Glieder gestoßen würde. Sie fühlte sich gezwungen, laut zu rufen: „O weh, o weh, mein Jesus Christus!“ Sie litt das Martyrium der Liebe.
Überaus liebenswürdig erscheint die selige Margareta Ebner vornehmlich in ihrer Andacht zum Jesuskind. Erst spät, in der Zeit, wo sie sich mit der Niederschrift der empfangenen Gnaden auf Drängen Heinrichs beschäftigte, im 53. Lebensjahr, erfasste sie „die besondere Lust“ zur Kindheit Jesu, einer Andacht, die von da ab eine hervorragende Stelle in ihrem inneren Leben einnimmt. Margareta spricht so kindlich, so zutraulich, so herzlich mit dem göttlichen Kind, dass irdische Mutterliebe keine zarteren Ausdrücke zu finden wüsste. Doch bleibt sie dabei so edel und übernatürlich, dass der Gedanke an eine rein menschliche Auffassung vollständig ausgeschlossen ist. Dem Jesuskind kann sie alles klagen, alles von ihm erfragen. Die Antwort erfolgte teils in Traumgesichten, teils im wachen Zustand durch innere Einsprechungen, nie aber auf eine dem äußeren Ohr vernehmbare Weise. Das ist wohl zu beachten. Wenn die ganz in ihrem Wandel in der Gegenwart Gottes aufgehende Ordensfrau erzählt, wie das Jesuskindlein – eine bekleidete Holzfigur in der Wiege, ein Geschenk aus Wien vom Jahr 1344 – „in einer Nacht fröhlich spielte und sich lebhaft gebärdete“, wie es dann auf einen Verweis hin begehrte, Margareta müsse es zu sich nehmen, und diese es dann voll Freude auf ihren Schoß stellte und das liebe Kind sie umarmte und küsste, so ist das nur als Traumvision zu nehmen. Sie hebt es selbst hervor, dass ihr viel im Schlaf, in Traumgesichten, gezeigt wurde. Sie bemerkt aber ausdrücklich: „Ich schreibe von keinem Traum, als nur von solchen, die ich danach noch langer in großer Gnade empfinde.“ Sie stellt damit selbst das richtige Kennzeichen auf, womit ein bloßes natürliches Traumspiel von göttlichen Gunstbezeigungen zu unterscheiden ist. Diese bringen dauernde Wirkungen in der Seele hervor.
Unzweifelhaft ist, dass die heilige Macht der Gottesliebe die Selige bei Tag und Nacht vollständig beherrschte. Begreiflich, dass diese Gotteskraft auch in klaren Wachzuständen Ungewöhnliches und Außerordentliches an der Begnadeten wirkte. Nach langem, hartem Leid führte der Allbarmherzige seine Braut zur „mystischen Vereinigung“. Sie darf gestehen: „Mir ist Gott zur selben Zeit so gegenwärtig und begreiflich in der Seele und im Herzen und so wahrnehmbar in all der Kraft, wie er im Himmel und auf Erden wirkt, wie wenn ich es mit meinen eigenen leiblichen Augen sähe und wie es nur immer einem Menschen möglich ist . . . Innerlich empfand ich große Süßigkeit und viele Gnade und die wahre Gegenwärtigkeit Gottes in meiner Seele . . . Ich empfand auch, wenn es sich ereignete, die größte Geringheit, dass mir schien, ich hätte meinen eigenen Leib von mir gelegt, so dass ich eine rechte Vergegenwärtigung gewinne von der Geringheit (des Leibes) nach diesem Leben.“ Die Gottes-Ähre war herangereift zur hundertfältigen Frucht für den großen Erntetag. Zu wiederholten Malen erhebt sich eine Stimme in ihrem Innern: Ich will heim, ins ewige Leben!
Am 20. Juni 1351 schloss sich ein Menschenleben, das von der Weihe einer ganz wunderbaren Gottesinnigkeit durchhaucht war. Margareta Ebner wurde am 24. Februar 1979 durch Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.
Das folgende von Margareta gerne gebrauchte Gebet wird das „Anima Christi“ Ebners genannt. Es hat aber mit dem beliebten Kommuniongebet: „Seele Christi, heilige mich!“ nur den Sinn und die innige Zartheit der Liebe zum Heiland gemein, der Wortlaut ist verschieden, länger und urwüchsiger. Ob unser „Anima Christi“ eine Nachbildung des Ebnerschen ist? Jedenfalls entstammt es jener Zeit, da es von Papst Johann XXII. im Jahr 1330 mit Ablässen versehen wurde. Irrtümlicherweise wird das „Anima“ öfter dem heiligen Ignatius zugeschrieben. Er empfiehlt es aber nur, in den ersten Exerzitienausgaben, 1548 und 1553, als schon bekannt zum Beten, ohne den Text anzuführen. Dieser erscheint erst in den späteren Ausgaben.
Gebet der seligen Margareta Ebner:
Ich danke dir, Herr Jesu Christ,
Dass du Mensch geworden bist.
Ich ermahne dich deiner großen Pein
Und tue auf das Herze mein,
Darein gieße die Marter dein,
Dass sie fließe durch die Seele mein.
Mit deinem Blute wasche mich,
In deiner Marter läutere mich,
In deinem Schmerze peinige mich,
In deinen Schlägen bessere mich,
In deinen Wunden heile mich,
In deinen Stichen mein Herz zerbrich,
Dein Speer, Nägel, Krone stärken mich,
In deine Bitterkeit setze mich,
In deinem Durste labe mich,
In deinen Zügen zieh mich in dich,
In deiner Minne verschmelze mich,
In deinem Tode begrabe mich,
In deiner Urständ (Auferstehung) erneuere mich,
In deiner Auffahrt erhebe mich,
In Ewigkeit empfange mich,
In deiner Süßigkeit ertränke mich,
Dass ich mit allen Heiligen dich preise. Amen.