„Drei Heilige sind mir vor allen anderen Lieb: Maria, meine Mutter, Johannes der Täufer und Maria Magdalena“, so sagte einmal der göttliche Heiland zur heiligen Brigitta von Schweden. Alles, was wir aus den heiligen Evangelien über diese drei Heiligen wissen, bestätigt diese Worte des Herrn. Maria wählte er zu seiner irdischen Mutter, zeichnete sie aus mit den größten Gaben und Gnaden in der natürlichen und übernatürlichen Ordnung. Johannes heiligte er vor seiner Geburt und erwählte ihn zu seinem Wegbegleiter und Herold. Maria Magdalena, die heilige Büßerin, machte er zur immerwährenden Verkünderin seiner unendlichen Barmherzigkeit.
Was uns die Heilige Schrift über Maria Magdalena erzählt, sind ebenso viele und große Beweise der barmherzigen Liebe des göttlichen Heilandes; dass er sie von sieben bösen Geistern befreite und sie in den Kreis der frommen Frauen aufgenommen wurde, die dem Meister mit ihrem Vermögen dienten (Lk 8,2); dass sie am Ostermorgen sich bei den Frauen befand, die hinausgingen zum Grab des Herrn, und sie den Auferstandenen zuerst sah, wie der heilige Evangelist Johannes so schön erzählt (Joh 20,1-16). Dies sollte wohl eine Belohnung sein, dass sie beim schwersten Leiden des Herrn nicht von seiner Seite gewichen war, sondern mutig und standhaft mit der heiligen Mutter des Herrn und mit dem heiligen Johannes beim Kreuz ausgehalten hatten (Joh 19,25).
Der eigentliche Name der Heiligen war Maria; ihr Beiname Magdalena weist hin auf das Städtchen oder Schloss Magdalena an der mittleren Westbucht des Sees Genezareth; sie war dort zu Hause oder das Schloss gehörte ihr; sie hat sich dort vielleicht vor ihrer Bekehrung aufgehalten.
Heilige und gelehrte Männer wie Augustinus, Papst Gregor der Große und viele andere sahen in ihr die „Sünderin“, von der der heilige Lukas erzählt, dass sie bei einem Gastmahl die Füße des Herrn gesalbt und mit ihren Tränen benetzte und von ihm die tröstlichen Worte vernahm: „Ihr sind viele Sünden vergeben, weil sie große Liebe hat.“ (Lk 7,36-50) Die heilige Kirche hat dieses Evangelium in die heutige Festmesse aufgenommen, wohl auch ein Fingerzeig für die Richtigkeit der Auffassung, die in Maria Magdalena jene Bußfertige, großmütige Schülerin des Herrn sieht.
Viele Erklärer der Heiligen Schrift halten Maria Magdalena für die Schwester des Lazarus und der Martha, die in Bethanien bei Jerusalem ein Haus besaßen, in dem Jesus öfters einkehrte. Dort lauschte sie den Worten des Meisters und salbte ihn im Voraus für sein Begräbnis.
Über ihre weiteren Schicksale ist uns nichts Zuverlässiges überliefert. Nach manchen Berichten wäre Magdalena mit der heiligen Mutter des Herrn nach Ephesus gezogen und dort gemartert worden. Von dort seien ihre Reliquien nach Konstantinopel gebracht worden. Nach anderen Angaben aber wäre sie mit ihren Geschwistern Lazarus und Martha wunderbarerweise an die Küste Südfrankreichs gekommen und habe dort in einer Grotte bei Beaume in Buße und Beschaulichkeit bis zu ihrem heiligen Tod gelebt. Jedenfalls wird in Südfrankreich ihr Grab bis zur Gegenwart in hoher Verehrung gehalten.
Im Morgen- und Abendland erfreute sich Maria Magdalena beim christlichen Volk allgemeiner und großer Verehrung. Ortschaften, Kirchen, Klöster, Flüsse und Berge tragen ihren Namen; unzählige Male ist ihr Leben in den Werken der christlichen Kunst geschildert worden; überall begegnen wir ihren Bildern; für alle ist sie ein leuchtendes Vorbild wahrer Buße und innigster Liebe zum göttlichen Heiland.
Erhebend und trostreich sind die herrlichen Worte, die der heilige Papst Gregor der Große über die Heilige sagt:
„An Maria haben wir eine Zeugin der göttlichen Erbarmung, das ist nämlich jene Maria, von der wir sprechen, jene, von der der Pharisäer, während sie die Quelle des Heils abtrocknen wollte, sprach: „Wäre dieser ein Prophet, so wüsste er, dass diese Frau die ihn berührt, eine Sünderin ist.“ Sie aber wusch mit ihren Tränen die Flecken des Herzens und des Leibes ab und berührte die Fußstapfen ihres Erlösers, den sie auf ihrem schlechten Irrweg verlassen hatte. Sie saß zu den Füßen Jesu und vernahm aus seinem Mund das Wort: dem Lebenden hing sie an, den Toten suchte sie auf. Den Lebenden fand sie, den sie als tot suchte. So viel Gnade hat sie bei ihm gefunden, dass sie ihn selbst den Aposteln, seinen Boten verkündigen durfte. Was also sollen wir hierbei betrachten, wenn nicht die unendliche Barmherzigkeit unseres Schöpfers, der uns als Zeichen des Vorbilds der Buße jene hingestellt hat, die er nach dem Fall, vermöge ihrer Buße, zum Leben erweckt hat?“
„Denn ich denke an Petrus, ich erinnere mich an den Schächer, ich schaue den Zachäus an und ich betrachte Maria, und ich sehe in diesen allen nichts anderes als die hellstrahlenden Vorbilder der Buße und der Hoffnung vor unsere Augen hingestellt.“
„Hat vielleicht jemand am Glauben Schiffbruch gelitten? Der schaue auf Petrus hin, der darüber bitterlich weinte, dass er Jesus dreimal feige verleugnet hat.“
„Entbrannte vielleicht einer in der Bosheit des Herzens in grausamer Weise gegen seinen Nächsten, der denke an den Schächer, der selbst im letzten Augenblick seines Lebens noch durch die Buße zum Lohn des ewigen Lebens gelangte.“
„Wieder ein anderer hat, von der Wut des Geizes verleitet, fremdes Gut an sich gerissen; der erinnere sich an Zachäus, der, wenn er irgendjemand betrogen hatte, es vierfach wieder ersetzte.“
„Hat jemand, von dem Feuer der Sinnlichkeit verleitet, die jungfräuliche Schönheit verloren, der vergesse ja nicht auf Maria Magdalena zu schauen, die durch das helllodernde Feuer der göttlichen Liebe jedes sinnliche Fünkchen in sich vernichtete.“
„Seht, wie der allmächtige Gott unseren Augen überall Beweise seiner Erbarmung in Beispielen vor Augen hält!“
„Das Böse soll also schon missfallen, da man es bereits kennt. Der allmächtige Gott vergisst sehr gerne darauf, dass wir schuldvoll gewesen sind; er ist bereit, uns vermöge unserer Buße als schuldlos zu betrachten.“
„Lasset uns, befleckt mit Sünden, nach dem Bad des Heils wiederum geboren werden aus dem Wasser der Tränen! Lasset uns nach dem Ausspruch der ersten Hirten wie neugeborene Kinder nach der Milch der Unschuldigen uns sehnen! Kehrt, wie kleine Kinder, zum Schoß eurer Mutter, der ewigen Weisheit, zurück; das Verübte beklagt, das, was euch bevorsteht, meidet; unser Heiland wird unseren zeitlichen Quell der Schmerzenstränen mit ewiger Freude trocknen, der mit Gott dem Vater in Einigkeit des Heiligen Geistes als wahrer Gott regiert in Ewigkeit. Amen.“
Einmal predigte der Heiland vor dem Volk in Kapharnaum am See Genezareth. Unter den Zuhörern befand sich die Sünderin Maria Magdalena, die damals – wie oben beschrieben – nahebei in einer Villa am See wohnte. Nicht um sich zu bessern, sondern aus reiner Neugierde war sie gekommen, weil sie gehört hatte, dass Jesus ein guter Prediger sei. Wie sie dann aber den Heiland predigen hörte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, und mit tiefer Beschämung erkannte sie, wie schlecht sie wegen ihrer Sünden war.
Wenn ehedem bei den Juden ein auswärtiger Gesetzeslehrer eine Predigt gehalten hatte, so war es Brauch, dass einer aus dem Synagogenvorstand den Fremdling zum Essen in der offenen Halle seines Hauses einlud. Man setzte sich zu Tisch, und niemand fand es anstößig, dass auch andere kamen oder vom Zaun her zuschauten und zuhörten. So geschah es damals in Kapharnaum ebenfalls. Simon, einer von den Pharisäern, lud den Heiland zum Essen ein.
Wenn zu uns ein Gast kommt, so gibt man ihm die Hand, nimmt ihm Hut und Mantel ab, führt ihn ins Zimmer und bittet ihn, sich zu setzen. Jüdische Höflichkeit war anders. Weil man im Morgenland keine Schuhe und Strümpfe trug, sondern stets barfuß in Sandalen ging, konnte es nicht ausbleiben, dass die Füße schmutzig wurden. Deshalb richtete man dem Gast zunächst ein Fußbad her, und dann umarmte und küsste man ihn auf Hand, Stirn und Wangen und besprengte ihn mit wohlriechendem Wasser. So war es bei den Juden Brauch.
Damals in Kapharnaum setzte sich Simon jedoch über die Höflichkeitsformen hinweg. Maria Magdalena, die es vom Zaun her beobachtete, war empört über diese Rücksichtslosigkeit, und da sie bei all ihrer Fehlerhaftigkeit doch ein Herz besaß, das jedes Unrecht verabscheute, so lief sie schnell nach Hause und holte in einem Gefäß von kostbarem Alabaster das feinste und teuerste Salböl, das sie hatte.
Mit dem Salböl ging sie in den Saal, wo das Festmahl stattfand, kniete sich vor Jesus nieder und weinte. Dann fing sie an, mit Tränen seine Füße zu benetzen, trocknete sie mit den Haaren ihres Hauptes ab, küsste seine Füße und salbte sie mit dem Salböl.
Da tuschelten und witzelten die Pharisäer miteinander, und Simon dachte bei sich: „Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, was für eine Frau dies ist, die ihn berührt, dass sie nämlich eine Sünderin ist.“
Doch da nahm der Heiland Maria Magdalena vor allen Leuten öffentlich in Schutz und verteidigte sie und sagte zu Simon:
„Siehst du diese Frau? Ich kam in dein Haus, und du gabst mir kein Wasser für die Füße, sie aber hat mit ihren Tränen meine Füße benetzt und mit ihren Haaren abgetrocknet. Du gabst mir keinen Kuss, sie aber hat seit meinem Eintritt nicht aufgehört, mir die Füße zu küssen. Du salbtest mein Haupt nicht mit Öl, sie aber hat mir die Füße mit Salböl gewaschen. Deshalb, sage ich dir, sind ihr die vielen Sünden nachgelassen, weil sie eine große Liebe hat.“
Still war es bei den Worten des Heilandes im Saal geworden, und dann wandte sich Jesus an Maria Magdalena selbst und gab ihr die Lossprechung, indem er sagte:
„Deine Sünden sind dir vergeben.“
Eben war Maria Magdalena noch eine Verworfene, jetzt ist sie eine Auserwählte. Eben war sie noch eine Handlangerin des Teufels, jetzt ist sie eine Begnadete, die vom Heiland geliebt wird, weil sie den Heiland liebt. Eben noch war sie auf dem Weg zur Hölle, und nun wird aus ihr eine große Heilige.
Von diesem Tag an ist Maria Magdalena dem Heiland unverbrüchlich treu geblieben. Im Verein mit anderen frommen Frauen durfte sie ihm und den Jüngern auf seinen Reisen folgen. Unter dem Kreuz durfte sie, die ehedem eine große Sünderin war, den Ehrenplatz neben der Immakulata einnehmen, und am Ostermorgen hat sie der Heiland dadurch hoch geehrt, dass er ihr nach seiner Auferstehung zuerst erschien und sie mit ihrem Namen anredete.
Weil Maria Magdalena den Heiland innig geliebt hat, deshalb sind ihr viele Sünden vergeben worden, und deshalb ist auch ihr, die eine stadtbekannte Sünderin war, eine der größten Heiligen geworden.