Da wurde im Jahr 1825 auf einem kleinen Bauernhof in der Schweiz, dessen Eigentümer Scherer hieß, ein Mädchen geboren, das in der Taufe den Namen Katharina erhielt. Aus diesem Bauernmädchen ist später eine Königin im Reich der Liebe geworden.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hätten die meisten Leute eine weite Reise machen müssen, um Barmherzige Schwestern zu sehen. Im 20. Jahrhundert begegnete man diesen Engeln der dienenden Liebe zum Glück bis in die entlegensten Dörfer. Heute ist so eine Begegnung eher wieder selten geworden. Damals jedenfalls waren sie noch eine große Seltenheit. Da kam keine Schwester, um die Hauskranken zu pflegen, da gab es kaum Krankenhäuser, Kinder- und Altersheime, da wuchsen die Kinder vielfach noch ohne geregelten Schulunterricht heran, da herrschte, mit einem Wort gesagt, unter den ärmeren Leuten eine große Not. So war es überall, und in der Schweiz verhielt es sich auch nicht anders.
Es lebte da aber ein Kapuziner, der hieß Pater Theodosius Florentini. Es war eine ragende Gestalt mit langem Bart, ein unternehmungslustiger Mann, der alles, was er anpackte, auch durchsetzte. Ihm ging die Not des Volkes zu Herzen, und so kam er auf den Gedanken, zunächst einmal für den Schulunterricht eine Vereinigung von Barmherzigen Schwestern ins Leben zu rufen. Gedacht, getan, und als er nach fünf Jahren eine Handvoll Schwestern um sich geschart hatte, teilte er sie in zwei Hälften und bildete aus der zweiten Hälfte eine neue Ordensgesellschaft mit der Aufgabe, vorzüglich den Kranken zu dienen. An ihre Spitze stellte der Stifter die oben erwähnte Katharina Scherer, die mittlerweile unter dem Klosternamen Maria Theresia Barmherzige Schwester geworden war.
In einem baufälligen Haus mit zerbrochenen Fensterscheiben fing man an. Wind, Regen und Schnee waren ständige Gäste. Vom Speicher bis zum Keller herrschte bitterste Armut. Noch fehlten die Betten, man schlief auf dem nackten Boden. Im Wald sammelten die Schwestern Brennholz. Man kaufte auf Borg, bis die Händler die Waren nur noch gegen bares Geld liefern wollten, und weil die Schwestern kein bares Geld hatten, hungerten sie. So fing es an.
Lange ging es auch so weiter, aber fünf Jahre nach der Gründung hatte die umsichtige Oberin, Schwester Maria Theresia Scherer, schon fünfzig Niederlassungen gegründet, in denen ihre Schwestern zum Wohl der Menschheit segensreich wirkten. Da gab es Kranken- und Waisenhäuser, Altersheime und Kindergärten, Taubstummen- und Blindenanstalten. Nicht nur in der Schweiz war es so, sondern in vielen Ländern: in Deutschland, Böhmen, Österreich, Italien, Ungarn, auf dem Balkan, in Amerika, in Indien und China. Hundert Jahre nach der Gründung zählte die Ordensgesellschaft, deren Mitglieder man die Kreuzschwestern nennt, tausend Caritasanstalten mit nahezu zehntausend Barmherzigen Schwestern, die sich im Dienst der Notleidenden aufopfern.
Ein weites Reich der Liebe ist es, das sich da vor unserem Blick auftut. Die Königin in diesem Reich der Liebe ist Maria Theresia Scherer, und die Untertanen sind die armen Leute, die Alten, die Kranken, die Waisen, die Krüppel, die Stummen, die Tauben, die Blinden, auch die Menschen in den Gefängnissen und in den Besserungsanstalten. Unübersehbar ist der Segen, der von den Kreuzschwestern ausgeht, und die Quelle des Segens ist das mütterliche Herz der hochedlen Frau Maria Theresia Scherer, die das große Werk der Barmherzigkeit unter unvorstellbaren Schwierigkeiten begann, ausführte und durchsetzte, bis sie am 16. Juni 1888 im Alter von dreiundsechzig Jahren nach einem reichgefüllten Leben im Dienst der christlichen Nächstenliebe starb.
Maria Theresia Scherer war also eine Königin im Reich der Liebe, und wie sie, so ist jede Barmherzige Schwester eine Königin im Reich der Liebe, selbst dann ist sie es, wenn ihr Reich nur aus einem einzigen Krankensaal besteht, denn alle Tage spendet sie mit königlicher Freigebigkeit den Pflegebefohlenen Liebe und Güte, und dafür wird ihr in dankbaren Menschenherzen ein Thron errichtet, und der liebe Gott wird ihr einst die Krone der Herrlichkeit schenken.
Maria Theresia Scherer wurde am 29. Oktober 1995 von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.