Der Tod macht alles gleich. Kein Vernünftiger zweifelt an dieser unumstrittenen Tatsache. Freilich, möchte man sagen, hat es der Tod um so leichter, alles gleich zu machen, je mehr das Leben bereits die allzu großen Gegensätze ausgleicht.
Es gibt wahrscheinlich wenig Männer, die durch ihre Stellung mehr voneinander verschieden waren und doch im Leben sich zu gemeinsamer Tätigkeit zusammenfanden, im Tod aber erst recht vereint waren, als Kaiser Leopold I. aus dem Habsburger Geschlecht und der arme und bescheidene Kapuziner Markus von Aviano. Der Geschichtskundige weiß, was Europa im 17. Jahrhundert dem gemeinsamen Zusammenarbeiten dieser zwei Männer zu verdanken hat, die ihrer Abstammung nach so weit getrennt zu sein schienen. Voll Ergriffenheit wird der Besucher der Kapuzinergruft in Wien sich bewusst, dass der Tod die beiden zusammengeführt hat – auch in ihren Särgen, da alle beide in ein und derselben Kirche, nur wenige Schritte voneinander entfernt, zur letzten Ruhe bestattet worden sind. Das Leben hatte sie geeint. Der Kaiser, geistvoll, gerecht und sittenrein, von hoher Auffassung seines Berufes, hatte es sich angelegen sein lassen zu lernen von der Frömmigkeit des ehrwürdigen Mannes in St.-Franzisci-Kleid und der arme Jünger des Heiligen von Assisi war wenigstens seiner Gesinnung nach und in seinen Erfolgen von der Vornehmheit eines Fürsten.
Marko d`Aviano war von Geburt ein Friauler, also aus dem Teil der Alpen stammend, in dem Italien und Kärnten zusammenstoßen. Gerade dieser von den Verkehrsadern der Welt abgelegene Winkel hatte anderthalb Jahrhunderte, ehe Marko oder wie er vorher hieß Karl Christophori seinen Eltern geschenkt wurde, 1631, bereits einen der würdigsten Vertreter der franziskanischen Familie erstehen lassen. Das war der berühmte Volksmissionar Bernhardin von Feltre (+ 28. September 1494), der große Freund der Armen, dessen erfinderische Liebe zu den Notleidenden ihn über dreißig Leihhäuser gründen ließ, wovon eines in Feltre noch heute existiert. Diese caritativen Leihanstalten und öffentlichen Kreditinstitute, „montes pietatis – Berge der Liebe“ genannt, pflegten den gleichen Gedanken, dem die heute so viel verbreiteten Darlehenskassen ihre Entstehung verdanken.
In dem jungen Karl Christophori reifte der Entschluss, sich auch zur Regel des heiligen Franziskus zu bekennen. Sein Eintritt in den Kapuzinerorden erfolgte nach Vollendung des 18. Lebensjahres. Der Novize nahm den Geist seines Ordensstifters begierig in sich auf. Von diesem hörte er, dass er das Unternehmen wagen wollte, dem Sultan zu predigen, um die fanatischen Söhne des Islams für die milde Botschaft des Kreuzes zu gewinnen. Darum war es auch der mit heißer Sehnsucht genährte Wunsch des Jüngers, ebenfalls zu den Mohammedanern ziehen zu dürfen. Doch musste der missionsbegeisterte Bruder Marko die Erfüllung seines Wunsches zu den Füßen des Altares als Opfer niederlegen. Die Oberen hatten andere Pläne mit ihm. Diese erstreckten sich zunächst auf ein weites Heimatmissionsfeld, dessen letzte Frucht und Krönung aber schließlich doch der Kampf gegen den erbittertsten Feind der Christenheit, den Halbmond, wurde.
Der junge Pater Markus verriet schon beim ersten Auftreten, 1665, als Fastenprediger ein ganz ungewöhnliches Predigertalent. Er sprach mit so hinreißender Begeisterung, dass die Zuhörer mit verhaltenem Atem und wie gebannt seinen Worten lauschten. Erschüttert brach das Volk in laute Bußrufe aus. Auffallende Bekehrungen ereigneten sich. In Jahren stillen, beschaulichen Lebens, wo Pater Marko zugleich beispielhaft als Oberer waltete, nährte er noch mehr das Feuer der Gottesliebe, das nachher seinem öffentlichen Wirken den außerordentlichen Erfolg verlieh. Der im heiligsten Sakrament gegenwärtige Gott zog ihn bei Tag und Nacht mächtig an. Hier schöpfte er auch jene Glut der Andacht, die sich bei der Darbringung des heiligen Messopfers so sichtbar zeigte, dass die Gläubigen seine Messe kurzweg die „englische“ nannten.
Mit der natürlichen Beredsamkeit und tiefen Frömmigkeit Pater Markos verband sich zu innigem Bund die göttliche Allmacht, die den bescheidenen Prediger als begnadigten Träger höherer Gaben erscheinen ließ. Diese Wunderkraft des Dieners Gottes war gewöhnlich an eine besondere Benediktion geknüpft. Er ermahnte das Volk zur Reue, betete ihm ein Reuegebet vor, das er laut nachsprechen ließ, und gab dann den Segen. Dieser enthielt in einfachen Worten die Bitte an Gott, den Empfänger gemäß seines Glaubens von allen Übeln befreien zu wollen. Die Wirkung des Segens war meist die, dass einige der weit hergebrachten Kranken gesund in die Heimat zurückkehren konnten. Merkwürdigerweise wirkte der Segen Markos auch in der Ferne. Von der ersten Wunderheilung (1676) an war sein ganzes Leben von übernatürlichen Ereignissen umspült. Wo er ging und weilte, entströmte seiner Segenshand eine heilende Kraft. Das ist vielfach eidlich bezeugt, urkundlich festgestellt durch die geistliche und weltliche Behörde. Gottes Güte und Barmherzigkeit hat sich in Marko d`Aviano ein mystisches Werkzeug geschaffen. Diese unleugbare Lebenseignung des Volksmissionars, die nicht übersehen werden darf, ist der Schlüssel zum Verständnis des einzigartigen, natürlicherweise unerklärlichen Einflusses des ehrfurchtgebietenden Mannes, der in der Sprache und Wunderkraft der alten Propheten über die Lande wandelte.
Das Aufsehen, das Marko durch seine Predigttätigkeit und seine Bekehrungen in fast allen Provinzen Italiens erregte, war Anlass zu seiner Berufung nach Deutschland. Herzog Karl Leopold von Lothringen, Statthalter von Tirol, und Prinz Maximilian Philipp von Bayern, der dem jungen Herzog Emanuel in der Führung der Regentschaft zur Seite stand, erbaten vom Papst selbst die Sendung Markos als Missionsprediger. Im Jahr 1680 zog nun der „weit beruffene“ Kapuzinerpater über die Alpen nach Innsbruck und am 13. Mai nach München. Die Kirchen waren dort völlig umlagert, die Zahl der Heilungen war erstaunlich. Von Kaiser Leopold gerufen, ging Marko über Salzburg und Passau nach Linz, wo das erste Zusammentreffen mit Leopold stattfand. Markos Tätigkeit brachte auch unter dem Hofpersonal eine auffallende Änderung hervor. Zahlreich drängte sich das Volk zu den Sakramenten. Der fromme Herrscher stellte sich von da ab ganz unter die Leitung des wie einen Vater geschätzten, heiligmäßigen Ordensmannes. Ein umfangreicher Briefwechsel, erst 1888 veröffentlicht, gibt Zeugnis von dem Bewusstsein der Verantwortlichkeit und dem Freimut des Kapuziners, wie von dem Vertrauen und der Freundesgesinnung des Kaisers.
Dem Wunsch von Bischöfen und Fürsten entsprechend reiste Marko donauaufwärts über Regensburg (3.-4. Oktober 1680) nach Neuburg an der Donau, wo die Schwiegereltern Leopolds I. weilten, dann über Eichstätt, Bamberg und Mainz nach Köln, von da über Koblenz und Würzburg wieder zurück nach Neuburg und Augsburg, wo er vom 16. bis 18. November sich befand. Überall dieselben Wirkungen und Begleiterscheinungen seiner Predigten, überall gegen seinen Willen begeisterte Ehrenerweisungen von Hoch und Nieder, denen er sich umsonst zu entziehen versuchte, überall Bekehrungen und auffallende „wundersame Begebenheiten“. In Augsburg wurden auf Befehl des Fürstbischofs die aufsehenerregenden Heilungen besonders genau und urkundlich fest- und sichergestellt. Der frühere Krankheitszustand der Geheilten wurde durch Zeugen und meist auch durch ärztliche Atteste erhärtet. Die Protokolle erschienen im Druck. Die Originale der gesammelten Zeugnisse sind noch in den Archiven von Augsburg und Neuburg an der Donau vorhanden.
Ganz merkwürdig ist, dass der Selige damals gezwungen war, italienisch zu predigen und sich eines Dolmetschers zu bedienen. Aber es schien, als ob durch die fremde Sprache der Erfolg seines Wortes nicht im Geringsten beeinträchtigt würde. „Da wiederholte sich das Pfingstwunder, dass die fremde Sprache alle verstehen, weil das Herz redet,“ sagt ein Gelehrter unserer Tage.
Das folgende Jahr, 1681, füllte eine Missionsreise durch Oberitalien, Frankreich und Belgien aus. Die Gemahlin des französischen Dauphin (Kronprinzen) selbst hatte den berühmten Kapuzinerprediger erbeten. Die Bewegung in den französischen Städten wie Lyon und Dijon war womöglich noch größer als in den deutschen. Aber König Ludwig XIV., dieser Erzfeind Deutschlands, der im geheimen Einvernehmen mit den Türken stand, fürchtete den einfachen Bettelmönch. Er ließ Markos Reise nahe der Hauptstadt jäh unterbrechen und ihn über die Grenze schaffen. In den belgischen Städten aber nahm seine apostolische Wanderung den Charakter eines eucharistischen Siegeszuges an. Die Zahl der Kommunionen stieg auf eine noch nie erreichte Höhe. Von Köln aus kehrte Pater Marko wieder heim nach Italien. Erst im Juni des folgenden Jahres 1682 sah er zum ersten Mal die Kaiserstadt Wien. Er kam im päpstlichen Auftrag, um zu der sicheren Durchführung des Türkenkrieges eine Einigung zwischen dem Kaiser und Ludwig XIV. zu erzielen. Die Unterhandlungen scheiterten an der französischen Raubgier. Gewaltig war aber wieder der religiöse Erfolg. Kaum dass die vielen Beichtväter dem Zudrang des bußfertigen Volkes genügen konnten. Im prophetischen Geist rief der große Bußprediger einmal auf öffentlichem Platz in Gegenwart des Kaisers der Menge zu: „O Wien, Wien! Deine Liebe zum freien Leben hat dir eine schwere und baldige Züchtigung bereitet. Ändere deine Sitten und siehe wohl zu, was du tust! Du unglückseliges Wien!“
Und die harte Züchtigung kam, das denkwürdige Jahr 1682, in menschlicher Sprechweise aber auch das glorreichste im Leben des seligen Markos d`Aviano. Wie eine alles verheerende Hochflut war der Türke in Europa eingedrungen, mit keinem geringeren Plan beschäftigt, als das Abendland unter seine Zwingherrschaft zu beugen und dadurch das Christentum zu vernichten. Wäre damals den Türken ihr Vorhaben gelungen, so würde sich ein namenloses seelisches Elend über die deutschen Lande gelagert haben, die Versklavung hätte uns in Ketten geschlagen, der eine dumpfe Verzweiflung, eine Nimmerwiedererhebung hätte folgen können. Doch wendete in Gnaden der Allgütige das Unheil und bediente sich hierzu des demütigen Ordensmannes, dessen Namen und Einfluss er für diese weltgeschichtliche Tat bereitet und großgemacht hatte.
Als die Türkengefahr immer mehr wuchs und immer dringlichere Schreiben des Kaisers an Pater Marko, der in Italien weilte, ergingen, ernannte Innozenz XI. den Kapuziner am 14. August zum apostolischen Legaten beim christlichen Heer. Am 7. September traf im Lager von Tulln die Hilfsmannschaft des Papstes ein, „zwar einer nur, aber dennoch eine Mannschaft, der Kapuzinerbruder Marko dÀviano“, wie ein neuerer Geschichtsschreiber sich ausdrückt.
Die erste verdienstvolle Tat Pater Markos zur Herbeiführung der Entscheidung war die, dass er die christlichen Fürsten, den Polenkönig Sobieski, die Herzöge von Lothringen, von Bayern und die übrigen maßgebenden Männer von der Größe der Gefahr überzeugte, die noch nicht von allen in ihrer ganzen Furchtbarkeit erkannt worden war, und dass er dadurch im Kriegsrat den sofortigen Vormarsch gegen das von den Türken bereits eingeschlossene Wien durchsetzte. So wurde der Entsatz um mindestens zehn Tage beschleunigt, wo vielleicht ein Zaudern von nur fünf Tagen den Fall der Stadt schon hätte ermöglichen können. Ein zweites und vielleicht das weittragendste Verdienst des umsichtigen Mannes war es, dass er trotz mehrfacher Anfragen, entgegen dem Wunsch des Kaisers, diesem nicht riet, ja ihn abhielt, zum Heer zu kommen. So blieb Sobieski, dessen Eifersucht schon wachgerufen war, der Oberkommandierende. Marko hatte sofort die große Gefahr der Uneinigkeit der Führer des viel kleineren christlichen Heeres erkannt. Sein Verdienst ist es, diese Gefahr gebannt zu haben.
Die Entscheidung nahte. Der große Tag des 12. September 1683, einer der ruhmreichsten der Welt- und Kirchengeschichte, zog herauf und rötete die Höhen des Kahlenberges, an dem seit gestern das christliche Entsatzheer Stand gefasst hatte. Raketen über Raketen waren in der Nacht vom Stephansturm in Wien aufgestiegen, die Größe der Not zu künden. Es gab kein Entrinnen mehr aus der Umklammerung der Türkenhand, wenn nicht Hilfe von außen kam. Nun stand sie oben. Vom Kahlenberg aus wurde die Not gewendet. Der selige Marko d`Aviano, der Mann der Vorsehung, der Vermittler des göttlichen Schutzes, der mystische Träger himmlischen Segens und übernatürlicher Kraft, zugleich auch Gesandter und Vertreter des geistlichen und weltlichen Oberhauptes der Christenheit, des Papstes und Kaisers, der Priester des Herrn las am frühen Morgen vor den Feldherren die heilige Messe. Der Polenkönig diente dabei. Dann richtete Marko noch eine letzte flammende Aufforderung an die Führer zum Vertrauen auf Gott unter dem Schlachtruf: Jesus! Maria! Dann gab er der Armee den Segen, jenen so wirksamen Segen, an den Gott schon so oft Heil und Hilfe aus Leid sichtbarlich gebunden, den Tausende von Bedrängten mit heiliger Begierde schon gesucht und gefangen hatten. Der Kampf begann. Von Schar zu Schar eilte der starke Held, betend vor dem Angesicht aller und sie segnend, mit dem Zeichen des gekreuzigten Erlösers in der Hand. Am Abend war Wien gerettet, ein glänzender Sieg ohne allzu viele Verluste errungen. Über Hals und Kopf flohen die Türken. Die ganze Christenheit konnte wieder frei aufatmen, von sechshundertjährigem Druck der Feindesmacht befreit. Die abendländische Kultur war gerettet.
Wem ist Rettung und Sieg zu verdanken? König Sobieski, der oberste Heerführer, hat die einmütige Anschauung von Fürst und Volk ausgesprochen in dem Dankwort an Marko d`Aviano, dem „wahrhaft heiligen Mann“: „Ihr Segen und Ihr Beistand hat uns einen großen Sieg verschafft.“ Er aber suchte jeder Anerkennung auszuweichen, zog sich in das Kapuzinerkloster und sobald als möglich in die Heimat zurück. Auch in den kommenden Jahren bis 1688 musste Pater Marko als päpstlicher Legat das Heer des Kaisers begleiten, das die Aufgabe hatte, die türkische Macht aus Europa hinauszudrängen. Auch später kam er noch bisweilen in wichtigen Angelegenheiten an den kaiserlichen Hof, ließ sich aber nie für länger binden. Inmitten aller Geschäfte blieb Marco der „immer höchst demütige“ und stets den Oberen gehorsame Ordensmann, an dem nie die leiseste Makel von Ehrgeiz oder Eigennutz haften blieb. Und darin besteht seine ganze Größe, „das ist das größte Wunder“, das die Zeitgenossen an ihm rühmten.
Gott fügt es, dass sein ergebener Diener in Wien, das ihm so sehr am Herzen lag, das ihm alles verdankte, sein bewegtes Leben schließen sollte. Kaiser Leopold und seine Gemahlin knieten am Lager ihres Freundes und Wohltäters, als er am 13. August 1699 zur ewigen Ruhe entschlummerte.
Am 27. April 2003 erfolgte die Seligsprechung durch Papst Johannes Paul II. Das Fest Mariä Namen, am 12. September, hält die dankbare Erinnerung an den Tag der glorreichen Befreiung vom drohenden Joch des Islams für alle Zeiten fest.
Der Heilige Geist selber rühmt die Wohltäter und Retter des Volkes Gottes: „Er (Samuel) rief den allmächtigen Herrn an, als die Feinde allenthalben drängten zum Streit. Und der Herr rief auf die Fürsten und Heerführer (der Feinde) alle. Und da sein Leben zu Ende war und er aus der Welt schied, legte er das Zeugnis ab, kein Geld, ja nicht einmal einen Schuh angenommen zu haben.“