Die heilige Marzellina mit ihren beiden heiligen Brüdern Ambrosius und Satyrus
Von dem Feuer heiliger Begeisterung für ein strenges, aszetisches, klösterliches Leben, das zuerst in Ägypten entfacht worden war, wurden durch den heiligen Athanasius von Alexandrien, als er 341 nach Rom flüchten musste, zündende Funken ins Abendland getragen. Wie auf eine neue Offenbarung lauschte man auf seine Kunde von dem Einsiedler Antonius und den Klöstern des Pachomius (siehe 9. Mai). Die vornehme Römerin Marzella weihte als erste dem klösterlichen Ideal ihr Leben. Fast gleichzeitig nahm die Schwester des heiligen Ambrosius, Marzellina, aus der Hand des Papstes Liberius den Schleier: das erste uns bekannte Beispiel einer öffentlichen, kirchlichen Gelübdeablegung. Von Rom sprang der gottgeborene Funke auf Oberitalien über, wo Ambrosius ihn zu mächtigen Flammen entfachte. In einer Vorstadt Mailands errichtete er ein Frauenkloster nach morgenländischen Vorbildern, wie er auch von den Jungfrauen aus Bononia (Bologna), die zu ihm gekommen waren, lobend erzählt, dass sie, „den Weltfreuden entsagend, in einem gottgeweihten Jungfrauenheim Wohnung genommen hätten; nicht zu geschlechtlichem, sondern zu keuschem Zusammenleben seien sie aufgebrochen, gegen zwanzig an Zahl und hundertfältig an Frucht, hätten sie ihr elterliches Heim verlassen, um in den Zelten Christi zu weilen als unentwegte Streiterinnen der Keuschheit. Bald erschalle ihre Stimme in geistlichen Gesängen, bald mühten sie sich um des Lebens Unterhalt oder sähen sich mit ihrer Hände Arbeit um Mittel zur Ausübung der Freigebigkeit um“. In vier seiner Schriften, in den „Drei Büchern über die Jungfrauen an die Schwester Marzellina“ und in der Rechtfertigungsschrift „Über die Jungfräulichkeit“ können wir noch heute des großen Kirchenlehrers Begeisterung für den jungfräulichen Stand wie seine hinreißende Beredsamkeit bewundern.
Marzellina wurde dem Präfekten von Gallien, Ambrosius, in Rom geboren, während ihre beiden heiligen Brüder Ambrosius und Satyrus am Sitz des Präfekten in Trier das Licht der Sonne erblickten. Sie war um zehn Jahre älter als der spätere Bischof von Mailand, der sie nicht anders als seine „heilige und jungfräulich ehrwürdige Schwester“ nennt. Entgegen dem damaligen Gebrauch, die heilige Taufe auf das reifere Alter zu verschieben, wurde sie frühzeitig getauft, gleichsam als Erstlingsopfer von ihren Eltern Gott geweiht und in die Geheimnisse der christlichen Religion eingeführt. Ohne sich den Liebeswerken gegen ihre Familie zu entziehen, lebte Marzellina ganz der Liebe des Gekreuzigten. Sie wachte an der Wiege des Ambrosius und sie war es, die ihm in allen Gefahren der Jugend beistand.
Die Liebe zu Gott und die Sehnsucht nach innigster Vereinigung mit ihm ließen dieser edlen christlichen Jungfrau das Mittel als das beste erscheinen, das nach ihr so viele gottbegeisterte Seelen sich zu eigen machten, um in ungestörtem Nachdenken vor Gott sich Klarheit über den Beruf und die Zielrichtung ihres Lebens zu verschaffen. Sie zog sich für einige Zeit in ein Landhaus zurück, in die Einsamkeit, zu Exerzitien, wie wir heute uns ausdrücken würden. Und Gott sprach zu ihr. Eine heilige Martyrin aus ihrer eigenen Familie wurde ihr als „Novizenmeisterin“ bestellt. Ambrosius schrieb später über diese Zeit der Sammlung und Einkehr: „Als du auf dem Land weiltest, hattest du niemand, der dich unterrichtete, keine Jungfrau als Gefährtin, keinen Lehrer, der dich unterwies. Die heilige Sotheris (Gestorben 304, Fest am 10. Februar) hat dir diesen Entschluss in die Seele gelegt. Du hast dich, liebe Schwester, nicht als ihre Schülerin, sondern vielmehr als Erbin ihrer Tugend erwiesen! Da du keine Hoffnung hattest, dieser Verwandten im Martyrium nachzufolgen, hast du von ihr doch das Erbe der Keuschheit erhalten.“
Marzellina, die damals noch unter der Obhut ihrer Eltern sich befand, also bei diesen an den Ufern der Mosel weilte, begab sich nun, in Ausführung ihres Entschlusses, ganz der Welt zu entsagen, von Trier nach Rom. Am Weihnachtsfest 333 weihte sie Papst Liberius als Gott einzig zugehörige Jungfrau ein. Der heilige Ambrosius hat uns die Ansprache des Stellvertreters Christi bei dieser Professfeier mitgeteilt. „Nach einer guten Vermählung ging, o Tochter, dein Verlangen“, so sprach er. „Siehst du, wie zahlreich das Volk zum Geburtstag des Bräutigams sich eingefunden hat? Wie niemand unbefriedigt von diesem Gastmahl hinweggeht? Er ist es, der zur Hochzeit geladen, Wasser in Wein verwandelte. Er wird auch dir das reine Geheimnis des jungfräulichen Lebens verleihen, nachdem du bis jetzt der niedrigen Knechtschaft der irdischen Natur unterworfen warst. Er ist es, der mit fünf Broten und zwei Fischen viertausend des Volkes in der Wüste gespeist hat. Er hätte noch mehr zu speisen vermocht. So hat er denn auch heute zu deiner Vermählung eine größere Anzahl gerufen. Doch nicht mehr Gerstenbrot, sondern ein himmlischer Leib gelangt zur Austeilung.“ Die Profess, die „Vermählung“ der christlichen Jungfrau mit ihrem „Bräutigam“ Christus wurde also von Anfang an unter dem Empfang des heiligsten Sakramentes gefeiert. Wie überzeugend stärkt der Hohepriester den Glauben der Jungfrau an die Gottheit ihres Geliebten! „Seiner menschlichen Natur nach zwar als Mensch am heutigen Tag aus der Jungfrau geboren, ist er doch Gott von Gott, Gerechtigkeit vom Vater, Kraft vom Mächtigen, Licht vom Licht, nicht ungleich dem Vater, nicht verschieden davon an Macht . . . Er nun ist dein Bruder, ohne den nichts besteht, das gütige Wort des Vaters, das, wie es heißt, am Anfang war. Da hast du seine Ewigkeit. Und es war, heißt es weiter, beim Vater. Da hast du seine vom Vater nicht unterschiedliche und unteilbare Macht. Und Gott war das Wort. Da hast du seine ungezeugte Gottheit. Ihn liebe, Tochter, denn er ist gut. Er ist des Vaters Arm, weil Schöpfer des Alls, des Vaters Weisheit, weil aus Gottes Mund hervorgegangen . . . Des vollkommenen Vaters vollkommener Sohn ist er. So liebe den, den der Vater liebt! Ehre den, den der Vater ehrt! Denn wer den Sohn nicht ehrt, ehrt auch den Vater nicht.“ So ließ der päpstliche Redner die dem Herrn sich weihende Jungfrau Kraft aus dem Glauben schöpfen. Da ihre Jugend Besorgnis erregen könnte, mahnte er sie dann an Enthaltsamkeit und Mäßigkeit in Speise und Trank, an Zurückgezogenheit und Vermeidung häufiger Besuche, an Behutsamkeit und Schweigsamkeit, um den „schönsten Schmuck der Jugend, die Schamhaftigkeit, zu bewahren. Etwas gar Großes ist es um die Tugend der Schweigsamkeit, zumal in der Kirche! Halt dich still, dass du nicht sündigst!“
Der ernsten Mahnung des heiligen Lehrers entsprach vollkommen das Leben der gottgeweihten Jungfrau. Als der fünfzehnjährige Ambrosius nach dem Tod des Vaters mit der Mutter nach Rom kam und seine Schwester wiedersah, angetan mit einer groben, dunkelfarbigen Tunika, mit wollenem Gürtel und gewöhnlichen Lederschuhen, war er von ihrem Anblick ganz überrascht. „Man sah sie geraume Zeit hinbringen,“ schrieb er später, „ohne dass sie aß und trank, weder bei Tag noch bei Nacht. Die Nächte verbrachte sie mit frommer Lesung; wenn man sie bat das Buch beiseite zu legen, um etwas zu sich zu nehmen, erwiderte sie: „Ihr wisst ja, dass der Mensch nicht allein vom Brot lebt, sondern vom Wort Gottes.“ Während ihres ununterbrochenen Gebetes flossen häufige Tränen. Oft wiederholte sie ihren Brüdern, nicht der Reichtum der Welt, sondern die Tugend mache reich. Der Adel des Geschlechtes sei kein Verdienst vor Gott, sondern nur gute Werke könnten ein solches schaffen. Die Unterweisungen und das Beispiel heldenmütigen Eifers im Tugendstreben machten auf Ambrosius einen solchen Eindruck, dass er ihn sein ganzes Leben hindurch nicht mehr aus dem Sinn verlor. Wie bescheiden schreibt er in seinem Buch über die Jungfrauen: „Hier ist das Geschenk, das euch ein Priester anbietet, der vor kaum drei Jahren geweiht und der mehr durch den Anblick eurer frommen Lebensweise als durch seine Erfahrung belehrt worden ist. Wenn ihr da einige Blumen findet, so pflückt sie; denn sie sind aus eurem Garten genommen. Es sind dies nicht Vorschriften für Jungfrauen, sondern Beispiele von Jungfrauen. Was immer aus diesem Buch euch anduftet, ist euer; denn ihr habt es meinem Geist eingehaucht.“ Seiner Schwester aber widmet er nach Anführung der Ansprache des heiligen Liberius das schöne Wort: „Du hast nicht nur jene sittliche Anforderung kraft deiner Tugend voll eingelöst, sondern durch deinen Wetteifer auch übertroffen!“
Marzellina lebte so in aller Zurückgezogenheit. Da erleidet ihr geliebter Bruder Satyrus auf einer Reise Schiffbruch und wird todkrank nach Mailand gebracht. Auch Ambrosius erkrankt vor Leid und Bitterkeit. Jetzt eilt die Schwester, die wohl weiß, dass die Betätigung christlicher Nächsten- und Geschwisterliebe bester Dienst Gottes sei, sofort herbei, die Brüder zu pflegen. Satyrus starb. Wie ergreifend und rührend ist die Trauer der liebenden Geschwister! Am Sarg des toten Bruders klagt Ambrosius in seiner Trauerrede: „Es bleibt mir unsere heilige Schwester, eine reine und ehrwürdige Jungfrau von derselben Unschuld wie du, die in dir ebenso sehr wie ich das ganze Glück unseres Daseins erkannte. Wir hatten nur einen Wunsch und wir fürchteten nichts so sehr, als ohne dich hienieden zurückbleiben zu müssen . . . Fortan wird sie (Marzellina) keine andere Zuflucht mehr haben als dein Grab, kein anderes Haus als die Gruft, in der dein Leichnam ruht. Sie wird sich an ihrer Trauer nähren und von ihren Tränen leben . . . Ich werde wenigstens durch die Pflichten meines Amtes zerstreut, aber was wird aus unserer Schwester werden? . . . Ihr Schluchzen wird erstickt werden, sobald sie von dir spricht, und wird aufs Neue laut werden, wenn sie für dich betet. Du allein wirst imstande sein sie zu trösten . . . Von dir wird sie lernen, dich nicht zu sehr zu betrauern, weil du sie deiner Glückseligkeit versichern wirst.“
Wie innig mischen sich doch in den Herzen der heiligen Geschwister die Trauer über den Tod ihres edlen Bruders mit glaubensvoller Ergebung und heiliger Liebe! So sind die Heiligen. Wenn sie sich Gott weihen, werden sie ihrer Familie nicht fremd. Nur reiner, geläuterter und stärker wird die Liebe zu ihren Angehörigen. Selbst an den Sorgen des bischöflichen Bruders um kirchliche Angelegenheiten nimmt die zartfühlende Marzellina Anteil. Der „Frau Schwester, die mir treuer ist als mein Leben und meine Augen“, schreibt einmal Ambrosius: „Du hast dich gewürdigt mir zu schreiben, dass deine Heiligkeit um mich bekümmert ist, weil ich dir geschrieben habe, dass ich bekümmert sei.“ O mehr himmlischer als irdischer Verkehr zweier gottliebenden Seelen! Da atmet nichts mehr Fleisch und Blut, sondern nur alles echte Tugend!
Marzellina durfte auch ihrem zweiten Bruder noch die Augen schließen und erst nach ihm der Vollendung entgegeneilen.
„Die Jungfräulichkeit offenbare sich zuerst im Siegel (Schweigsamkeit) der Zunge. Schamhaftigkeit schließe den Mund, Frömmigkeit wehre der Schwäche, Gewöhnung stähle die Natur! Ihr gesetztes Wesen zeige die Jungfrau an: züchtig im Auftreten, gemessen im Schritt, ehrbar im Blick!“ So der heilige Papst Liberius (+ 23. September 366).