Da saß einmal einer an der Zollstätte. Der Mann hieß Matthäus, und die Zollstätte befand sich in oder bei Kapharnaum am See Genezareth.
Was ist denn eine Zollstätte? Eine Zollstätte war ein Büro, wo die Leute die Steuern bezahlten. Heute würde man Finanzamt sagen, und da mag man nun alle, die man kennt, Verwandte und Bekannte, fragen, nicht einen wird man finden, der für das Finanzamt etwas übrig hat, denn Steuern bezahlt niemand gern. So war es zur Zeit, da der Heiland auf Erden weilte, auch. Damals war es jedoch noch eher schlimmer als heute, denn die Angestellten auf unseren Finanzämtern sind pflichttreue Leute, zur Zeit Christi aber waren die Steuereinnehmer oder Zöllner, wie man sie auch nannte, vielfach unredlich und dazu regelrechte Beutelschneider, die, weil sie von den römischen Besatzungsbehörden weiter nicht beaufsichtigt wurden, den Bürgern und Bauern mehr Abgaben aufhalsten, als sie eigentlich zahlen mussten, und diesen ungerechten Aufschlag ließen dann die Zöllner in die eigene Tasche fließen. So wurden die Steuerpächter zwar schnell reich, aber ihr Ruf im Volk war der denkbar schlechteste. Man nannte sie Blutsauger, und größtenteils waren sie es auch. Es war eine ausgesprochen schlechte Gesellschaft.
Zu dieser Gesellschaft gehörte auch Matthäus. Er braucht deswegen nicht von vornherein als ein schlechter Mensch zu gelten, seine Berufung zum Apostelamt und seine spätere Bewährung im Martertod deuten eher auf das Gegenteil hin, aber auf alle Fälle klebt an seinem Namen der Flecken eines übelbeleumundeten Berufes.
Da saß also Matthäus wieder einmal eines Tages in seinem Büro bei offenem Fenster, durch das warm die Frühlingssonne schien, am Schreibtisch, prüfte die Steuerlisten und zählte das Geld in der Kasse, aber das Herz war nicht bei dem, was er trieb. Seit er drüben am Jordan den Mann, der sich von Heuschrecken und wildem Honig nährte, gesehen und seinen schwerwiegenden Worten von der Axt gelauscht hatte, die schon an der Wurzel der Bäume liege, und von der Schaufel, die bald die Tenne säubere, wobei der Weizen in die Scheune gebracht und die Spreu in einem unauslöschlichen Feuer verbrannt werde, seitdem der geldsatte Steuereinnehmer Matthäus das gehört hatte, war er zwiespältigen Sinnes geworden, und als er vor kurzem erst denjenigen gesehen, herrlich und her, dessen Kommen die Stimme des Rufenden in der Wüste angezeigt hatte, war es vollends um die innere Ruhe und bisherige Selbstsicherheit geschehen. Was sollte er tun? Auf der einen Seite das einträgliche Geschäft, das Schlösschen am See, Kleider von Samt und Seide, feine Mahlzeiten, perlender Wein, rauschende Feste bei Gesang und Tanz und auf der anderen Seite – Matthäus sah sehr klar und scharf -, auf der anderen Seite das Himmelreich. Was sollte er doch nur tun?
Sinnend erhob bei diesem Gedanken der Zöllner das Haupt, und da sah er draußen im Fensterrahmen ihn, den Einzigen, um den sich letztlich sein Wägen und Wählen drehte, und Jesus schaute ihn an – oh, was muss das für ein Blick gewesen sein, dieser Heilandsblick! – und dann sprach Jesus zu dem Staunenden die gnadenvollen Worte: „Du! Komm! Folge mir nach!“ Und sogleich stand Matthäus auf, ließ Geld und Geschäft und das Schlösschen am See und alles, was sein Leben bisher schön und angenehm gemacht hatte, im Stich und folgte dem Herrn nach.
Es gibt einen nachdenklichen lateinischen Spruch, der heißt: „Time Jesum transeuntem“, auf deutsch: „Fürchte Jesus, wenn er vorübergeht.“ Das will sagen, dass man vor dem Heiland trotz seiner unendlichen Güte Furcht haben muss, wenn man einen Gnadenblick von ihm, den er im Vorübergehen zuwirft, nicht auffängt und festhält.
Was wäre wohl aus Matthäus geworden, wenn er damals an der Zollstätte den Blick und das Wort des Herrn unbeachtet gelassen hätte? Die Freiheit dazu hatte er. Weil er aber die Gnade Gottes erfasste und bereitwillig annahm, deshalb wurde er einer aus der glorreichen Zwölfzahl, der, anstatt Steuern einzuziehen, Seelen rettete, der, anstatt Listen zu führen, das erste Evangelium, das seinen Namen trägt, schreiben durfte, der anstatt Geld sich unvergänglichen Ruhm erwarb, der, anstatt auf einer berüchtigten Zollbank zu enden, für immer einen der zwölf ersten Throne im Himmel einnimmt.
„O Herr“, so heißt es in der heutigen Festmesse, „du kröntest sein Haupt mit einer Krone von Edelstein. Leben erbat er sich von dir, und du schenktest es ihm.“