Der heilige Odilo oder Olo stammte aus der edlen Familie der Mercoeur, einer der berühmtesten in der Auvergne in Frankreich. Schon von Kindheit an zeigte er eine besondere Frömmigkeit, die von Tag zu Tag zunahm.
Als Odilo das Alter erreicht hatte, wo er sich seinen Stand selbst wählen konnte, trat er in das berühmte Benediktinerkloster Clugny ein und empfing aus den Händen des Abtes Majolus das Ordenskleid. Majolus nahm 991 Odilo zu seinem Gehilfen in der Leitung des Klosters, obgleich der junge Ordensmann damals erst 29 Jahre alt war. 3 Jahre danach starb Majolus, und die Leitung des Klosters wurde Odilo allein übertragen. Früh schon hatte sich der heilige Abt mit der Betrachtung himmlischer Dinge so vertraut gemacht, dass nützliche äußere Unterhaltung und notwendiger Verkehr mit der Welt die Sammlung seines Geistes nicht zu stören vermochten. Odilo hatte eine zärtliche Liebe zur seligsten Jungfrau Maria und eine ganz besondere Andacht zum Geheimnis der heiligen Menschwerdung des Herrn. Wenn im Te Deum vom Sohn Gottes der Vers gesungen wurde: Du hast, um die Menschen zu erlösen, den Schoß der Jungfrau nicht gescheut, wurde er von den lebhaftesten Gefühlen der göttlichen Liebe durchdrungen und geriet einstmals sogar in heilige Entzückung. Oft vergoss er während des Gebetes reichliche Tränen, denn er besaß im hohen Grad jenen Geist der Buße und Zerknirschung, dessen Frucht solche Tränen zu sein pflegen. Strenges Fasten, ein raues Bußkleid, eine eiserne Kette mit kleinen Stacheln wandte er an, um seinen Leib zu züchtigen und in Dienstbarkeit zu bringen. Gegen andere aber war Odilo so voll der Güte und Sanftmut, dass man ihm wegen des Übermaßes derselben Vorwürfe machte. Er aber antwortete: Ich will lieber wegen der Barmherzigkeit barmherzig gerichtet werden, als wegen Hartherzigkeit ohne Erbarmen verdammt.
Der Ruf der Heiligkeit Odilos drang bald in weite Fernen. Die alte fromme Kaiserin, die heilige Adelheid, verlangte daher sehnlichst, ihn vor ihrem Tod noch zu sehen. Dieser Wunsch wurde ihr 999 auf dem Schloss Orbe gewährt. Die Heilige weinte vor Freude, als sie den Diener Gottes erblickte, sie küsste voll Ehrfurcht sein Gewand und sagte, nun werde sie bald sterben, wie es auch wirklich geschehen ist. Auch ein recht armseliger Aussätziger, der wegen seiner ansteckenden Krankheit abgesondert wohnen musste, hatte ein großes Verlangen, mit Odilo zu sprechen, und der Heilige weigerte sich nicht, sondern, während der elendste Bettler Scheu hatte, mit dem Aussätzigen in Berührung zu kommen, ging er furchtlos zu ihm hin, küsste ihn und ließ sich mit ihm in ein langes Gespräch ein.
Als der heilige Kaiser Heinrich II. 1014 nach Rom zog, um sich krönen zu lassen, nahm er auch Odilo mit. Nach der Krönung erhielt der Kaiser vom Papst einen goldenen Apfel, der mit zwei Reihen Edelsteinen besetzt war, und ein goldenes Kreuz. Er nahm es mit Freuden an und schickte es bald darauf dem Kloster Clugny zum Geschenk. Odilo benützte diese Reise, um seiner Verehrung gegen den heiligen Benedikt genug zu tun, indem er das Stammkloster des Ordens, Monte Cassino, besuchte. Dort bat er sich die Gnade aus, der ganzen Ordensgemeinde die Füße küssen zu dürfen. Als er nach Clugny zurückgekommen war, zog auch Kaiser Heinrich da vorüber und kehrte im Kloster ein und wohnte den gemeinschaftlichen Gebeten bei.
Der Verkehr mit den Großen der Erde vermochte der Demut Odilos nichts anzuhaben, und hätte man daran zweifeln können, so wurde es klar, als er sich 1031 standhaft weigerte, die Würde eines Erzbischofs von Lyon anzunehmen. Ebensowenig konnten seine Reisen der Liebe zur Einsamkeit Abbruch tun, weil er sie nur unternahm, wenn die Liebe des Nächsten ihn dazu nötigte, sei es, dass er in verschiedenen Häusern seines Ordens, die von der ursprünglichen Heiligkeit ihrer Stiftung abgewichen waren, eine Verbesserung einführen, sei es, dass er anderen Unglücklichen zu Hilfe kommen wollte. Der sein Leben beschrieben hat, sagt, der heilige Odilo sei gewesen der Stab der Blinden, die Speise der Hungrigen, die Hoffnung der Elenden, der Trost der Traurigen, und eine unbeschreibliche Barmherzigkeit und Freude, anderen wohlzutun, sei bei ihm allezeit gewesen. Einmal zur Zeit einer Hungersnot, 1016, fand Odilo an der Landstraße zwei nackte Kinder liegen, gestorben vor Hunger und Kälte. Er stieg vom Pferd, hüllte die Leichname der Kinder in sein Oberkleid und suchte ums. Geld einige Leute, die ihm die Kleinen begraben halfen; dann erst setzte er seine Reise fort. Wie der heilige Martin dem nackten Bettler die Hälfte seines Kleides schenkte, so schenkte der heilige Odilo sein ganzes Kleid den Toten. Die Hungersnot dauerte lange Zeit, und Odilo, unerschöpflich in Almosen, hatte allen Vorrat erschöpft; er ließ also, um den leidenden Gliedern Jesu Christi Hilfe leisten zu können, selbst die heiligen Kirchengefäße einschmelzen und auch die kostbaren Geschenke verkaufen, die Kaiser Heinrich der Kirche von Clugny gemacht hatte. Als schließlich alles nicht mehr reichen wollte, zog er hinaus und predigte überall denjenigen, die noch etwas besaßen, zu geben, und trieb so das edelste Betteln, das es gibt, das Betteln für den Mitmenschen.
Es steht geschrieben: Wer sich des Armen erbarmt, leiht dem Herrn auf Zinsen; er wird es ihm vergelten (Spr 19,17). Gewöhnlichen Menschen zahlt Gott oft mit zeitlichem Glück und Segen; recht heiligmäßigen Seelen aber schenkt er am liebsten die kostbare Perle der Leiden, die eine so unermessliche Herrlichkeit im Himmel einträgt. So hielt er es mit Odilo und suchte ihn die letzten fünf Jahre seines Lebens mit sehr schmerzlichen Krankheiten heim. Allein der Heilige blieb sich immer gleich und litt als ein wahrer Jünger des Kreuzes. Er machte eine Wallfahrt nach Rom zu den Gräbern der heiligen Apostel Petrus und Paulus, aber nicht um durch ihre Fürbitte geheilt zu werden, sondern um dort unter ihrem Beistand selig zu sterben. In Rom lag er vier Monate krank darnieder; aber anstatt zu sterben wurde er wieder gesund und kehrte nach Clugny zurück. Hier brachte er fast ein ganzes Jahr in strengem Fasten, Wachen und Beten zu, soweit dies die Schwäche eines 86jährigen Greises gestattete.
Odilo wollte mitten in der Arbeit sterben. Obwohl er sein nahes Ende vorhergesagt hatte, machte er sich noch einmal auf, die übrigen Klöster, die ihm unterstellt waren, zu besuchen und den Brüdern als sterbender Vater die letzten Worte der Ermahnung zu sprechen. Da er nun im Advent nach Souvigny gekommen war und dem Volk über die Ankunft des Heilandes gepredigt hatte, befielen ihn wieder seine heftigen Schmerzen, und diesmal in tödlicher Weise. Nachdem er die heiligen Sakramente verlangt und empfangen hatte, ließ er sich in die Kirche tragen und schloss dort ruhig die Augen und verschied in Frieden auf einem mit Asche bestreuten Bußkleid 1049. Odilo war 56 Jahre Abt gewesen und starb im 87. Jahr seines Alters.
Die Lebensgeschichte des heiligen Odilo erzählt auch viele Wunder. Wir wollen aber stattdessen hier noch auf zwei seiner besonderen Liebeswerke aufmerksam machen. Zu Odilos Zeiten waren Raub und Mord noch sehr verbreitet, und jeder Edelmann glaubte sich berechtigt, mit gewaffneter Hand seine besonderen Streitigkeiten zu schlichten. Dagegen wurde der sogenannte Gottesfriede eingeführt, nach welchem die Klöster für alle als Freistätten gelten mussten, jene ausgenommen, die selbst den Gottesfrieden verletzt hatten; und von Mittwoch bis Montagmorgen durfte gegen niemand Gewalt geübt werden, auch nicht unter dem Vorwand, wegen erlittener Unbilden sich Recht zu verschaffen. Gegen diesen Gottesfrieden erhoben sich mächtige Schwierigkeiten; aber den vereinten Bemühungen des heiligen Odilo und des gottseligen Richard, Abt von Vannes, gelang es, ihn an vielen Orten einzuführen.
Ein anderes Liebeswerk des heiligen Odilo gilt den Armen Seelen im Fegfeuer. Er führte in allen seinen Klöstern den Allerseelentag ein und feierte ihn durch Almosen, Gebete und Messopfer für die Verstorbenen. Wie sehr die Kirche das billigte, hat sie bewiesen, indem sie später diese Erinnerungsfeier allgemein einführte. Beginnen also auch wir das neue Jahr, in das uns der Tag des heiligen Odilo einführt, nach seinem Beispiel mit Gebet und einem namhaften Almosen für Lebendige und Verstorbene.