„Alles gehört allen.“ Wie oft kann man in unseren Tagen dieses Losungswort hören! Doch was Selbstsucht und Habsucht, äußeres Gesetz und Zwang nimmer in die Tat umzusetzen vermögen, hat die christliche Liebe, die innerlich einigende und äußerlich ausgleichende, in der Urkirche zustande gebracht. Alle Gläubigen waren nicht bloß innerlich „ein Herz und eine Seele“, sondern hatten auch äußerlich „alles miteinander gemeinsam“, so dass „kein Dürftiger unter ihnen war“. Denn wer über Besitztum verfügte, „verkaufte es und brachte den Erlös des Verkauften herbei und legte ihn den Aposteln zu Füßen. Und es ward jedem zugeteilt nach dem Grad seiner Dürftigkeit“ (Apg 4,32-35). Als aber die Zahl der Gläubigen sich gemehrt und die Gemeinde sich verbreitet hatte, erforderte die Gabenverteilung viele Mühe und Zeit. Die Apostel selbst konnten daher dieselbe nicht mehr besorgen, ohne an ihrer eigentlichen Berufstätigkeit, der Verkündigung des Reiches Gottes, gehindert zu werden. „Das Reich Gottes ist ja nicht Speise und Trank, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Röm 14,17). Dazu entstand ein Murren der Hellenisten, d.i. der unter den Heiden lebenden Judenchristen, gegen die einheimischen Christen in Palästina, dass ihre Armen und Witwen bei der täglichen Ausspeisung und Gabenspendung zu wenig berücksichtigt würden. Die Apostel gingen daher an die Regelung des Armendienstes. Sie ließen von den versammelten Jüngern sieben Männer erwählen, „welche von gutem Ruf und voll des Heiligen Geistes und der Wahrheit“ waren. „Man wählte Stephanus, einen Mann des Glaubens und voll des Heiligen Geistes, ferner Philippus . . . Diese nun stellte man den Aposteln vor. Und sie beteten und legten ihnen die Hände auf“ (Apg 6,1-6).
Der heilige Philippus war der zweite unter den sieben, von den Aposteln zu Diakonen geweihten Männern, denen die Heilige Schrift selbst das Zeugnis ausstellt, dass sie voll des Heiligen Geistes waren und das volle Vertrauen der Gemeinde besaßen – zwei Grundvoraussetzungen jedes Kirchendienstes und aller Seelsorgetätigkeit. Er war vermutlich aus Cäsarea in Palästina gebürtig und gehörte wahrscheinlich der erlesenen Schar der 72 Jünger Jesu an. Über seine Familienverhältnisse erfahren wir einiges aus der Apostelgeschichte. Auf seinem Rückweg von der dritten großen Missionsreise im Jahr 58 hielt nämlich der heilige Paulus im Haus des Philippus kurze Rast. Der heilige Lukas berichtet darüber: „Am andern Tag gingen wir (von Ptolemais) weg und kamen nach Cäsarea. Und wir traten in das Haus des Philippus, des Evangelisten, eines von den Sieben, und blieben bei ihm. Dieser aber hatte vier Töchter, Jungfrauen, welche die Gabe der Weissagung besaßen“ (Apg 21,8). Das Beispiel dieser Jungfrauen hat nach späteren Berichten viele andere Jungfrauen bewogen, sich ihnen zu einem gottgeweihten Leben anzuschließen. Ihr Haus wurde gleichsam das erste Jungfrauenheim (Kloster), das in der Kirche hochverehrt wurde. Noch die heilige Paula wallfahrte in den Tagen des heiligen Hieronymus zu demselben, und selbst zur Zeit der Kreuzzüge wurde die Andachtsstätte noch gezeigt.
Nicht bloß durch seinen Liebesdienst den Armen gegenüber und durch seine Gastfreundlichkeit, sondern auch durch seinen regen Eifer und seine großen Erfolge in der Verkündigung des Evangeliums zeichnete sich der heilige Philippus aus. Er trägt daher mit Recht den Amts- und Ehrennamen „der Evangelist“, unter welchem nur er schon vom Neuen Testament eingeführt wird. Als solcher begegnet er uns zuerst in Samaria, der Hauptstadt der gleichnamigen, halb heidnischen Provinz. Er kam dahin auf der Flucht vor der Christenverfolgung, die zu Jerusalem gleich nach der Steinigung des heiligen Stephanus ausgebrochen war. Durch seine Predigt und seine Wunder bekehrte er viele zum Glauben und erteilte ihnen die Taufe, und „es ward eine große Freude in jener Stadt“. Der außerordentliche Missionserfolg machte in Jerusalem ein solches Aufsehen, dass die Apostel den Petrus und Johannes dorthin entsandten, um den Getauften mittels Handauflegung die heilige Firmung zu spenden (Apg 8,4-25).
Selbst über die Grenzen des Heiligen Landes hat der Diakon Philippus als einer der ersten Jünger Jesu die Heilsbotschaft vom Reich Gottes hinausgetragen. Noch in Samaria „redete ein Engel des Herrn zu Philippus und sprach: Steh auf und geh gen Mittag an die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt.“ Hier taufte er auch den Schatzmeister der Königin Kandake von Äthiopien, einen gebürtigen Heiden und jüdischen Proselyten. Des Weges kommend und auf dem Wagen sitzend, las dieser eben im Propheten Isaias. Da trat Philippus auf Eingebung des Heiligen Geistes hinzu und fragte ihn: „Verstehst du wohl auch, was du liest?“ „Wie könnte ich es,“ erwiderte der Äthiopier, „wenn niemand mich unterweist?“ Und er bat den Philippus in den Wagen zu steigen. Dieser erklärte ihm nun die Isaiasstelle, verkündete ihm Jesus, den Messias, und weckte in ihm das Verlangen des Heils. Da sie an ein Wasser gelangten, rief der Bekehrte aus: „Sieh, Wasser! Was hindert, dass ich getauft werde?“ Philippus aber sprach: „Wenn du glaubst von ganzem Herzen, so mag es geschehen.“ Er antwortete und sprach: „Ich glaube, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist.“ Jener ließ nun den Wagen halten; „und sie stiegen beide hinab ins Wasser, Philippus und der Schatzmeister. Und er taufte ihn“ (Apg 8,26.38).
Nach der Bekehrung des Äthiopiers verkündete Philippus das Evangelium in der Umgebung der Städte Azot und Cäsarea, das er zum Aufenthaltsort erwählte. Nach der lateinischen Überlieferung soll er hier auch um das Jahr 60 gestorben und begraben worden sein, während er nach griechischen Nachrichten in Hierapolis in Phrygien mit seinen jungfräulichen Töchtern seinen letzten Aufenthalt und seine letzte Ruhestätte gefunden hat.
Kann und soll nicht jeder Gläubige, wenigstens im engeren Kreis seiner Umgebung, ein Diakon, das ist ein Diener der christlichen Liebe, und ein Evangelist, das ist ein Verkünder der christlichen Wahrheit sein? Beide Funktionen bilden so recht auch die Grundpfeiler des sogenannten Laienapostolates.