Spät war es geworden, und es dunkelte schon stark, als an einem Sommertag des Jahres 1845 der zehnjährige Josef Sarto von einem Botengang heimkehrte. Der Weg führte ihn an der Kirche vorbei über den Friedhof. Als er da flüchtig umherschaute, sah er deutlich, wie sich aus einem Grab scheinbar zwei Arme emporstreckten und durch die Luft fuchtelten. Was meinst du wohl, was der zehnjährige Junge da getan hat? Er ging, obwohl ihm das Herz bis an den Hals klopfte, wagemutig auf das sonderbare Grab zu und fand den Esel eines Bauern aus dem Dorf, der in eine ausgeworfene Grube gefallen war. Mutig war Josef Sarto von Kindesbeinen an.
Um alles in der Welt wollte Josef Sarto gern Priester werden. Aber, aber! Die Eltern besaßen nur eine einzige Kuh und einen sehr schmalen Acker. Nebenbei war der Vater Gemeindediener und Briefträger und verdiente – es waren damals arme Zeiten – täglich, sage und schreibe, ganze fünfzehn Pfennig. Weil das für eine zehnköpfige Familie zu wenig war, suchte die gute Mutter Margareta trotz der Unmenge an häuslicher Arbeit durch Schneidern nebenbei noch einige Groschen zu verdienen. Dass unter diesen Umständen Josef studieren konnte, war ausgeschlossen, obwohl die Eltern ihm gern den Wunsch erfüllt hätten, denn für christliche Eltern bedeutet es die größte Freude, wenn ein Sohn Priester oder eine Tochter Ordensschwester wird.
Josef litt schwer unter dem Gedanken, dass er nicht Priester werden sollte. Da hatten die Eltern ein Einsehen und meinten, er könne mit dem Studieren ja einmal anfangen, nachher werde der liebe Gott wohl nachhelfen. Dass die Eltern mit diesem Vertrauen auf den lieben Gott recht gehandelt haben, hat die Zukunft gezeigt, denn ihr Sohn ist nicht nur Priester, sondern auch Bischof und zum Schluss sogar Papst geworden, ein großer und heiliger Papst. Wer auf Gott vertraut, der hat auf festen Grund gebaut.
Zunächst erhielt Josef Sarto Lateinstunden beim Herrn Kaplan. Dann ging er jeden Tag jahrelang in das nächste Städtchen auf die Schule. Barfuß machte er meist den Weg, die Schuhe baumelten bis kurz vor dem Ziel an einer Schnur auf Brust und Rücken, denn die Sohlen mussten geschont werden. Josef Sarto wollte den Eltern keine unnötigen Auslagen machen.
Auf dem halben Weg zur Schule rastete der Student zuweilen bei einer Quelle, wo im Frühjahr frische Kresse wuchs, die er sich als Belag zwischen die Brotscheiben des Frühstücks legte. Der zukünftige Papst ist ein armer Student gewesen.
Josef Sarto war aber ein tüchtiger Student. Selten blieb er im Unterricht eine Antwort schuldig, und die Zeugnisse waren stets blendend. Das kam daher, weil er äußerst fleißig war. Fast immer hatte er ein Buch in der Hand, sogar auf dem Schulweg und beim Kuhhüten.
Noch einmal kam ein harter Schlag über den siebzehnjährigen jungen Mann. Der Vater starb. Da musste er, der älteste Sohn, doch wohl das Studium aufgeben, wie schwer es ihm auch ankam, denn es war ihm klar, dass er der Mutter keinen Pfennig mehr kosten dürfe. Am Begräbnistag des Vaters teilte er der Mutter den Entschluss mit. Doch die Mutter, eine herrliche christliche Frau, zog den Sohn sanft am Ohr und sagte lächelnd: „Du dummer Junge! Hast du denn vergessen, dass der liebe Gott dich zum Priesterstand gerufen hat? Du studierst weiter und damit basta!“
Bei diesem hochherzigen Bescheid blieb es. Margaretas Sohn studierte weiter, wurde Priester, wurde Kaplan, wurde Pfarrer, wurde Domherr, wurde Bischof, wurde Kardinal, wurde Papst und wurde – das ist mehr als alles andere – ein Heiliger. Alle Ehre aber, die dem Sohn zuteilwurde, fällt auf die Eltern zurück, denn gute Kinder sind der Eltern Preis.
Elf Jahre lang hat der heilige Papst Pius X. segensreich die Kirche Gottes regiert. Was den heiligen Mann aber gerade den Kindern lieb und teuer machen muss, ist die Tatsache, dass er ihnen die Tür des Tabernakels weit aufgemacht hat, denn er war es, der den alten Brauch abschaffte, dass die Kinder erst mit zwölf Jahren zur ersten heiligen Kommunion geführt wurden. Der heilige Papst Pius X. hat dagegen angeordnet, dass die Feier der Erstkommunion viel früher stattfinden solle. Je jünger nämlich ein Kind ist, desto unschuldiger ist es noch, und die Unschuldigen liebt und begnadet der göttliche Heiland am meisten.
Papst Pius X. wurde am 3. Juni 1951 von Papst Pius XII. selig- und am 29. Mai 1954 vom selben Papst heiliggesprochen.