Es soll hier nicht die Rede sein von der heiligen Radegund, der Tochter des thüringischen Königs Berthar und der Gemahlin des Frankenkönigs Chlotar I., die in ihrer hohen Stellung aus christlicher Nächstenliebe die niedrigsten Dienste bei Kranken und Armen verrichtete und später die Pracht und Annehmlichkeiten des königlichen Palastes verließ, um in ärmlicher Klosterzelle die geringste Magd zu werden und am 13. August 587 zu Poitiers in Frankreich ihr heiliges Leben schloss. Ich will einiges erzählen von einer anderen Radegunde, die aus niedrigem Stand hervorgegangen, ihrer heiligen Namenspatronin in der schönen Tugend der christlichen Nächstenliebe treu gefolgt ist und darum ein bleibendes Andenken im Herzen des Volkes gewonnen hat.
Die heilige Radegund war geboren in einem Dorf bei Augsburg und verdingte sich als Stallmagd bei einer Familie auf dem Schloss Wellenburg. Erschien auch ihr Stand gering vor der Welt, musste sie auch manche harte Behandlung ertragen, so verrichtete sie alle ihre Dienste pünktlich und treu und opferte ihre Beschwerden und Bitterkeiten dem göttlichen Heiland auf, der ja auch die Armut und Niedrigkeit erwählt hatte, um allen alles zu werden. Gewissenhaft beobachtete sie die Mahnung des Apostels Paulus (Kol 3,22): „Ihr Dienstboten, gehorcht in allem den leiblichen Herrn, nicht als Augendiener, die sich bei Menschen einschmeicheln, sondern mit aufrichtigem Herzen, aus Ehrfurcht vor dem Herrn. Ja alles, was ihr tut, das tut mit Eifer, als wenn es dem Herrn und nicht den Menschen geschehe!“
Wo die Gottesliebe einmal im Menschenherzen entflammt ist, da zeigt sich auch die Nächstenliebe in christlicher Gesinnung und Tat. In jener Zeit gab es viele Aussätzige, die von den Gesunden entfernt und in Siechenhäusern untergebracht wurden, um die weitere Verbreitung dieser ansteckenden Krankheit zu verhindern. Zu diesen Kranken ging Radegund, so oft ihr Zeit von ihrem Dienst erübrigte, um sie zu pflegen, ihre ekelhaften Wunden zu reinigen und zu verbinden. Vor allem lag ihr daran, die Kranken zur Reue, zur Geduld und Gottesfurcht zu ermuntern, und ihre Worte fanden einen fruchtbaren Boden, weil sie aus einem liebevollen, opferfreudigen Herzen hervorgingen.
So edel und uneigennützig auch Radegund an der leidenden Menschheit handelte, so gab es doch boshafte Zungen, die sie bei ihrer Herrschaft anschwärzten, als veruntreue sie ihr Eigentum, um es den Armen zu geben. Als sie einmal wieder Speise und Trank zu dem Siechenhaus trug, trat ihr der Herr in den Weg und fragte sie, was sie im Korb habe. In der augenblicklichen Angst verirrte sie sich zu einer Notlüge, indem sie sagte, sie habe Kamm und Seife darin, um die Kranken zu reinigen. Radegund entging auf diese Weise der Rüge und Strafe ihres leiblichen Herrn, aber sie hatte durch ihre Lüge Gott beleidigt und empfing dafür eine sehr harte Strafe. Als sie nämlich einige Zeit nachher wieder durch den Wald ging, der zwischen dem Schloss und dem Siechenhaus lag, wurde sie von Wölfen überfallen und schrecklich zerbissen. Als sie lange ausblieb, suchte man sie und fand sie halbtot in ihrem Blut liegen. Nach drei Tagen himmlischer Geduld und christlicher Vorbereitung zum Tod starb sie und wurde neben dem Siechenhaus begraben.
Im Jahr 1691 wurden die Gebeine der heiligen Radegund im Auftrag der bischöflichen Behörde zu Augsburg erhoben, von der Gräfin Fugger von Wellenburg mit Gold und Seide geschmückt und in feierlicher Prozession aus der Kirche zu Berkheim nach der Kapelle zu Wellenburg getragen und zur Verehrung der Andächtigen ausgesetzt. Noch heute werden die Überreste der heiligen Magd Radegund häufig besucht und andächtig verehrt.