Frauenschicksal! So ließe sich wohl am besten das Leben der heiligen Richardis überschreiben, von der wir heute einiges erzählen wollen. Zwar hat sie keinen Mönch gefunden, der uns eine zusammenfassende Schilderung ihrer Tugenden und Taten geschenkt hätte, aber was die Geschichtsschreiber jener Zeit berichten, ist genug, um die Gestalt der heiligen Kaiserin vor unseren Augen lebendig werden zu lassen.
Ein immer wiederkehrendes Schicksal hochgestellter Frauen scheint es zu sein, dass der äußere Glanz nur ein Schleier ist, der vor den Augen einer flüchtig urteilenden und neidvollen Welt den Abgrund von Leid verdecken muss, der beschlossen ist in dem Wörtlein: unglücklich verheiratet. Es war eine rein politische Heirat. Richardis war die Tochter des Grafen Erchanger, der im Elsass und Breisgau reiche Güter besaß, und der dreiundzwanzigjährige Prinz Karl von Alemannien (Schwaben) begehrte 862 ihre Hand, um seine Macht in jenen Landen zu befestigen. Richardis wird kaum um ihre Einwilligung gefragt worden sein, das war bei solchen Gelegenheiten nicht üblich. Ein heldenmütiges Opfer des Gehorsams war es, das die jugendlich schöne und geistvolle Richardis brachte. War doch Karl an sich keine begehrenswerte Persönlichkeit. In seiner Jugend hatte er an Fallsucht gelitten, so dass er überhaupt schon an der Welt verzweifeln und sich in einem Kloster vergraben wollte. Dieses Übel scheint sich zwar gebessert zu haben, aber an seine Stelle trat ein nervöses Kopfleiden, gegen das alle Mittel sich machtlos erwiesen. Nur wahrhaft christlicher Sinn, der bereit war den Kreuzweg zu beschreiten, konnte sich mit dem Gedanken abfinden, ein ganzes Leben lang an einen kranken Menschen gebunden zu sein. Das geheimnisvolle Band jedoch, das beide Gatten umschlang, war die beiderseitige Frömmigkeit, die sich vor allem in einer unbegrenzten Freigebigkeit gegen Kirchen und Klöster äußerte.
Die Glanzzeit Richardis kam, da ihr Gemahl nach dem Tod Ludwigs der Deutsche König wurde. Und Karl ließ sie bereitwillig an Königsehre und Königswürde teilnehmen. Sie zog mit nach Italien, und als ihr Gemahl im Februar 881 in der Peterskirche zu Rom die Kaiserkrone empfing, kniete sie an seiner Seite und erhielt ebenfalls aus den Händen des Papstes Johannes VIII. das Diadem. Gleichsam zum Dank übergab die neugekrönte Kaiserin am Grab der Apostelfürsten ihr Stift Andlau dem Papst und stellte es gegen einen jährlichen Zins unter seinen besonderen Schutz.
Mit Fug und Recht war Richardis Kaiserin. Während für den schwächlichen, energielosen Karl die Krone nicht mehr bedeutete als eitlen Schimmer, trat seine Gemahlin wirklich als Regentin auf. Eine treue Stütze hatte sie dabei an Bischof Liutward von Vercelli, der als Erzkaplan an der Spitze der kaiserlichen Kanzlei stand. Wenn man vom Kaiser etwas erreichen wollte, musste man sich an Richardis und Liutward wenden. Sogar der Papst Johannes, von Langobarden, Sarazenen und römischen Adeligen bedrängt, schreibt an Richardis, sie möge fußfällig von ihrem Gemahl für den Nachfolger des heiligen Petrus Rettung aus der drohenden Lebensgefahr erflehen. Zu einer Heerfahrt nach Italien war nun Karl allerdings nicht zu bewegen. Nur die gefangen gehaltene Witwe Ludwigs von Aquitanien, Engelberga, ließ er nach Rom geleiten, wie es der Papst durch Richardis ebenfalls erbeten hatte. Sonst war Karl auch als Kaiser noch seiner Gemahlin aufrichtig zugetan und er gab ihr zum Beweis seiner Liebe die Einkünfte und die Oberleitung angesehener Frauenklöster, wie Zürich und Säckingen.
Aber bald zogen sich schwarze Gewitterwolken am Himmel zusammen. Kanzler Liutward hatte sich durch seine Machtgier und Habgier viele Feinde geschaffen, die nun mit wahren und falschen Anklagen seinen Sturz herbeizuführen suchten. Die üblen Nachreden, die über Liutward umgingen, machten auch vor der edlen Frau Richardis nicht Halt, die mit ihrer Huld gegenüber dem geschäftsgewandten und klugen Ratgeber allzu freigebig gewesen sein mochte. Inwieweit Karl einem solchen Gerede Glauben geschenkt hat, lässt sich nicht feststellen. Jedenfalls war diese Verdächtigung ihrer Frauenehre für die heilige Richardis der willkommene Anlass, sich jetzt ganz von ihrem Gemahl zu trennen und sich einem gottseligen Leben zu widmen, wonach schon lange das Sehnen ihres Herzens gegangen war. Wenige Tage, nachdem Karl notgedrungen seinen Kanzler entlassen hatte, berief er seine Gemahlin vor die Ratsversammlung des Reiches. Nachdem er feierlich bezeugt hatte, dass er während der fünfundzwanzigjährigen Ehe sie nie berührt habe, beteuerte die Kaiserin ihrerseits, dass sie ihre Jungfräulichkeit stets unversehrt bewahrt und weder ihres Gatten noch eines anderen Mannes Umgang jemals genossen habe. Zum Beweis erbot sie sich zu einem Gottesurteil, entweder zu einem Zweikampf durch einen Vertreter oder zur Beschreitung der glühenden Pflugschar. Ob es wirklich dazu gekommen ist, berichtet der Chronist nicht. Die Legende erzählt ja, dass Richardis die Feuerprobe wirklich bestanden hatte, indem sie auf den bloßen Leib ein wachsgetränktes Linnenhemd anzog, das an den vier Ecken angezündet verbrannte, ohne ihren jungfräulichen Leib zu verletzen.
Die Ehe zwischen den beiden Gatten konnte, als nicht vollzogen, kirchlich wieder getrennt werden. Richardis nahm den Schleier in ihrem Lieblingskloster Andlau, und die einst Herrscherin gewesen war, bemühte sich jetzt allen um Christi willen zu dienen. Nach einem Leben des Gebetes und der Buße entschlief sie selig im Herrn am 18. September um das Jahr 900. Ihr Gemahl war ihr schon am 13. Januar 888 vorausgegangen, ein hilfloser, von schwerstem Siechtum geschlagenen Mann; auf der Reichenau fand er seine letzte Ruhestätte. Seine religiöse Freigebigkeit während seines Lebens und die demütige Ergebung, mit der er seinen jähen Sturz durch seinen Neffen Arnulf und seine gänzliche Vereinsamung und Verarmung ertrug, hat ihm gewiss das himmlische Reich verdient. An die Größe seiner Gemahlin reicht seine Persönlichkeit nicht heran. Der Name eines Kaisers wird verdunkelt vom Glanz, in dem die Heiligen leuchten wie die Sterne. Der Todestag der heiligen Richardis wurde stets im Elsass als Festtag gefeiert. Im November 1049 kam Papst Leo IX., ehemals Bischof von Toul, in eigener Person nach Andlau, um ihre Gebeine zu erheben und die Kirche auf ihren Titel zu weihen.
Im liturgischen Festtagsgebet der seligen Richardis wird hervorgehoben, dass ihr die Gnade gegeben worden sei, jungfräulichen Sinnes das Irdische zu verachten und nach der Gipfelhöhe des himmlischen Reiches zu streben. Möge uns wenigstens die Gnade verliehen sein, die Lockungen und Gefahren der Welt zu überwinden, um die ewigen Freuden zu gewinnen.