Am 8. Januar 482 starb irgendwo an der österreichischen Donau der heilige Severin. Er war ein Mann, dessen Leben von Geheimnissen dicht verschleiert ist. Was man aber von dem geheimnisvollen Mann Severin weiß, reicht aus, um ihn als einen großen Menschen und Heiligen zu schildern.
Es war um die Zeit, da von Asien her die Hunnen nach dem Westen vorwärts stürmten und die Germanen aus den Wohnsitzen verdrängten und flüchtend vor sich hertrieben. Die Vertriebenen überschritten auf der Flucht an Donau und Rhein die Grenzen des alten großen Römerreiches, das, innerlich geschwächt, dem Untergang geweiht war. Da gab es vor den heranstürmenden Barbarenhorden keine Sicherheit mehr. Wie ein vernichtender Sturm fegten die wilden Völkerschwärme über das Land. Blut floss in Strömen, und in jeder Nacht rötete sich der Himmel im Schein brennender Dörfer und Gehöfte. Hoffnungslosigkeit, Verzagtheit und Verzweiflung bemächtigten sich der Menschen.
In dieser Not tauchte plötzlich ein Mönch auf, barfuß und in zerlumpter Kutte. Er war eine hohe, hagere Erscheinung, ein Mann ohne Furcht, der gleich alle Blicke auf sich zog. Von ihm redete man bald im bedrohten Land mit großer Ehrfurcht, von ihm gingen Mut und Kraft auf die bedrängten Menschen aus. Es war Sankt Severin. Niemand wusste, woher er kam, und nie ist etwas über seine Herkunft bekannt geworden. Aber aus der Art, wie er sich gab, war zu schließen, dass fürstliches Blut in seinen Adern floss.
Geheimnisvoll war auch Severins Auftreten. Man glaubte, er könne zu gleicher Zeit an verschiedenen Orten sein. Denn stets war er überall dort zur Stelle, wo eine Gefahr drohte. Er ermahnte die Menschen, rief zur Buße, zu Gebet und Besserung auf, beruhigte, tröstete und sorgte ausgiebig und nachdrücklich dafür, dass diejenigen, die noch etwas besaßen, den Besitz mit den Besitzlosen teilten.
Niemanden konnte sich den Forderungen des geheimnisvollen Mönchs entziehen. Aber alle fühlten, dass sich von ihm ein Kraftstrom über das Land ergoss. Wunder ereigneten sich, wo er sich aufhielt. Ein Segen von ihm mit dem Kreuzzeichen genügte, um die Donau, die in verheerender Weise über die Ufer getreten war, in das Flussbett zurückzuweisen. Wo anders öffnete ein Toter die Augen und beantwortete alle Fragen des heiligen Severin. Öl vermehrte sich wunderbarerweise, bis der letzte Arme seinen Krug gefüllt hatte. Auch die Augen des fremden Mannes waren so scharf, dass sie in das Dunkel der Zukunft schauen konnten. Weissagungen, die er machte, gingen in Erfüllung.
Am geheimnisvollsten war jedoch Severins Eindruck und Einfluss auf die Barbaren. Allein und ohne Waffen ging der mutige Mann ins Lager der Feinde. Er wies sie mit mutigen Worten zurecht, forderte die Gefangenen zurück und verlangte die Einstellung von Brandstiftung und Plünderungen. Bei solchen Gelegenheiten wollten sich die Feinde voll Wut auf ihn stürzen, aber keiner tat es. Und eines Tages gestand einer der heidnischen Anführer, dass er nie so erschüttert gewesen sei wie beim Anblick dieses Mönches.
Sonderbar ist bei Severin auch, dass er weder Bischof noch Priester war, aber der Abt von zwei Klöstern, die er gegründet hatte. Alles ist sonderbar in diesem Leben, auch die Tatsache, dass nach dem Tod des Heiligen die Barbaren, die er als einzelner Mann dreißig Jahre lang wie ein schützender Damm aufgehalten hatte, das Land überschwemmten und alles Bestehende vernichteten. Dreihundert Jahre später erst konnte das Christentum in Bayern und in Österreich wieder Fuß fassen.
Sankt Severins Andenken ist also von Geheimnissen umrankt wie eine Ruine von wildem Wein. Und doch liegt bei ihm die Lösung aller Rätsel in einem einzigen Wort, und dieses Wort heißt Heiligkeit. Der heilige Mensch regiert seine Zeit. Und nur deshalb siegt vielfach scheinbar das Böse, weil nicht genug Heilige da sind, um dem Bösen zu wehren.
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Nach Attilas Tod, 453, zog ein Mann von unbekannter Herkunft als Pilger zwischen Passau und Wien umher, um der dort ansässigen römischen Bevölkerung gegen die andrängenden Germanen zu helfen. Er unterstützte sie nicht nur in ihrem christlichen Glauben, sondern er war auch politisch tätig. Er organisierte den etappenweisen Abzug der Romanen – bedingt durch die zahlreichen Einfälle der germanischen Stämme – von Norikum in den Osten.
Mönch und Staatsmann zugleich, gründete er zwei Klöster: Boiotro (Passau-Innstadt) und Favianis (vermutlich Mautern in Niederösterreich). Eigentlich wollte Severin in der Abgeschiedenheit seiner Klöster sein Leben betend und fastend verbringen, aber die damaligen Verhältnisse zwangen ihn, ein Mann der Tat zu werden.
Hochgeachtet auch von Germanen, Arianern und Heiden, starb Severin 482 in Favianis.
Einige Jahre später nahmen Mönche seinen Leichnam nach Italien mit. Seit 1807 ruht er in der Pfarrkirche zu Fratta Maggiore bei Aversa (nördlich von Neapel).
„Die Predigten, welche dieser apostolische Mann an das Volk hielt, brachten die erstaunlichsten Wirkungen hervor. Wer ihn hörte, wurde von lebhaftem Abscheu gegen die Sünde erfüllt und fühlte sich hingezogen, Gott mit größerer Inbrunst zu dienen. Man sah ihn als einen Engel an, den der Himmel in seiner Barmherzigkeit auf die Erde geschickt hatte; und die Ehrfurcht, die man gegen ihn trug, wurde noch erhöht, als man ihn die Kranken heilen, die Gefangenen loskaufen, die Not der Unterdrückten erleichtern, den Armen beistehen, die allgemeinen Plagen abwenden, ihn mit einem Wort den Segen an alle Orte bringen sah, die er mit seiner Gegenwart beehrte. Mehrere Städte begehrten ihn zum Bischof; allein er weigerte sich stets, ihren dringenden Bitten zu willfahren. „Ist es nicht genug“, sagte er ihnen, „dass ich meine geliebte Einsamkeit verlassen habe, um euch zu unterrichten und zu taufen?“
Der hohe Ruf der Heiligkeit, in dem er stand, zog viele Menschen zu ihm hin. Könige und Fürsten verschiedener Völkerstämme besuchten ihn. So auch Odoaker (um 430-493), König der Heruler, der beim Anblick der Zelle des Heiligen, die so niedrig war, dass er nicht einmal aufrecht stehen konnte, tief erschüttert wurde. Severin sagte ihm den glücklichen Erfolg seines Feldzugs in Italien und die baldige Eroberung dieses Landes vorher. Odoaker, damals noch ein Jüngling, war in schlechte Kleidung gehüllt; Severin sprach zu ihm: „Gehe hin nach Italien, jetzt noch mit abgenutzten Fellen bekleidet, bald aber imstande, vielen gar viel zu schenken.“ Da diese Weissagung durch die Erfüllung bewahrheitet wurde, schrieb Odoaker dem Diener Gottes einen sehr ehrenvollen Brief, in welchem er versprach, ihm jede Bitte, die er an ihn richten würde, zu gewähren. Severin, dem die Gaben der Gnade genügten, begehrte nichts für sich selbst, sondern bat nur den herulischen Fürsten, einige Landesverwiesene zurückkehren zu lassen.“
Als Pilger mit Stab und Buch, oder mit Abtstab, das Kruzifix in der Rechten und dem Volk predigend, wird der Apostel von Norikum dargestellt. Manche Abbildungen zeigen ihn auch, wie er auf einem Grabmal betet.
Er ist der Fürsprecher der Leinweber, Winzer und der Gefangenen. Seine Hilfe wird bei Hungersnot erbeten.
In den Diözesen Passau, St. Pölten und Wien ist sein Fest am 8. Januar ein gebotener Gedenktag.