Der heilige Sulpicius Severus wurde in Aquitanien, in der Gegend von Toulouse, geboren. Seine Eltern besaßen, neben einem hohen Geburtsrang, große Reichtümer. Seine ersten Jahre brachte er in Erlernung der Wissenschaften zu. Nachdem er einer ernsteren Anstrengung fähig war, fing er an, die guten Schriftsteller des goldenen Zeitalters der römischen Bildung zu lesen, um seine Schreibart nach diesen schönen Mustern zu bilden. Mein weiß, wie weit er es in diesem Unternehmen brachte. Obgleich er die gerichtliche Laufbahn in einem Alter betrat, wo man sich selten hohen Ruf erwerben kann, gelang es ihm doch bald, alle seine Mitgenossen zu verdunkeln. Er verband sich durch die Ehe mit einer Frau aus consulischer Familie, die ihm große Güter zubrachte, bald aber durch den Tod ihm entrissen wurde. Dessen ungeachtet fuhr er fort, im besten Einverständnis mit Bassula zu leben, seiner Schwiegermutter, die ihn wie ihren Sohn liebte.
Unterdessen rissen ihn die Betrachtungen, die er über den Verlust seiner Gattin machte, allmählig von der Welt los, er sah die Nichtigkeit aller ihrer Güter ein und entschloss sich schließlich, sie zu verlassen. Man glaubt, dass seine Schwiegermutter durch Reden und Beispiel nicht wenig dazu beitrug, ihn in seinem Entschluss zu befestigen, den er auch um das Jahr 392 ausführte. Sein Opfer war umso verdienstlicher, weil er noch in der Blüte seiner Jahre lebte (etwa 32 Jahre alt). Alle seine Einkünfte verwendete er zu Almosen und anderen guten Werken, so dass er nicht sowohl Eigentümer seines Vermögens, als vielmehr Verwalter desselben für die Kirche und die Armen war. Seine Lebensänderung wurde von allen missbilligt, die sie nicht mit den Augen des Glaubens betrachteten. Seine alten Freunde tadelten laut sein Verhalten und machten es zum Gegenstand der beißendsten Spöttereien. Der Heilige, der, ehe er diese Handlung vollführte, Gott um Rat gefragt hatte, wurde dadurch nicht erschüttert, sondern bezog eine Hütte in dem Dorf Primuliac, in Aquitanien. Seine Diener uns Sklaven, die ihm gefolgt waren, wurden seine Brüder und Jünger und weihten sich mit ihm dem Dienst Gottes. Sie lagen alle auf Stroh oder auf härenen Bußkleidern, die auf dem Boden ausgebreitet waren. Schwarzes Brot, Gemüse und gekochte Kräuter, die sie nur mit etwas wenigem Essig zubereiteten, waren ihre Nahrung.
Sulpicius besuchte um das Jahr 394 den heiligen Martin von Tours. Gerührt durch die Reden und den weisen Rat dieses Mannes Gottes, wurde er sein größter Bewunderer und treuester Schüler. Jedes Jahr brachte er einige Zeit bei ihm zu, um alle Züge dieses vollkommenen Musters genau sich einzuprägen. Als ein großer Eiferer für den äußeren Schmuck des Gottesdienstes, zierte er die Kirchen und ließ mehrere neue erbauen, unter anderen zwei zu Primuliac. Da er diese zwei letzteren mit Reliquien bereichern wollte, schrieb er 403 an den heiligen Paulin, mit der Bitte, er möge ihm welche verschaffen. Der Heilige schickte ihm ein Teilchen vom wahren Kreuz mit der Erzählung der wundervollen Entdeckung durch die heilige Helena. Sulpicius rückte in der Folge diesen Bericht in seine Kirchengeschichte ein. Diese zwei großen Männer, die durch eine heilige Freundschaft miteinander verbunden waren, machten sich oft gegenseitig Geschenke. Sie schickten einander ärmliche Kleider und andere ähnliche Dinge, die mit dem Bußleben, dem sie sich gewidmet hatten, übereinstimmten. Die in den Briefen, die diese Geschenke begleiteten, eingestreuten Betrachtungen, geben uns Männer zu erkennen, die alles zu benützen wussten, um ihre Herzen zu Gott zu erheben.
Als der Heilige eines Tages allein in seiner Zelle war, schlief er ein. Es schien ihm, als sehe er den heiligen Martin in den Himmel steigen, das Angesicht strahlend vom Glanz und begleitet von dem Priester Clarus, seinem Schüler, der schon vor einiger Zeit gestorben war. Die Wahrheit dieses Gesichts wurde ihm durch die Tat bestätigt. Zwei Mönche, die von Tours ankamen, verkündeten ihm bei seinem Erwachen, dass sein gottseliger Lehrer diese Welt verlassen habe. Diese Nachricht setzte ihn in große Betrübnis. Allein er tröstete sich mit der Hoffnung, dass er nun einen mächtigen Fürsprecher im Himmel habe. Er wollte dem Andenken des heiligen Bischofs von Tours ein Denkmal seiner Verehrung zurücklassen und schrieb seine Lebensgeschichte. Aus gleichem Beweggrund brachte er auch fünf Jahre in der Zelle des heiligen Martin in Marmoutier zu. Einige Schriftsteller sagen, er habe sich später in ein Kloster zu Marseille oder in der Umgegend dieser Stadt zurückgezogen. Man kennt das Jahr seines Todes nicht, nur weiß man, dass er im Anfang des fünften Jahrhunderts starb. Der heilige Paulin von Nola, Paulin von Perigueux, Venantius Fortunatus und mehrere andere Schriftsteller, erteilten dem heiligen Sulpicius Severus die herrlichsten Lobsprüche. Gennadius sagt, er habe sich besonders durch Demut und außerordentliche Liebe für die Armut ausgezeichnet.
Guibert, der Abt von Glembours erzählt, dass man zu seiner Zeit das Fest des heiligen Sulpicius Severus zu Marmoutier feierlich am 29. Januar beging. Mehrere Herausgeber des römischen Martyrologiums haben unseren Heiligen mit dem heiligen Sulpicius dem Strengen, den Bischof von Bourges, verwechselt, dessen Name an diesem Tag in den Kalendern vorkommt. Papst Benedikt XIV. hatte ihren Irrtum völlig aufgedeckt.