Diese heilige Jungfrau vereinigte so viel Gutes in sich, dass es der menschlichen Sprache, so gewandt sie sein mag, an Kräften gebricht, es darzustellen. So beginnt ein neuerer Heiligenbeschreiber ihren Lebensabriss. Eine alte Beschreibung ihres Lebens aus der Zeit des heiligen Athanasius (+373) – man möchte sie sogar diesem großen Gottesgelehrten selbst zuschreiben, aber ohne festen Grund – erhebt sie mit hohem Lob. Ihr Leben war vorbildlich an heroischen Tugenden, ihre Weisheit und Einsicht ins geistliche Leben war hochgeschätzt von ihren Zeitgenossen, so dass ihre Aussprüche in einer alten Belehrung über die Tugenden, die im „Leben der Väter“ zu finden ist, gleich denen von Geisteslehrern zum Beweis angezogen werden, wie auch ihre umfangreichen Belehrungen gesammelt und so bis auf unsere Zeit erhalten wurden. Schließlich war Synkletika noch ein bewundernswertes Beispiel starkmütiger und ausdauernder Geduld im Leiden. Dieses mustergültige Lebensbild Synkletikas hat, in Anbetracht dessen, dass auch über die Zeit ihrer Geburt und ihres Todes keine näheren Angaben bekannt sind, sogar einige Kritiker in Versuchung gebracht, ihr Leben nur als eine einfache Ermahnung zur Tugend anzusehen, die man in die Form einer geschichtlichen Persönlichkeit eingekleidet habe. Indessen betrachtet sie unsere heilige Kirche nicht als ein Phantasiebild der Heiligkeit, sondern als ein lebendiges Vorbild im Kranz der Heiligen; denn sie feiert ihr Andenken im Morgenland am 4. Januar, im Abendland am 5. Januar und 1. März.
Synkletika, deren Eltern aus Mazedonien stammten, war nach Angabe ihrer Akten in Alexandrien in Ägypten geboren, in dem Jahrhundert, in dem Gott den heiligen Antonius (+ um 356) glänzen ließ, damit beide Geschlechter ihr Vorbild haben sollten in einem gänzlichen, rückhaltlosen Verzicht auf die Welt, wie ihn damals der Heilige Geist in Tausenden von Christenherzen zum Staunen der Mitwelt wachrief. Der Adel von Synkletikas Familie, die Schönheit ihres Leibes und Geistes, wie auch ihr Reichtum ließen sie sehr angesehenen Freiern der Stadt als begehrenswert erscheinen. Aber schon hatte der edelste und heiligste Bräutigam, Jesus Christus, als alleiniger siegreicher Bewerber Besitz von ihrem Herzen ergriffen. Den Spuren der heiligen Thekla folgend, kämpfte sie ihr ganzes Leben lang gegen die heftigsten Versuchungen, über die Gottes Gnade sie immer siegreich werden ließ. Sie war überzeugt, dass der Mensch den gefährlichsten Feind in sich selber hat, und oblag deshalb mit Bedacht jeglicher Art von Abtötung des Fleisches und des Herzens. Lange, strenge Fasten waren ihr so lieb, dass sie die Notwendigkeit, öfter als sie wünschte, Speisen nehmen zu müssen, als eine Qual ansah.
Nach dem Tod ihrer Eltern widmete sie sich zunächst noch der Pflege einer kränklichen Schwester. Dann aber schied sie sich gänzlich von der Welt, verteilte ihre großen Güter an die Armen und bezog als Wohnung eine jener Grabkammern, wie sie damals in Felsengräbern öfter errichtet wurden. Noch in voller Lebensfrische stehend, wollte sie schon das Sterben lernen und, der Erde tot, nur ihrem Gott leben. Das allein schien ihr das wahre Leben zu sein, denn das einzige Ziel des Menschen ist ja Gott. Die Betrachtung seiner Größe, Liebe und Barmherzigkeit, das Studium der himmlischen Weisheit, die Übung strengster Buße waren fortan ihr eigentlicher Beruf.
Um schon äußerlich sich als gottgeweihte Jungfrau zu bekennen, hatte sie sich den schönen Schmuck der Frau, das Haupthaar, durch einen Priester, also in kirchlich-zeremonieller Form, abnehmen lassen. Die Erneuerung des Gelübdes der Jungfräulichkeit, das sie schon früher für sich abgelegt hatte, band sie jetzt noch enger an Gott, den einzigen Gegenstand ihrer Liebe. Er allein war auch in der ersten Zeit der einzige Zeuge eines wahrhaft engelgleichen Lebens, eines wirklichen „Wandels im Himmel“, den diese gottbegeisterte Jungfrau in ihrer Grabeszelle führte.
Indessen ließ die göttliche Vorsehung nicht zu, dass ein solcher Schatz allzu lange verborgen blieb, ohne auch anderen durch äußere Anregung zu nützen, wenn auch schon das Gebet und die Bußwerke der Frommen allein die Kirche Gottes reichlich befruchten. Der Glanz ihrer Tugenden durchdrang das Dunkel, in das sie sich zu begraben sorglich bestrebt war. Mädchen und Frauen kamen, erbaten ihre Leitung und schöpften aus ihrem leuchtenden Beispiel und ihren hinreißenden Belehrungen gewinnreiche Förderung ihres geistlichen Lebens. Aus einem liebeglühenden Herzen, reich durch eigene Erfahrung und den Gnadeneinfluss des Heiligen Geistes, floss ihr die Rede mit himmlischer Ruhe, einnehmender Salbung und erhebender Begeisterung. Ihre Ermahnungen sind vortrefflich geeignet, den zeitlichen Wandel der in der Welt lebenden Frauen zu regeln. „O, wie glücklich würden wir sein,“ sprach sie bisweilen, „wenn wir, um Gott zu gefallen und den Himmel zu verdienen, nur tun würden, was die Weltmenschen tun, um vergängliche Güter zusammenzuhäufen. Zu Land setzen sie sich der Raubsucht der Diebe aus, auf dem Meer geben sie sich der Wut der Winde und Stürme hin; weder Gefahren noch Schiffbruch schrecken sie. Sie versuchen, sie wagen alles, und wir, wenn es darauf ankommt, einem so großen Herrn zu dienen, der uns unbegreifliche Güter verspricht, wir lassen uns schon durch den leisesten Widerspruch in Furcht setzen!“
Über die verschiedene Lage des geistlichen und weltlichen Lebens sprach Synkletika: „Auf dieser Welt sind wir niemals sicher. Darum sagt der heilige Apostel Paulus: „Wer da steht, der sehe zu, dass er nicht falle!“ Unser Schiff fährt auf unsicherem Element, wie der Psalmist sagt: „So ist diese Welt ein unsicheres Meer.“ Jedoch sind auch die Legen dieses Meeres unter sich verschieden, denn etliche sind voll von Gefahren, andere sind etwas sicherer. Dem gleicht, dass wir im geistlichen Stand an einer guten, windstillen Stelle, die Weltmenschen hingegen an einer gefährlichen Stelle fahren. Hinwiederum haben wir den hellen Tag und leuchtet uns die Sonne der Gerechtigkeit, die Weltlichen aber fahren in der Nacht der Unwissenheit. Nichtsdestoweniger kommt es mehrfach vor, dass die Weltmenschen, die in Finsternis und Ungewitter einherfahren, aus Furcht vor der Gefahr zu Gott rufen und so durch ihre Wachsamkeit glücklich ans Gestade gelangen; dass hingegen wir um unserer Saumseligkeit willen in der Unsicherheit zugrunde gehen, weil wir das Steuerruder der Gerechtigkeit verlieren und verlassen.“
So belehrte Synkletika die Ratsuchenden. Da mehrere von denen, die sich ihrer Führung anvertrauten, bei ihr zu bleiben wünschten, bildete sich eine Art klösterlichen Zusammenseins unter gemeinsamen Regeln und unter der lebendigen Autorität der Heiligen. Sie wurde dadurch die Lehrerin zahlreicher Klosterfrauen, weshalb sie auch in manchen Heiligenverzeichnissen den Namen Äbtissin führt. Wir haben hier die Anfänge des weiblichen Klosterlebens, wie zur selben Zeit auch die Schwester des heiligen Antonius eine Vereinigung von Jungfrauen nach dem Vorbild der Männerklöster veranlasste. Wie Antonius der Vater der Mönche, so wurde die heilige Synkletika die „Mutter der Nonnen“.
Schon war die Heilige hochbetagt an Jahren, als sie der Herr noch in seine Leidensschule nahm, damit sie auch hierin den Ihrigen ein ruhmvolles Beispiel hinterlasse. Erst litt sie dreieinhalb Jahre an einem langsamen Fieber, das an ihrem Inneren zehrte. Dann wurde sie von einem Krebsleiden ergriffen, das mit einem schrecklichen Geschwür am Mund begann, einen großen Teil des Gesichtes wegfraß und sich dann auf die übrigen Teile des Körpers verbreitete. So unerträglich war der Geruch, den dieses Übel aushauchte, dass niemand sich ihr auch nur auf kurze Zeit nahen konnte, ohne vorher ein Räuchermittel anzubrennen. Nur sie allein schrak nicht davor zurück, sie wollte nicht einmal besondere Heilmittel annehmen, indem sie das Leiden als von Gott gegeben tragen wollte, wie der Dulder Hiob, in vollkommener Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes. Den Arzt ließ sie nur auf seinen Einwand hin zu, dass er die schon abgestorbenen Teile unschädlich machen müsse, um ihre Pflegerinnen gegen Ansteckung zu schützen. Längst schon konnte sie nicht mehr reden, da ihr die Fäulnis Gaumen und Zunge zerfressen hatte; aber laut sprach und predigte noch ihre unvergleichliche Geduld und heilige Ergebung.
Gott, der ihr eine neue Art schwersten Martyriums auferlegt hatte, suchte sie zuletzt auch mit großem Trost heim. Er ließ sie erkennen, dass die glückliche Stunde ihrer herrlichen Belohnung nahe, und gewährte ihr im Angesicht des Todes fühlbare Freuden und eine Verzückung, in der sie sich schon im Voraus von den Engeln und den heiligen Jungfrauen umringt sah, mit denen sie für immer vereinigt werden sollte. Das Vorgefühl der nahen Glorie verriet sich in einem unaussprechlich schönen Lichtglanz. Ja im Tod wandelt sich ärgstes Erdenleid in köstlichste Himmelsfreud.
Über Leiden sagt die heilige Synkletika: Wenn dein Leib mit Schmerzen durchschnitten, mit Fieber entzündet und mit unerträglichem Durst geplagt wird, und du steckst in Sünden und Lastern, der du dieses leidest, so denke an das ewige Feuer, an die immerwährenden Strafen. So wirst du nicht kleinmütig werden; gib nur hin, was dir auf der Welt widerfährt. Überdies freue dich, dass dich Gott der Herr heimsucht. Führe jenes denkwürdige Wort des Büßers David auf der Zunge: „Der Herr hat mich gezüchtigt und gestraft und hat mich doch dem Tod nicht übergeben.“ Bist du ein Eisen, so wird dieses Feuer den Rost hinwegnehmen. Bist du gerecht und ohne Sünde und musst dennoch leiden, so wirst du an Verdienst nur desto höher steigen. Bist du ein Gold, so wirst du in diesem Feuer nur desto mehr bewährt werden.