In dem vielgeschmähten und verkannten „dunkeln“ Mittelalter sehen wir am deutschen Sternenhimmel viele hellfunkelnde Sterne, deren Glanz und Schönheit noch der spätesten Nachwelt leuchtet und gerechte Bewunderung hervorruft. Einer dieser Sterne am deutschen Heiligenhimmel war der heilige Erzbischof und Märtyrer Thiemo, auf den das Salzburger Erzstift mit Recht stolz sein kann.
Thiemo stammte aus dem Geschlecht der reichen und mächtigen Grafen von Medlingen in Schwaben und genoss unter der Leitung des heiligen Gotthard in der berühmten Klosterschule zu Niederaltaich eine gründliche und vorzügliche Erziehung, so dass er nicht nur durch Frömmigkeit und Gottesfurcht glänzte, sondern auch in den Wissenschaften, sogar in Malerei und Bildhauerei bedeutende Fortschritte machte. Der Welt und ihren Freuden längst abgestorben, trat er in den Orden des heiligen Benedikt und kam den Ordensregeln mit strenger Gewissenhaftigkeit nach. Sein glühender Eifer zu einem vollkommenen Leben ließ ihn den Entschluss fassen, als Einsiedler in stiller Klause, ganz zurückgezogen vom Umgang mit Menschen, seine Tage in frommen Betrachtungen und den strengsten Bußübungen zu verleben. Demütig und gehorsam folgte er indes einer göttlichen Weisung, er kehrte zu seinen Ordensbrüdern zurück und leuchtete allen im Tugendeifer voran.
Um diese Zeit legte der Abt Irimpert von St. Peter in Salzburg sein mühevolles Amt nieder und der dortige Erzbischof Gebhard wusste für das verwaisten Kloster keinen besseren Hirten, als den hochgebildeten, klugen und umsichtigen Mönch Thiemo von Niederaltaich. Dieser hielt sich in seiner Demut eines so hohen Amtes unwürdig und sträubte sich lange. Auch das Kloster wollte eine solche Perle nicht hingeben, aber schließlich musste der Abt von Altaich nachgeben und dem Erzbischof seinen geliebten Thiemo überlassen, der im Jahr 1079 als Abt in das Benediktinerkloster St. Peter zu Salzburg eintrat.
Kaiser Heinrich IV. führte damals gegen den Papst den Investiturstreit, setzte willkürlich die rechtmäßigen Bischöfe ab, übergab willfährigen Kreaturen Ring und Stab und verursachte dadurch die unseligsten Verirrungen in Kirche und Staat. Der Erzbischof Gebhard von Salzburg musste als treuer Anhänger des päpstlichen Stuhls flüchten und irrte neun Jahre, von der kaiserlichen Partei verfolgt, in Schwaben, Franken, Sachsen, zuletzt sogar in Dänemark umher, während zu Salzburg der aufgedrungene Bernhard von Moosburg auf die empörendste Weise schaltete. Thiemo flüchtete sich nach Hirschau zum Abt Wilhelm, der allen treuen Verfechtern der gerechten Sache ein gastliches Obdach bot. Da er aber befürchtete, seine geistlichen Söhne könnten durch seine Abwesenheit geschädigt werden, so kehrte er zu ihnen zurück. Um aber mit dem unrechtmäßigen Bischof nicht in Berührung zu kommen, verließ er nach einiger Zeit sein Kloster wieder, begab sich nach Steiermark und blieb in Admont bis zum Tod des rechtmäßigen Bischofs Gebhard im Jahr 1090.
Für den erledigten erzbischöflichen Stuhl zu Salzburg wussten die treuen Anhänger der Kirche keinen würdigeren und geeigneteren Mann als Thiemo und wählten ihn einstimmig zum Nachfolger Gebhards. Trotz allen Bitten und Widerstreben musste er einwilligen. Der heilige Bischof Altmann von Passau erteilte ihm unter Assistenz der Bischöfe Adalbero von Würzburg und Meginhard von Freising am 7. April 1090 die bischöfliche Weihe. Kaum hatte Thiemo sein mühevolles Amt angetreten, so bot der gottlose Eindringling Bernhard alle Mittel auf, um den rechtmäßigen Erzbischof mit Gewalt zu vertreiben. Thiemo flüchtete, wurde aber gefangen genommen und in Ketten gelegt.
In seiner Gefangenschaft auf einer Burg in Kärnten erlitt Thiemo die brutalsten Misshandlungen und wurde unaufhörlich mit einem qualvollen Tod bedroht. Alle seine teuren Verwandten wurden vor seinen Augen niedergemetzelt, um ihn einzuschüchtern und zum Verrat an seiner Kirche zu zwingen, aber unerschütterlich erklärte er das eine wie das andere Mal: „Mein und meiner Verwandten Leben gilt mir lange nicht so viel, als mein Eid, den ich dem heiligen Rupert geschworen habe und den ich nicht brechen kann.“
Nach fünfjährigem Kerker und unsäglichen Leiden und Entbehrungen wurde Thiemo für eine schwere Geldsumme losgekauft, konnte aber nicht auf seinen erzbischöflichen Sitz zurückkehren, musste vielmehr unstet und heimatlos umherirren, gleich seinem edlen Vorgänger.
Im Jahr 1099 schloss sich Thiemo dem Kreuzzug an, den die Herzoge Wilhelm von Aquitanien und Welf I. von Bayern mit einem Heer von 160 000 Mann in das Heilige Land unternahmen. Dort geriet er mit vielen anderen Christen in die Gewalt der Sarazenen und musste als Sklave die schwersten Dienste leisten, bis seine hohe Würde entdeckt und ihm die Wahl gestellt wurde, entweder Christus zu verleugnen oder einen furchtbaren Martertod zu sterben. Da der heilige Diener Gottes unerschütterlich seinen Glauben bekannte und die Zumutung einer Glaubensverleugnung entschieden abwies, wurde er zuerst blutig gegeißelt, dann wurden ihm die Arme Glied für Glied abgehauen und endlich noch der Leib aufgeschlitzt. Mit den Worten: „In deine Hände, o Herr, empfehle ich meinen Geist.“ Hauchte er seine schöne Seele aus am 28. September des Jahres 1101, fern von seiner Heimat und seiner geliebten Erzdiözese, aber nahe dem Himmel, für den er sein Blut und Leben freudig geopfert hatte.