Unsere heilige katholische Kirche wäre nicht die wahre Kirche Jesu, sie wäre nicht heilig, wenn sie nicht fort und fort ungezählte Heilige zum Himmel sendete. Unauffällig wie ihr frommes Erdenleben ist auch der Hingang der seligen Gotteskinder; weder Mitwelt noch Kirche schmückt sie mit dem Heiligen-Namen. Tritt die Heiligkeit aber augenfällig in die Erscheinung, so ist es zuerst das gläubige Volk, das seine Lieblinge gebührend ehrt, bis vielleicht später einmal, nach langer, reiflicher Prüfung, die Kirche mit gottgegebener Vollmacht die Stimme des Volkes bestätigt. Am 1. Januar 1905 verschied zu Hasselt, in der Provinz Limburg in Belgien, ein Mann, der in der Stadt und Umgebung nur unter dem Namen „der heilige Pater“ bekannt war, Pater Valentin Paquay (spr. Pakäh), also ein Heiliger unserer Tage.
Geboren zu Tongern am 17. November 1838, verdiente Ludwig Paquay sich schon als Student das ehrende Zeugnis seiner Studiengenossen, dass er für alle ein hellleuchtendes Vorbild großer Frömmigkeit, Demut und brüderlicher Liebe, ein vollkommenes Muster des Gehorsams gegen seine Lehrer gewesen sei. Schon im Seminar von St. Trond habe man ihn als einen Heiligen betrachtet. In der Haltung eines Engels sei er wie ein zweiter Johannes Berchmans in der Betrachtung des heiligsten Geheimnisses auf dem Altar ganz aufgegangen, ohne etwas zu sehen und zu hören von dem, was um ihn vorging. Als der tugendhafte junge Mann am 24. September 1849 bebenden Herzens an der Klosterpforte zu Thielt anklopfte, da führte ihn kein anderer Beweggrund, als das sehnlichste Verlangen, in der Familie des heiligen Vaters Franziskus leichter und rascher zur Vollkommenheit emporsteigen zu können. Mit Vorliebe wiederholte er später bei Exerzitien für Ordensleute die Worte: „Wer zu einem anderen Zweck Ordensmann wird, als um ein Heiliger zu werden, der ist wahrhaftig ein Narr in des Wortes vollster Bedeutung. „Um heilig zu werden, bin ich in den Orden getreten, sagte Johannes Berchmans. Und er sagte es ganz laut, damit jedermann es hören konnte. Wohl denn, sagen auch wir es ganz laut und alle mögen es hören. Bei unserem Eintritt ins Kloster haben wir gelobt, Heilige zu werden. Und eines Tages werden unsere Mitbrüder und die Welt erfahren, ob wir Männer von Wort gewesen sind. Arbeiten wir tüchtig, wappnen wir uns mit unbesiegbarem Mut und unerschütterlichem Gottvertrauen, dann werden wir sicher zum Ziel gelangen.“
Der so sprach, handelte auch so, und nur so gelangte er selber ans erstrebte Ziel. Denn auch unser Gottseliger hatte Widerstände und Schwierigkeiten zu überwinden, wie jeder Kämpfer um das Höchste. Sein Charakter hatte etwas von Heftigkeit an sich, weshalb während seiner jungen Jahre selbst die Sorge für seine Vervollkommnung einen Anflug von Überstürzung hatte. Aber nach vielen Mühen trug er den Sieg über seine Heftigkeit davon und alle seine Handlungen vollzogen sich in den von der Klugheit gezogenen Grenzen. Wie hütete Frater Valentin so sorgsam den kostbaren Schatz der Herzensreinheit! „Gott sei Dank“, sagte er einmal betreffs der schon im dreizehnten Lebensjahr Gott gelobten Keuschheit, „ich habe festgehalten, aber wie schwer war es, immer die Wachsamkeit über die Augen zu beobachten!“
Die Sünde hasste der Diener Gottes über alles, gleichviel ob es sich um schwere oder lässliche Sünde handelte. Da machte er für sich keinen Unterschied. Er musste denn auch einmal, im November 1897, auf Befragen eingestehen, dass er durch den besonderen Schutz Gottes niemals eine Todsünde begangen habe. „Dieser heiligmäßige Ordensmann“, schreibt einer seiner Mitbrüder, „der für andere so liebevoll besorgt war, war auch unnachsichtig streng gegen sich selbst und behandelte seinen Körper mit der Härte eines unerbittlichen Henkers.“
Heiligkeit wächst nur auf dem Grund der Demut. Diese schwere Tugend übte der Jünger des demütigen Heiligen von Assisi mit solcher Beflissenheit, dass er öfters absichtlich sich ganz töricht benahm, um bei anderen die hohe Meinung herabzusetzen, die man von ihm überall bekundete. Von zarter Kindheit an waren seine Träume auf die Priesterwürde als sein höchstes Erdenglück gerichtet. Und doch war sein Entschluss schon gefasst, nach dem Beispiel seines seraphischen Vaters Diakon zu bleiben. Am Vorabend seiner Ordination musste man wirklich Frater Valentin, der sich versteckt hatte, lange suchen, und nur kraft des Gehorsams fügte er sich darein, mit seinen Mitbrüdern nach Lüttich zu gehen, wo er am 10. Juli 1854 die heilige Priesterweihe erhielt.
Schlicht und einfach war das Leben des Priesters und Ordensmannes; nichts unterschied ihn äußerlich von seinen Mitbrüdern. Innerlich aber ging er ganz in Gott auf. Eine ganz außerordentliche Liebe zu Jesus verzehrte sein Herz. Diese Liebe belebte seine Handlungen, diese Liebe teilte sich seiner Umwelt mit. „Pater Valentin predigte uns ganz wunderbare Sachen. Woher schöpfte er sie. Sicherlich nicht aus Büchern, denn während der ganzen Dauer der Exerzitien öffnete er nie ein Buch. Alle freie Zeit verbrachte er, auf den Knien liegend, vor dem Tabernakel. Dort fand man ihn stets in Gebet und Betrachtung versunken.“ So schreibt eine Ordensoberin über ihn. Die Vereinigung der Seele mit Jesus, diese „begehrenswerte Vereinigung, diese geheiligte Vereinigung, diese Vereinigung voll unendlicher Süßigkeit“, pries er in den anziehendsten Bildern und Vergleichen. Darum empfahl er auch stets die tägliche Kommunion. Als ihm ein Beichtkind auf die Frage, warum es nicht täglich kommuniziere, antwortete, dass es sich nicht für würdig halte, entgegnete er lebhaft: „Würdig? Würdig? Aber du wirst nie würdig sein. Wenn du dessen würdig wärest, so wäre die heilige Kommunion für dich nicht mehr nötig. Warte, ich werde dich würdig machen! Von jetzt an gehst du alle Tage. Man muss kommunizieren, nicht als wenn man es verdiente, sondern um weniger unwürdig zu werden. Man gewährt dem lieben Jesus mehr Genugtuung, wenn man ihn oft aus Liebe empfängt, als wenn man aus Demut dem Tisch des Herrn fern bleibt.“
Einer Ordensfrau, die klagte, dass es ihnen nicht erlaubt sei, alle Tage zum Tisch des Herrn zu gehen, erwiderte Pater Valentin: „Es wird der Tag kommen, wo Ihr den lieben Gott alle Tage empfangen könnt.“ So kam es. Noch war der Eiferer für oftmalige Kommunion kaum ein Jahr tot, als Papst Pius X. das berühmte Dekret über die öftere Kommunion erließ.
Liebe zum Heiland erzeugt Liebe zu den Seelen. Pater Valentins Seeleneifer, seine Hingabe für die Rettung der Seelen war unbegrenzt. Diese Liebe war es, die ihm das Vertrauen von Tausenden erwarb, die seinen Namen weit über die Grenzen seiner Heimat getragen hat. Seelen zu retten, galt ihm als das Schönste auf Erden. Keine Mühe war ihm dafür zu groß. Zu dem Zweck verbrachte er sein Leben zum allergrößten Teil im Beichtstuhl. Nur die ihn verzehrende Glut des Seeleneifers ließ ihn die unaufhörlichen Anstrengungen ertragen, denen er sich Tag und Nacht unterzog. Wie oft begehrten ihn die Sterbenden, die Sünder, die von Bekehrung nichts wissen wollten, als letzten rettenden Pförtner des Paradieses. War es ihm süßer Trost, dem Herrn die Herzen zuzuführen, so mag gar oft seine überaus zarte, reine Seele Marterqualen erduldet haben, wenn er so viel sittliches Elend anhören und heilen musste. Nur das Bewusstsein der Pflicht hat den an Selbstverleugnung Gewöhnten vermocht, das Widerstreben der Natur zu besiegen. Im Beichtstuhl hat er gelebt, dort hat er sich geheiligt. „Mein Lieber“, sagte er einem jungen Mitbruder, „wir Priester, wir müssen und sollen uns im Beichtstuhl heiligen“.
Wie der auserwählte Diener Gottes im Bußgericht wirkte, darin lag ein Geheimnis. Der Geist der Weisheit und allen Trostes muss durch seinen Mund gesprochen haben. Das bekundet die allgemeine Überzeugung. „Sonderbar, die Beichtkinder gehen zu ihm; er sagt fast nichts und trotzdem kommen sie umgewandelt und bekehrt zurück.“ Eine ganz kurze Ermahnung, ein Wort genügte, um den bittersten Schmerz zu lindern, die dichteste Finsternis zu erhellen, die größten Zweifel zu lösen, den Schwachen wunderbare Kraft und Stärke zu geben. In der Seelenleitung war es auch, wo Gott dem „äußerst fähigen Mann, einem Heiligen, übernatürliche Erleuchtungen gab“, wie Bischof Doutreloux (spr. Dutrelu`) von Lüttich bezeugt. Eine ganze Reihe von Tatsachen sind aufs glaubwürdigste und sicherste bekannt geworden, wo der heilige Pater von Hasselt den Beichtkindern genau nach Zeit, Zahl und Ort ihre verborgensten Sünden vorsagte, zukünftige Dinge, ein Leid, den Tod, oft den Beruf, oft ganz den jeweiligen Neigungen und Lagen entgegen, vorauskündete, wie er ihm völlig unbekannte Leute erwartete: „Warum kamen Sie nicht früher? Schon vor vierzehn Jahren wollten Sie kommen und haben es immer wieder verschoben.“ Oder: „Ach da sind Sie ja. Ich habe ganze Nächte lang für Sie gebetet.“
In dem Beileidsschreiben an den Ordensprovinzial beim Tod Pater Valentins nannte der Diözesanbischof „den heiligen Ordensmann“: „Apostel des Beichtstuhls“. Das wird sein Ruhmestitel bleiben. Die Macht seiner Fürsprache bei Gott hat sich bereits als wirksam erwiesen. Der Prozess zur Seligsprechung ist zu Anfang des 20. Jahrhunderts eingeleitet worden. Am 9. November 2003 wurde Pater Valentin Paquay von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.
Ausspruch des P. Valentin: „Was ist ein Kreuz? Es ist der Wille des Menschen, der dem göttlichen in die Quere kommt. Legt beide Willen nebeneinander, so habt ihr statt eines Kreuzes zwei sich gleichlaufende Linien, zwei Eisenbahnschienen, auf denen Ihr ohne Schwierigkeit mit vollem Dampf dahinrollt.“