Das gottesfürchtige Ehepaar Joseph und Eleonora Strambi in der römischen Hafenstadt Civitavecchia erhielt am 1. Januar 1745 ein kostbares Neujahrsgeschenk. Einen Jungen, der am nächsten Tag unter dem Namen Vinzenz Maria in die Gemeinschaft der Heiligen, zu der ja alle gläubigen Christen auf Erden gehören, aufgenommen wurde und eine Zierde dieser übernatürlichen Heilsgemeinschaft werden sollte. Als Vinzenz Maria im vollendeten Alter von neunundsiebzig Jahren am 1. Januar 1824 von dieser Welt Abschied nahm, wurde er als siegreicher Bekennerbischof und Märtyrer der Nächstenliebe ins himmlische Jerusalem aufgenommen.
Das Fundament zu seiner späteren Heiligkeit wurde von seiner frommen Mutter gelegt, indem sie ihm mit der Muttermilch eine zarte Liebe zu Jesus und Maria einflößte, indem sie ferner die bösen Neigungen des Kindes ausrodete und ihm Opfersinn und Tugendliebe einpflanzte.
Vinzenz Maria begann bei den Konventualen seiner Vaterstadt die humanistischen Studien, die er im Seminar von Montefiascone und später bei den Piaristen zu Rom fortsetzte, um im Jahr 1765 bei den Dominikanern in Viterbo Theologie zu studieren. Der fromme Junge und Jüngling, der schon früh den Ruf eines Heiligen genoss, hatte ein inniges Verlangen Priester zu werden und bereitete sich mit großem Eifer auf den heiligen Stand vor, indem er mit Fleiß und Ausdauer sich sowohl dem Studium als auch den Übungen der Frömmigkeit widmete. Noch ehe er das zur Priesterweihe vorgeschriebene Alter erreichte, hatte er seine theologischen Studien beendet, weshalb er noch eine Zeitlang als Präfekt in den Seminarien von Montefiascone und Bagnorea wirkte. Mit päpstlicher Erlaubnis wurde Vinzenz Maria am 19. Dezember 1767, also nicht ganz dreiundzwanzig Jahre alt, zum Priester geweiht. – Der junge Gesalbte des Herrn besuchte noch für einige Zeit die Hochschule der Dominikaner in Rom, um seine theologischen Kenntnisse zu erweitern, und trat dann im Herbst 1768 in die neue Genossenschaft der Passionisten ein – zur großen Freude ihres Gründers, des heiligen Paul vom Kreuz, aber auch zum großen Leidwesen seines enttäuschten Vaters, der lange alles daransetzte, seinen begabten und hoffnungsvollen Sohn abwendig zu machen und einer glänzenden Laufbahn zuzuführen. Der eifrige Novize bestand glänzend alle Prüfungen von Seiten seines ehrgeizigen Vaters und überwand siegreich den bösen Feind, der ihn durch arglistige Anfeindungen aus dem Noviziat zu locken suchte. Am 24. September 1769 legte Vinzenz Maria die heiligen Gelübde ab und bereitete sich dann unter der trefflichen Leitung seines Ordensvaters durch Gebet und Studium auf seine apostolische Missionstätigkeit vor. Sein weiteres Leben war gewissermaßen eine Fortsetzung des Noviziates. Dort hatte er sich an den beständigen Wandel in Gottes Gegenwart gewöhnt und zeitlebens blieb er dieser segensreichen Übung treu, wie auch sein Streben nach Vollkommenheit und sein Eifer für das Heil der Seelen nie erlahmte.
Als Pater Strambi durch den Gehorsam zum Volksmissionar bestimmt war, trieb ihn sein Seeleneifer von Ort zu Ort, von einer Pfarrei zur anderen, um Christus den Gekreuzigten zu predigen. Das heilige Feuer, das in seiner Seele brannte, teilte sich seinen Zuhörern mit: überall erfolgten auffallende Bekehrungen. Pater Strambi galt als einer der besten Prediger. Seine klaren, inhaltsreichen Predigten wurden von allen Klassen der Bevölkerung gerne gehört. Seine Missionen und Exerzitien haben auf seine bewegte und verwilderte Zeit einen tiefen, nachhaltigen Eindruck ausgeübt. Im Jahr 1773 wurde der berühmte Volksmissionar nach Rom berufen und mit der Leitung der theologischen Bildungsanstalt im Kloster der heiligen Johannes und Paulus betraut. Dort starb am 18. Oktober 1775 der heilige Paul vom Kreuz. Pater Vinzenz Maria hatte die Ehre, seinem sterbenden Ordensvater beistehen und später seine Lebensgeschichte schreiben zu dürfen. Nachdem der Heilige ein Jahr Rektor des genannten Klosters gewesen war, wurde er zum Provinzial der römischen Provinz ernannt. Er war allen ein liebevoller Vater, der seine Untergebenen mehr durch sein tugendhaftes Beispiel als durch Worte zu lenken suchte. In seiner Demut bat Pater Vinzenz Maria nach Ablauf von drei Jahren um Enthebung von seinem Amt. Man gab seinem Wunsch nach, ernannte ihn aber zum Ratgeber des neuen Provinzials und sechs Jahre später zum Rat des Pater Generals. Von den hemmenden Pflichten eines Obern befreit, verfasste der Heilige ein wertvolles aszetisches Werk: „Unsere Schätze in Jesus“ und widmete sich wieder den Missionen. Er eiferte gegen den Unglauben und die Verwilderung der Sitten, erschütterte die Sünder, stärkte die Schwachen, tröstete die Frommen, besonders zur Zeit jener Heimsuchung, die der ehrgeizige und gewalttätige Napoleon durch seinen Feldzug gegen den Kirchenstaat und durch die Gefangennahme des greisen Papstes Pius VI. über die Kirche heraufbeschworen hatte.
Pater Vinzenz Maria stand in dem Ruf eines erfolgreichen Missionars und heiligen Gottesgelehrten, der über eine vielseitige Erfahrung in der Seelsorge verfügte. Kein Wunder, dass Papst Pius VII. ihm eine einflussreiche Würde übertrug, indem er ihn zum Bischof von Macerata und Tolentino ernannte. Diese Ernennung fand überall den Beifall der Guten, nur der ernannte Bischof war niedergedrückt, denn er hielt sich für unwürdig und untauglich, ein so hohes und heiliges Amt zu bekleiden. Allein im Gehorsam gegen den Stellvertreter Christi auf Erden nahm er die bürdenreiche Würde an und empfing am 26. Juli 1801 in der römischen Passionistenkirche St. Johannes und Paulus die heilige Bischofsweihe. Der Heilige lebte auch als Bischof ein armes, abgetötetes Leben und übte nach Möglichkeit die bisherige Seelsorge aus, indem er Missionen predigte und den Kindern den Katechismus erklärte. Überall suchte er das religiöse Leben zu heben. Besonders ließ er sich die Heranbildung tüchtiger Lehrkräfte und eifriger Seelsorger angelegen sein. Auch für die Armen und Kranken sorgte er durch den Bau eines Hospitals. Der seeleneifrige Bischof schien nur für seine Herde zu leben, der stets ein leuchtendes Vorbild war. Doch plötzlich wurde der Heilige seinem Wirkungskreis entrissen. Da er sich den papstfeindlichen Plänen des gewalttätigen Napoleon widersetzte, wurde er am 26. September 1808 gefangengenommen und nach Novara in Piemont abgeführt. Dort fand der verbannte Bischof noch mehrere Leidensgenossen, die er durch sein heiteres, gottergebenes Wesen tröstete und aufrichtete. Seine Sorge galt der verwaisten Herde, für die er viel betete und die er durch Briefe zu leiten suchte. Noch im gleichen Jahr wurde Bischof Strambi in Mailand interniert, wo er sich bald wegen seines großen Seeleneifers einer allgemeinen Beliebtheit erfreute. Viele Bürger kamen zu ihm, um bei ihm Rat und Trost zu holen oder ihre Seelenangelegenheiten zu ordnen. Mit Bruder Kamillus, der ihm in die Verbannung gefolgt war, führte der Heilige das Leben eines Passionisten. Er stand sogar um Mitternacht auf, hielt eine Stunde Betrachtung, die er mit einer Geißelung beschloss. Die freie Zeit widmete der eifrige Kirchenfürst dem Gebet, der Seelsorge sowie der Abfassung frommer Bücher, von denen zwei in Mailand erschienen: „Der kreuztragende Heiland“ und „Lebensregeln für Jünglinge und Jungfrauen“. Als der geschlagene Napoleon am 11. April 1814 in Fontainebleau seine Abdankung unterschrieben hatte, wurden die gefangenen Bischöfe und Priester in Freiheit gesetzt. Der Bischof von Macerata wurde bei seiner Rückkehr wie ein siegreicher Feldherr geehrt. Zwei Tage nach seiner Ankunft in der Bischofsstadt erhielt der Heilige den ehrenden Besuch des Papstes Pius VII., der soeben aus der französischen Gefangenschaft kam, in der er seit dem Jahr 1809 geschmachtet hatte. Wie hoch der Heilige Vater den Bekenner-Bischof achtete, geht schon daraus hervor, dass der Heilige auf Wunsch des Papstes im Jahr 1815 dem heiligen Kollegium der Kardinäle sowie dem römischen Klerus die heiligen Exerzitien halten musste. Der Diener Gottes entledigte sich dieses ehrenden Auftrages zur Zufriedenheit und Erbauung der Teilnehmer. Auch im Jahr 1820 hielt Bischof Strambi den Priestern Roms die geistlichen Übungen.
Infolge der langen Kriegswirren wurde die Diözese Macerata von Hungersnot und Typhus heimgesucht. Mit wahrhaft heroischer Aufopferung suchte der besorgte Bischof die Not des Volkes zu lindern und zu beseitigen. Mehr als das zeitliche Wohl seiner Herde lag dem heiligen Seelenhirten das geistliche Gedeihen seiner Schäflein am Herzen. Durch Missionen, Exerzitien, persönliche Ermahnungen war stets bestrebt, die sittlichen Wunden zu heilen und das Volk, die Priester und Ordensleute zur christlichen Vollkommenheit anzuspornen. Trotz seines hohen Alters predigte der Heilige noch selbst, nicht nur in seinem, sondern auch in anderen Sprengeln. Bischof Strambi war vielen edlen Priestern Freund und Ratgeber, so dem seligen Kaspar del Bufalo, dem Kardinal Fürsten Odescalchi, durch den er auch den jungen Johann Mastai Ferretti, den späteren Papst Pius IX., kennen gelernt hatte.
Bischof Strambi war ein Greis geworden. In seiner Gewissenhaftigkeit bat er den Heiligen Stuhl um Enthebung von der bischöflichen Bürde. Papst Pius VII. wünschte den eifrigen Hirten noch länger seiner Herde zu erhalten und verhielt sich deshalb ablehnend. Sein Nachfolger Papst Leo XII. gewährte die Bitte des verdienten Kirchenfürsten und schrieb ihm liebevoll: „Ich entbinde Sie von der Ihr Alter drückenden Bürde. Kommen Sie, Ihren Sorgen enthoben, hierher. Sie sollen in meinem Palast wohnen; alles ist für Sie hergerichtet.“ So nahm denn Bischof Strambi am 30. November 1823 Abschied von seiner Herde, die er 22 Jahre und 5 Monate als guter Hirte betreut hatte. Der Heilige führte auch am päpstlichen Hof das Leben eines bußfertigen Passionisten. Der Seeleneifer des 79jährigen Greises war noch immer bewundernswert. Gerne stand er auf Wunsch den Kranken und Sterbenden bei. Auch der Königin Maria Luisa von Etrurien und der Prinzessin Pauline Borghese, der geistreichen, aber weltlichen Schwester des großen Napoleon, hat er das Sterben erleichtert. Am 23. Dezember erkrankte Papst Leo XII. so schwer, dass ihn die Ärzte aufgaben. Bischof Strambi tröstete den Heiligen Vater und versicherte ihm einen guten Ausgang der Krankheit. Während der Heiligen Messe, die der Heilige für die Genesung des erlauchten Kranken las, brachte er für ihn dem lieben Gott sein Leben zum Opfer dar. Der Papst wurde sofort gesund. Bischof Strambi dagegen erlitt am Fest der Unschuldigen Kinder einen Schlaganfall. Bei vollem Bewusstsein empfing er die heiligen Sterbesakramente und ging an dem Tag, an dem er sein 80. Lebensjahr begann, am 1. Januar 1824, in die Freuden des Himmels ein, um den überreichen Lohn für sein heroisches Opferleben in Empfang zu nehmen. Seine sterbliche Hülle ruht in der Passionistenkirche St. Johannes und Paulus zu Rom, an der Seite seines geistlichen Vaters, des heiligen Paul vom Kreuz. Papst Pius XI. sprach den seeleneifrigen Passionisten und Bekennerbischof im Jubeljahr 1925 selig, und Papst Pius XII. sprach ihn 1950 heilig.
Ahmen wir dem Heiligen nach, indem auch wir uns bestreben, stets und überall in der Gegenwart Gottes zu leben, dann werden wir leichter die Versuchung und Sünde überwinden, eifriger nach Tugend streben, mehr in den Leiden dieser Zeit getröstet und einstens reichlich belohnt werden.