Seliger Ägidius von Assisi, Franziskanermönch, Mystiker, + 22.4.1262 – Gedenktag: 23. April

 

Als der heilige Franziskus ein neues Leben in Gott zu führen anfing, schlossen sich ihm bald auch Jünger an. Der dritte der Jünger war der selige Ägidius, ein Mann, der sich in den weltlichen Dingen zwar wenig, aber im christlichen Tugendleben um so besser auskannte.

 

Es ist nun einmal so, dass jeder Mensch ein Steckenpferd hat, und der selige Ägidius macht in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Sein Steckenpferd war die Arbeit, er konnte bei aller Frömmigkeit, die er übte, keine Stunde müßig sein. Es war eine Eigenart von ihm, und der Grund, warum er so handelte, ist darin zu suchen, dass er sich das Brot, das er aß, vorher durch Arbeit verdienen wollte. Der Selige war also ein anständiger, rechtlich denkender Mann.

 

Als sich nun Ägidius einst längere Zeit zu Rom aufhielt, ging er nach dem Besuch der heiligen Messe am Morgen in die nähere Umgebung der Stadt, sammelte dürres Holz und verkaufte es für wenige Pfennige, um auf diese Weise den Lebensunterhalt zu verdienen. Zur Erntezeit las er Ähren auf dem Acker, aber stets nur so viel, wie er für den Tag brauchte, und als ihm einmal ein Bauer eine volle Garbe geben wollte, wies er das Geschenk zurück mit dem Bemerken, dass er keine Scheune besitze, in der er die Garbe aufbewahren könne. Zuweilen flocht er auch Körbe zum Verkauf. Überhaupt nahm er jede Arbeit an, die man ihm anbot, half beim Dreschen, trug zur Zeit der Weinlese Trauben in die Trotte, holte das reife Obst von den Bäumen und tat andere Dinge mehr, nur um kein unverdientes Brot essen zu müssen.

 

Es war da zu Rom ein Kardinal mit Namen Nikolaus, der den seligen Ägidius wegen seines gottinnigen Lebens überaus schätzte. Mehrfach lud der hohe Herr den schlichten Bruder zu Tisch, aber Ägidius lehnte die Einladung stets dankend ab. Eines Tages ließ er sich jedoch erweichen, er wolle kommen, sagte er, und mit dem Kardinal speisen, aber nur unter der Bedingung, dass er von den Gerichten des Gastgebers nicht zu essen brauche, sondern das eigene Brot verzehren dürfe, das er sich in den Morgenstunden verdient habe.

 

Mit diesem Vorschlag war Kardinal Nikolaus einverstanden, und es speisten die beiden miteinander. Der eine aß, was ihm aufgetragen wurde, Suppe, Gemüse und Fleisch, während der andere sein Brot kaute. Dabei redeten sie miteinander über dies und das. Immer wieder musste der Kardinal über die gotterleuchtete Weisheit staunen, die aus dem einfältigen Bruder sprach. Zum Schluss des Mahles bat dann der hohe Herr den seltsamen Gast, täglich auf die gleiche Weise bei ihm zu essen, und weil sich Ägidius dem Begehren höflicherweise nicht widersetzen konnte, sagte er zu. Jeden Mittag suchte er fortan den Kardinal auf und aß mit ihm in der geschilderten Art.

 

Da geschah es eines Tages, dass es die Nacht vorher und den ganzen Vormittag wie aus Kübeln regnete. Unter diesen Umständen war es dem Bruder Ägidius einfach nicht möglich, Brennholz zu sammeln und sich dadurch das Brot für den Tag zu verdienen. Trotzdem stellte er sich, diesmal ohne Brot und ein Stündchen vor der festgesetzten Zeit, ein. Der Kardinal stand bereits an der Tür, um ihn zu empfangen und sagte schalkhaft: „So, Brüderchen, heute bist du aber einmal mein Gast und isst, was ich dir vorsetzen lasse.“ Ägidius jedoch schüttelte den Kopf, lächelte überlegen, und schon war er dem Gastgeber entschlüpft. In die Küche rannte er zum Koch und sprach zu ihm: „Du, Koch, deine Küche sieht aus wie ein Saustall. Für ein Stück Brot mache ich sie dir so sauber, dass du vom Boden essen kannst.“ Natürlich war der Koch einverstanden, und der Bruder schrubbte und scheuerte die Küche und empfing nach getaner Arbeit als Lohn das ausbedungene Stück Brot, das er dann am Tisch des Kardinals verzehrte. Auf diese Weise war also der selige Ägidius von Assisi seinem Vorsatz, nur verdientes Brot zu essen, treu geblieben.